Wie hat es mit MANAGERISMUS angefangen
Der Anfang vor zwanzig Jahren war emotional. Über das Verhalten des Spitzenpersonals nicht weniger Konzerne mischte sich Verwunderung mit Empörung. Ihre Namen sind (fast) vergessen: Schrempp, Claassen, Esser, Zumwinkel, Middelhoff und weitere. Mit diesen Namen verband sich eine bis dahin wenig aufgefallene Entwicklung in der Führung vor allem börsennotierter Großunternehmen. Die dafür gewählte Bezeichnung Managerismus wurde zum Namen der Initiative. Absicht war, nicht nur harsche Kritik zu üben, vielmehr einen kleinen, doch dauerhaften Beitrag zur Verbesserung der Unternehmenskultur zu leisten.
So entstanden erste Papiere zu den Themen Planwirtschaft, Outsourcing, Corporate Governance und Shareholder Value. Alle stießen auf gute Resonanz und riefen nach Fortsetzung. Mit dem Buch Managerismus – Unternehmensführung in Not (Get-Abstract International Book Award 2010) wurde das Syndrom eingehend und anhand von Firmen aus USA und Deutschland beschrieben. Um die Schädlichkeit manageristischer Praktiken deutlich zu machen‚ wurde manageristische Praxis verantwortlicher Unternehmensführung gegenübergestellt.
Bis dato entstanden 57 Denkschriften und 88 Denkzettel. Viele sind als Broschüren erschienen. Alle Beiträge sind auf www.managerismus.com verfügbar; zum großen Teil auch auf Englisch unter www.managerism.org.
Wie hat sich MANAGERISMUS entwickelt
Der Themenkreis ist umfangreich und vielseitig: Governance-Compliance (Ehrbarer Kaufmann, Integrität), das Problematische der Paritätischen Mitbestimmung, Underperformance von Dax-Konzernen insbes. serielle Fehler bei USA-Engagements, die unterschätzte Bedeutung der Produktion bzw. von industrieller Wertschöpfung, das wenig beachtete Problem der Übergröße von Unternehmen (Big Company Disease), ein neuer Taylorismus, eine Arbeitswelt im Umbruch, Frauenquoten und Diversity, die verbreitete Flucht vor Haftung oder wenig bekannte Unternehmens- und Branchengeschichten wie die Confectionary Industry in Großbritannien, ein Paradebeispiel von Managerismus. Viele Themen wurden behandelt, bevor der Mainstream sich ihrer annahm – im Unterschied zu den landläufigen Business Magazinen betont kritisch.
In Relectures wurden große Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften vorgestellt, jeweils mit Bezug zu Management/Unternehmensführung: Peter F. Drucker (‚Christliche Wurzeln‘), Konrad Lorenz („Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“), Leopold Kohr (Grenzen der Komplexität), Viktor Frankl (Sinn und Verantwortung), Karl Popper („Alles Leben ist Problemlösung“), Joseph Schumpeter (Innovation und Unternehmertum), Michael Polanyi (Implizites Wissen), Karl Polanyi (Gesellschaftliche Einbettung) oder Felix Somary („Sozialgesetze der verkehrten Proportion“). Lose verbindet sie ihre österreichisch-(ungarische) Herkunft und der „Austrian Mind“ (William M. Johnston). Was für eine geniale Generation!
Zum Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft erschienen Denkschriften unter dem programmatischen Titel: Societas Humana - Oeconomia Servanda („Blaue Hefte“): Unternehmensbilder und Ordnungspolitik - Ein Impuls; ein neuer Gesellschaftsvertrag - Ein Vorschlag; Gemeinschaft stärken und Soziale Marktwirtschaft erneuern - Eine Aufforderung.
In letzter Zeit wurden in Roundups Grundeinsichten und Leitsätze aus der Beschäftigung mit Management/Unternehmensführung zusammengestellt.
Was ist besonders an MANAGERISMUS
Managerismus ist eine Deformation der Unternehmensführung, die Abkehr von Maßhalten und Verantwortung. Im Wesentlichen besteht sie den sechs Übeln: Kurzfristigkeit, Größen- und Wachstumssucht, Externalisierung von Kosten, exzessive Vergütung, Glamour/Heroisierung von CEOs und die Shareholder Value-Fixierung. Hinter Managerismus verbirgt sich ein Gruppendenken, das nicht unternehmerisch, sondern auf Selbstprivilegierung ausgerichtet ist. Beispiele hierfür sind die Analysen der Konzerne GE und Boeing. Die deutschen Konzerne Thyssen-Krupp, Commerzbank und VW wurden auf ihre andauernd schwache Managementleistung hin untersucht. Die mit Abstand größte Beachtung erhielt jedoch Siemens & Co. (Infineon, Siemens Energy, Siemens Healthineers u.a.) Das liegt daran, dass dieser Konzern wie kein anderer Labor für viele Managementlehren und Beraterkonzepte (ADL, McKinsey, BCG, Braxton, Monitor u.a.) war – und zudem in den letzten zwanzig Jahren von drei mehr oder weniger manageristischen CEOs (Kleinfeld, Löscher, Kaeser) ‚gemanaged‘ wurde. In keinem Medium wurde die Verabschiedung aus der Kommunikationstechnik so substantiell beschrieben – und beklagt. Ein großes Beziehungsnetz und eigene Erfahrungen ermöglichten einen tiefen Einblick in das inzwischen wieder solider geführte Traditionsunternehmen.
Eine andere Kategorie bildeten Portraits von Unternehmern. Angefangen mit Werner von Siemens (Innovation und Geschäftsethos) und dem „Roten Baron“ Robert Bosch erstreckt sich der Bogen zum gewissenhaften Reinhard Mohn, dem unablässigen „Schaffer“ Reinhold Würth, dem grundsatztreuen Claus Hipp und dem Herold der Familienunternehmen Wolfgang Grupp bis zum Jungunternehmer Thomas Hirsch und etlichen Unternehmerpersönlichkeiten mehr.
Hervorgehobene Aufmerksamkeit erfuhr der Beratungs- und Wissenskonzern McKinsey. Die Beiträge dazu zählen zu den meistgelesenen. In Deutschland und auch in der Schweiz hat sich McKinsey trickreich zum Katalysator des Managerismus aufgeschwungen. Die Frage des „Cui bono“ stellt sich auch bei anderen Strategy und Management Consultants.
Einen großen Anteil am Managerismus hat das Parabusiness. Gemeint sind die zahlreichen, überwiegend amerikanischen Executive Service Provider, die Big4 der Wirtschaftsprüfung, das Investment-Banking und neben den Lobbyisten zahllose Berater zu SHV (Share Holder Value), TBM (Time Based Management), CSR (Corporate Social Responsibility, Culture Change, ESG (Environmental, Social & Governance) und anderen Themen und modischen Trends. Übrigens: In den letzten Jahrzehnten ist dieser Servicesektor mehr als doppelt so stark gewachsen wie die gesamtwirtschaftliche Leistung. Die ungeheure Größe des Parabusiness ist zu einem beträchtlichen Teil ausgelagertes und auf Absicherung bedachtes Management; es ist ausufernde Bürokratie, selbstgeschaffene Komplexität und fehlende unternehmerische Kreativität.
Schließlich: Ziel der Autoren war es, auf Missstände im Bereich der Unternehmensführung hinzuweisen und Veränderungen einzufordern – finanziell und inhaltlich unabhängig.
Was bleibt?
In der Wirtschaftspresse wurden seit den 1990er Jahren Auswüchse und Fehlverhalten vor allem von Dax-Unternehmen immer häufiger registriert. Sie wurden jedoch nicht als Folge der einseitigen Kapitalmarktorientierung und eines davon bestimmten Verhaltens der Unternehmensleitung eingeordnet. Die maßgelblichen ‚Influencer‘ waren US-Consultants und ihre Vertretungen. Überhaupt wurden viele Dax-Unternehmen auffallend beraterabhängig und weniger innovativ.
Die Beurteilung des Managements hat sich weitestgehend als zutreffend erwiesen; man denke nur an den Niedergang der IG-Farbennachfolger Hoechst und Bayer. Auch die Kritik an der Rolle der Strategy Consultants und der Management-Gurus (Tom Peters, Michael Hammer, Michael Porter u. a.) erwies sich mehr als berechtigt. Was sich für Politik und Öffentlichkeit erst jetzt herausstellt: Der deutschen Industrie fehlt es weniger an Effizienz und Optimierung als an Innovation und unternehmerischem Verhalten. BWL und Managementlehre haben sich hauptsächlich als Vermittler von Tools und modischen, manageristischen Ansätzen betätigt. Von Managerismus wurde demgegenüber für eine Handlungslehre und einen breiten Erfahrungsaustausch unter Praktikern plädiert.
Der Initiative gelang es, Begriffe zu etablieren und zu reaktivieren: selbstredend Managerismus/Managerism, dann Parabusiness, Robustheit, Abschöpfung/Value Extraction, Big Company Disease (BCD). Recht zu haben, mag eine gewisse Genugtuung verschaffen. Aber angesichts verlorener Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit und einer nicht erkennbaren Umkehr bleibt große Sorge vor allem um die Industrie zurück.
Erkenntnisse und Botschaften
Zum Schluss einige Einsichten, die sich aus der Beschäftigung mit dem Management von Groß-Unternehmen bzw. Kapitalgesellschaften ergeben haben.
- Zum Kern des Managements stellte Peter Drucker lapidar fest: „It’s all about people“. Diese Erkenntnis geht im Kapitalismus/Marktismus meist unter; im Sozialismus und im Wohlfahrtsstaat, wo ständig von Gesellschaft und Gruppen die Rede ist, gleichermaßen. Entpersönlichung und Enthaftung sind untrügliche Kennzeichen der Fixierung auf Systeme.
- Das Fortschreiten solcher Entwicklungen führt in eine Wirtschaft, die die Gemeinschaft subtil unterminiert oder stark bedrängt oder in einen Staat, der die Wirtschaft ständig überfordert. Wirtschaft sollte auf „Vermenschlichung“ (Steinbuch) angelegt sein, Unternehmen sollten dem Wohl der Gesellschaft schlechtenfalls nicht schaden, bestenfalls das Gemeinwohl dauerhaft heben.
- Charakter von Führungskräften ist eine zu wenig beachtete, in aller Regel gar eine verdrängte Anforderung. Dagegen erhalten Smartness, Selbstdarstellung bis zu Narzissmus zu viel Anerkennung. Der frühere Vorsitzende der US-Notenbank, Alan Greenspan, bekannte im Nachhinein zur Finanzkrise: … „regulation cannot substitute individual integrity“. Besonders die jüngste Unternehmensgeschichte lehrt, dass es auf Integrität ankommt, nicht auf, aufwändige Compliance-Prozeduren und ausgeklügelte Governance-Systeme, die in Bürokratie ausarten. Als Folge von Globalisierung, dem Drang von Progressivität und Identitätsfragen wurde es schwieriger, dieses persönliche Erfordernis einzuhalten, doch umso wichtiger und dringlicher bleibt es.
- Es braucht ein striktes, gelebtes Anti-Exzessiv-Reglement, ein Maß und Mitte-Gebot. Das gilt in besonderem Maße für die gewucherte Nominal-/Finanzwirtschaft (v. a. Private Equity) und den zunehmend usurpatorischen, virtuellen bzw. Internet-Sektor. Wachstums- und Größensucht vor allem bereits großer Unternehmen ist systemisch zu begrenzen. Die jüngere Vergangenheit hat eine viel zu laxe Wettbewerbspolitik, ungezügelte M&A-Aktivitäten gesehen. Dem chronischen Sündenfall völlig überzogener Vergütungen von Top-Managern und von exorbitanten Spekulationsgewinnen der Private Equity und Hedgefonds-Manager ist Einhalt zu bieten, weil sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzen. Habgier wirkt immer zerstörerisch. Dem Shareholder Value abzusagen, wie der US Conference Board es 2021 tat, ist eine Sache, die andere, sich daran zu halten.
- Verantwortungsvolle Unternehmensführung muss in die Soziale Marktwirtschaft „eingebettet“ sein. Der Mittelstand, politisch und medial wenig beachtet, ist das langzeit- bewährte Exempel. Deutschland wird von anderen Ländern um die vielen Hidden Champions beneidet. Von Mitarbeitern und Kommunen hoch geschätzt, rangieren sie in der Besucherrangfolge im Bundeskanzleramt und in Ministerien unter ferner liefen.
- Arbeit darf nicht als Ware gehandelt werden. Die Aushöhlung von Freiheit und Verantwortung durch den ausgreifenden Sozialstaat und die Metaorganisation EU muss beendet werden. Dem Subsidiaritätsgebot im ursprünglichen Sinn, nämlich von der Basis aufbauend und nicht top-down verordnet, ist wieder Geltung zu verschaffen.