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Managerismus
Denkschrift Nr. 57
20.11.2024

Kapitalgesellschaften - Wozu sind sie gut

von Derek J. Brocklehurst

 

 

Diese Managerismus-Denkschrift befasst sich mit Vor- und Nachteilen einer bestimmten Art von Unternehmensorganisation, nämlich die Kapitalgesellschaft. Deren eindimensionaler Zweck ist die Gewinnmaximierung bei minimaler Haftung. Sie wird dem Mittelstand gegenübergestellt, bei dem mehrdimensionale Zwecke zum Selbstverständnis gehören. Kapitalgesellschaften sind von großer Bedeutung, weil sie mächtige Institutionen in Privatbesitz sind, die die Gesellschaft kontinuierlich verändern.

Was ist eine Kapitalgesellschaft

Kapitalgesellschaften sind Unternehmen deren Hauptzweck darin besteht, Gewinne für Anteilseigner zu erzielen. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den hier so genannten „Mittelstandsunternehmen“ häufig, aber nicht immer, um kleine und mittlere Unternehmen, Familienunternehmen, Genossenschaften, gemeinnützige Organisationen, Sozialunternehmen, Firmen im Gemeinschaftsbesitz, kommunale Unternehmen, die andere Zwecke als Gewinn verfolgen.

Kapitalgesellschaften sind rechtlich von ihren Eigentümern getrennt und auch von der Gemeinschaft und der Gesellschaft distanziert und entkoppelt. Ihre Anteilseigner profitieren von Dividenden und steigenden Aktienkursen, haften aber nicht persönlich für Verfehlungen oder Schulden ihres Unternehmens. Unternehmensleiter und Aktionäre mit politischem Einfluss haben das traditionelle Verständnis von privaten Eigentumsrechten pervertiert, indem sie Gesetze erlassen haben, die vor allem ihren Unternehmen dienen. Das Gesetz über die beschränkte Haftung ist das beste Beispiel.

Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung – ein staatliches Konstrukt

Kapitalgesellschaften haben die industrielle Revolution nicht initiiert. Die industrielle Revolution in Großbritannien von 1750 bis 1850 wurde privat mit unbeschränkter Haftung finanziert, bevor 1855 durch ein Gesetz der britischen Regierung der uneingeschränkte Zugang zur beschränkten Haftung ermöglicht wurde.

 

Zwischen 1770 und 1835 wurde in Großbritannien ein landesweites Kanalnetz gebaut. Diese gigantische Kapitalinvestition, die eine „Kanal Manie“ auslöste, wurde von Personengesellschaften finanziert, wobei jeder Partner persönlich haftete. Kapitalgesellschaften waren de facto illegal und hatten wegen Spekulation, Betrug, Korruption und Missbrauch von Geldern einen schlechten Ruf. Adam Smith, eigentlich ein Moralphilosoph, schrieb in seinem Werk Wealth of Nations (1776), dass eine Publikumsgesellschaften nicht so gut sein könne wie privates Unternehmertum, da sie Menschen, Fremden, Managern, "die Verantwortung für das Geld anderer Leute" übertrage.

 

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Eigentümer eines Unternehmens persönlich für die Schulden ihres Unternehmens verantwortlich. Die meisten britischen Bankiers lehnten die beschränkte Haftung als unmoralische Geschäftsmethode scharf ab. Bis dahin galt der Moralkodex, dass man als ehrlicher und respektabler Geschäftsmann seine Schulden bezahlt, wenn man die Gewinne einsteckt. Als jedoch immer mehr Börsen aufkamen, wurden Emissionskonsortien aktiv, die Gewinne ohne Schmerzen verkaufen wollten. Und so wurden, unterstützt von politischen Freunden, neue Gesetze zur unbeschränkten Haftung erlassen. Der letzte US-Bundesstaat, der ein solches Gesetz verabschiedete, war Kalifornien im Jahr 1931.

Paddy Ireland von der Universität Bristol sagt über die Kapitalgesellschaft: "Es besteht seit langem die Tendenz, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft in ihrer heutigen Form als wirtschaftlich determiniert zu betrachten, als das mehr oder weniger unvermeidliche Erfordernis fortgeschrittener Technologie und wirtschaftlicher Effizienz ... die Rechtsform der Kapitalgesellschaft war und ist zu einem großen Teil ein politisches Konstrukt, das entwickelt wurde, um dem Rentier-Investor entgegen zu kommen."

Kapitalgesellschaft und Gemeinwohl

Kapitalgesellschaften sind von Bedeutung, weil sie soziale Institutionen sind, die die Gesellschaft (Menschen, Familien, Gemeinschaften) prägen. Ihr Verhalten ist inhärent amoralisch, weshalb Kapitalgesellschaften weltweit eine geringe gesellschaftliche Akzeptanz haben und ihr Beitrag zum Nutzen der Gesellschaft insgesamt in Frage gestellt wird. Im Übrigen, es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass große Kapitalgesellschaften einen besseren wirtschaftlichen Nutzen für die Gesellschaft haben als andere Unternehmensformen.

Karl Polanyi, österreichischer Volkswirt (1886-1964), argumentierte in The Great Transformation, dass Unternehmen in die Gesellschaft und die Gemeinschaft, in der sie tätig sind, eingebettet sein sollten. Ist dies nicht der Fall, werden sie wahrscheinlich Schaden als auch Nutzen für die Allgemeinheit anrichten.

In einem Interview mit der Harvard University urteilte Prof. Colin Mayer von der Business School der Oxford University: "Die treibende Kraft des Kapitalismus, der Gewinn, ist nicht mehr im Einklang mit dem, was wir als Individuen, die Gesellschaft und die natürliche Welt brauchen." Dieser Fehler kann jedoch behoben werden, wenn der erklärte Zweck eines Unternehmens neu definiert wird: Probleme für andere zu lösen, aber keine neuen Probleme für andere zu schaffen.

Was könnte schief gehen, wenn man bedenkt, dass die beschränkte Haftung Gesellschafter und Unternehmensleiter dazu ermutigen kann, übermäßige wirtschaftliche und finanzielle Risiken einzugehen? Nun, Kapitalgesellschaften können in Konkurs gehen und einen Dominoeffekt von Serienkonkursen auslösen, was häufig geschieht. Schlimmer noch, Wirtschaftskrisen wurden durch den Zusammenbruch risikofreudiger Geschäftsbanken und anderer Unternehmen verursacht (wirtschaftlicher Multiplikator- und Beschleunigungseffekt). Die letzte war die Finanzkrise 2008-2009. Zu diesen volkswirtschaftlichen Zusammenbrüchen käme es nicht, wenn die Eigentümer und Unternehmensleiter von Kapitalgesellschaft, auch von Investmentbanken, persönlich haften und zur Verantwortung gezogen würden. Beide würden aus rechtlichem und finanziellem Eigeninteresse umsichtig handeln und keine unverantwortlichen Risiken eingehen, nur um kurzfristige Gewinne und hohe Managerboni zu erzielen.

Der amerikanische Einfluss auf Unternehmensführung

Seit den 1970er Jahren haben amerikanische Managementideen viele westlichen Unternehmen infiltriert. Die Gewinnmaximierung war eine Idee, die ihren Ursprung in den USA hatte, und der Shareholder Value ist eine andere, die sich über Business Schools und Unternehmensberater weltweit verbreitete, obwohl beide Ideen inzwischen überholt sind. Nach diesen Glaubensbekenntnissen ist der einzige rechtmäßige Zweck der Unternehmensführung der maximale Kapitalgewinn für die Aktionäre, mit oder ohne Wertschöpfung.

Private-Equity-Fonds ("reine" Kapitalgesellschaften)

Heutzutage wird immer mehr Geld in (pseudo-private) Private-Equity-Firmen investiert, die im Wesentlichen Kapitalbeteiligungsgesellschaften sind. Diese Private-Equity-Firmen sind sowohl vom Geldwert als auch vom wirtschaftlichen Einfluss her viel mächtiger als traditionelle Kapitalgesellschaften und sind die wahren heimlichen Herren der Wirtschaft. Die von ihnen gewählte "private" Rechtsform bedeutet, dass sie im Gegensatz zu den traditionellen börsennotierten Kapitalgesellschaften bestimmte gesellschaftliche Vorschriften, Rechnungsprüfungsvorschriften, öffentliche Transparenz usw. umgehen können. Im Jahr 2020 gab es in den USA 5.000 Private-Equity-Gesellschaften und 18.000 von Private Equity unterstützte Unternehmen. Im Juli 2024 gab das größte dieser Unternehmen, Blackstone, bekannt, dass es ein Vermögen von über eine Billion Dollar verwaltet. Doch wie Alexander Lundqvist in einem Bericht der CFA Institute Research Foundation 2024 über Private-Equity-Fonds feststellte: "Selbst wenn Private-Equity-Fonds einen Wert für ihre Anleger schaffen, muss dies nicht bedeuten, dass Private-Equity-Fonds einen sozialen Wert für die Wirtschaft schaffen."

Wirtschaftsstaat statt Soziale Marktwirtschaft

Viele transnationale Konzerne sind größer als die meisten Volkswirtschaften und mächtiger als die meisten nationalen Regierungen. Martin Wolf, Chefkommentator der Financial Times, erklärte: "In Anbetracht ihrer Größe ist die Vorstellung, dass Konzerne nicht die Preise bestimmen, absurd. ... Unternehmen sind keine Regelbefolger, sondern eher Regelmacher. Sie spielen Spiele, deren Regeln sie über die Politik maßgeblich mitgestalten." Bei der Rahmensetzung wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Kapitalgesellschaften werden zu groß, um erfolgreich zu sein

Leopold Kohr, österreichischer Ökonom und Politikwissenschaftler (1909-1994), beschrieb wie Wachstum schließlich zu Überkomplexität führt, die eine natürliche Grenze für die Größe von Organisationen setzt. Dies gilt auch für Kapitalgesellschaften, die aufgrund ihres übermäßigen Wachstums und ihrer Übergröße häufig unter "schlechtem Management" oder Kontrollverlust leiden. Kapitalgesellschaften wachsen oft so lange, bis ihr Management die Kontrolle verliert und scheitern. Man denke an GM, GE, Lehman Brothers, Kodak, Xerox, Motorola, Nokia, IBM, Philips, Boeing, VW und viele mehr.

Kapitalgesellschaften monopolisieren Märkte

Das haben die Joseph Schumpeter und Karl Polanyi vor über einem halben Jahrhundert festgestellt. Die Aktionäre verlangen von den Managern, dass sie immer höhere Gewinne erzielen. Um dies zu erreichen, müssen Unternehmen ihren Marktanteil ständig vergrößern, v.a. durch Fusionen und Übernahmen, und werden schließlich Oligopole und Monopole schaffen, zumindest auf unregulierten Märkten. Ein wettbewerbsfähiger Markt mit starken Konkurrenten und störenden Newcomern ist nicht das, was das Management von Kapitalgesellschaften will.

Mittelstand und Gemeinwohl

Mittelstandunternehmen sind in der Regel kleiner als Kapitalgesellschaften, die oft transnationale Konglomerate sind. Erstere haben in der Regel Eigentümer, die weniger wachstums- und gewinnorientiert sind, im Gegensatz zu spekulierenden Aktionären oder profitgierigen Aktienfonds.

Nach Angaben der Small Business Administration sind im Jahr 2023 mehr als 33 Millionen oder 99,9 Prozent der US-Firmen Kleinunternehmen und beschäftigen rund 62 Millionen Mitarbeiter oder 46 Prozent aller Beschäftigten im privaten Sektor. Große börsennotierte Kapitalgesellschaften waren schon immer eine Minderheit aller Unternehmen und beschäftigten schon immer eine Minderheit aller Arbeitnehmer. Die Medien befassen sich jedoch meist mit Kapitalgesellschaften, Finanzierung und Aktienkursentwicklung und nicht mit Unternehmen und Branchen als solchen. Das erklärt, warum die Mittelstandsunternehmen, und zwar die besten von ihnen, immer noch Hidden Champions der Wirtschaft sind.

Man kann davon ausgehen, dass die meisten kleineren Unternehmen zumindest außerhalb der großen Ballungsräume gut in ihre Gemeinden integriert sind, weil ihr Geschäft und ihr Ruf davon abhängen können. Zu ihren bestimmenden Merkmalen gehören Nachhaltigkeit und Robustheit, die auf einem längerfristigen Engagement der Eigentümer und Stakeholder beruhen. Hier haben moralische Werte aller Beteiligten eine größere Bedeutung, nicht nur der Gewinn.

Unternehmenseigentum und -zweck

Das Eigentumsrecht der Aktionäre in Kapitalgesellschaften mit beschränkter Haftung wurde von Adolf A. Berle (1899 - 1971) in Eigentum, Produktion und Revolution untersucht. Warum gibt es überhaupt Aktionäre? "Welchen Beitrag leisten sie, der sie zum Empfang der Hälfte der Gewinne des industriellen Systems berechtigt, die sie teils in Form von Dividenden, teils in Form von erhöhten Marktwerten aus nicht ausgeschütteten Unternehmensgewinnen erhalten? Die Aktionäre arbeiten nicht, ... um diese Belohnung zu verdienen. Sie sind nur aufgrund ihrer Stellung Begünstigte. Die Rechtfertigung dafür muss außerhalb der klassischen ökonomischen Argumentation gesucht werden."

Unternehmenseigentum sollte nicht nur ein Bündel von Rechten sein, sondern auch eine Reihe von Verpflichtungen und Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Adam Smith kritisierte die dunkle Seite des Privateigentums an Unternehmen, "... die abscheuliche Maxime der Herren der Menschheit - Alles für uns selbst und nichts für andere." Er akzeptierte auch "staatliche Eingriffe" in den Markt. Smith war der Ansicht, dass die politische Wirtschaft so organisiert sein sollte, dass sie allen und nicht nur einigen wenigen zugutekommt, und dass Wirtschaftsunternehmen in die Gesellschaft und das Gemeinwesen eingebettet sein sollten, anstatt sie zu beherrschen.

Das Eigentum an einem Unternehmen sollte Engagement und Vertrauen fördern, die für die Gesellschaft wichtig sind. Bis Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts wurden viele große Unternehmen noch von ihren Eigentümern geführt: Mit anderen Worten, der Zweck des Unternehmens wurde vom Eigentümer bestimmt. Das konnte tatsächlich der Profit der berüchtigten "Robber Barons" in den USA sein, oder auch philanthropische Zwecke, wie zum Beispiel viele christliche Fabrikbesitzer in Großbritannien verfolgten.

Gewinn war selten das alleinige Motiv für die Gründung eines Unternehmens., jedoch fast immer der Zweck der Gründung einer Kapitalgesellschaft. Natürlich kann sich der erklärte oder tatsächliche Zweck eines Unternehmens im Laufe der Zeit ändern, aber wenn sich ein Unternehmen in den Händen spekulierender Aktionäre oder gewinnsüchtiger Private-Equity-Fonds befindet, ist dieser fern von jedem gesellschaftlichen Nutzen.

Schlussfolgerung

Kapitalgesellschaften könnten einen so großen Einfluss auf Regierungen haben, dass ein quasi-Wirtschaftsstaat entsteht. Der Macht und dem Einfluss von Kapitalgesellschaften, insbesondere von Investmentbanken, sollten Grenzen gesetzt werden, auch um eine stabile und nachhaltige Wirtschaft zu gewährleisten. Für Eigentümer und Manager sollten persönliche Haftung und Rechenschaftspflicht gelten. Größe und Komplexität machen manche Kapitalgesellschaften schwer überschaubar, so dass eine Aufspaltung geboten erscheint. Kapitalgesellschaften sind häufig das Substrat für Managerismus und die Selbstprivilegierung von Managern. Die Eigentumsrechte und -pflichten der Aktionäre sollten reformiert und die Rechte der anderen Beteiligten (Stakeholder) gestärkt werden.

Mittelstandunternehmen sind in der Regel in Märkte, Gemeinschaft und Gesellschaft integriert, verursachen darum weniger Probleme und weniger Schaden für andere, und dienen dem Gemeinwohl besser.

Kapitalgesellschaften, insbesondere transnationale Konzerne, Konglomerate und Investmentbanken, sollten politisch entmutigt werden. Auf der anderen Seite sollten Unternehmen, die wichtige Interessengruppen respektieren und in die Gemeinschaft eingebettet sind, gefördert werden.

 

LITERATUR

  • William Magnuson (2022), FOR PROFIT - History of Corporations, Basic Books, New York.
  • Colin Mayer (2013), FIRM Commitment, Oxford University Press, Oxford.
  • Colin Mayer (2018), PROSPERITY - Better Business Makes the Greater Good, Oxford University Press, Oxford.
  • Kate Raworth (2017), DOUGHNUT ECONOMICS - Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist, Penguin Random House, London.
  • Managerismus-Website (Englisch) https://www.managerism.org/
  • Managerismus Website (deutsch) https://managerismus.com/