Diese Relecture konzentriert sich auf die Themen Marktwirtschaft und Unternehmertum.
Die wohl meistbenutzte Metapher der Ökonomie unserer Tage ist die „schöpferische Zerstörung"(1) von Joseph A. Schumpeter (neben der „unsichtbaren Hand" von Adam Smith). Diese Wortkombination kennzeichnet den Wesenskern der Marktwirtschaft.(2) Zwei Beispiele dafür: Die Entwicklung der Mikroelektronik ab den 1970er-Jahren und die darauf aufsetzende Digitalisierung wirken "zerstörend" auf weite Teile der Mechanik und der Elektrik. Eine schöpferische Fülle neuer digitaler Anwendungen ist schon etabliert oder im Anzug. Die gegenwärtige Substitution von Glüh- und Entladungslampen durch die auf der Halbleitertechnik basierenden LED (Licht emittierende Dioden) beginnt die Lichtquellenbranche gut 120 Jahre nach Thomas A. Edison zu revolutionieren. Die Wirkungsweise von Innovation in der Marktwirtschaft bzw. die Rolle ihrer wichtigsten Akteure, der Unternehmer, hat Schumpeter als Erster umfassend analysiert und eindrucksvoll beschrieben.
Ein ungewöhnliches Leben – ein unglaublich reiches Schaffen
Joseph A. Schumpeter (1883-1950) war - man möchte sagen - der Getriebene eines außerordentlichen Schaffungswillens, angefangen mit seinem theoretischen, über 600 Seiten umfassenden Erstlingswerk Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie von 1908(3), das die Aufmerksamkeit der Nationalökonomen auf sich zog; und endend mit dem epochalen, 1954 posthum veröffentlichten Werk History of Economic Analysis/Geschichte der ökonomischen Analyse(4), der Enzyklopädie ökonomischen Denkens.
Einer mährischen Industriellenfamilie entstammend, aufgewachsen in aristokratischem Ambiente und humanistisch herangebildet im Elitegymnasium Theresianum in Wien, studierte Schumpeter, wie damals in Österreich für Ökonomen obligatorisch, Jurisprudenz, Staatslehre(5) und dann Wirtschaftslehre unter den von ihm hochgeachteten Lehrern Carl Menger (1840-1929), Friedrich von Mises (1851-1926) und Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914). Während und nach seinem Studium pflegte er Kontakte zu Sozialisten (Otto Bauer, Emil Lederer, Rudolf Hilferding), in Berlin zur "Historischen Schule" und in England zu Vertretern der Neoklassischen Schule.
Das ökonomische Wunderkind wurde jüngster Professor der Donaumonarchie, zuerst in Czernowitz(6), Ordinarius in Graz, kurzzeitig Forschungsprofessor an der Columbia University/New York. Die europäische Katastrophe des 1. Weltkriegs durchkreuzte seine akademische Laufbahn. Der supranationalen Monarchie innig verbunden(7) und seiner pazifistischen Grundeinstellung folgend, bekämpfte Schumpeter die in St. Germain aufgezwungene Zerschlagung des Wirtschaftsraumes der Habsburger-Monarchie und setzte sich für eine Donauföderation ein. In dem turbulenten Wechseljahr 1919 war er kurzzeitig Finanzminister in der ersten Regierung des Sozialdemokraten Renner, wechselte in die Privatwirtschaft als Präsident der Bank Biedermann & Co., die infolge der allgemeinen Malaise fallierte. Dabei verlor Schumpeter sein Vermögen. Über eine lange Zeit wird er seine Schulden begleichen, indem er sein Talent als Publizist und Vortragender einsetzt. Seine Berufung nach Bonn (1924-1932) führte zu einem tiefen Verständnis einer "gemischten" Wirtschaft, zur Kenntnis über Kartellstrukturen, dem Nebeneinander von Konzernen und Familienunternehmen.(8) Während dieser Zeit ereigneten sich der Tod von Frau und Kind, Schicksalsschläge, die sein Gemüt nie mehr losließen.
In Harvard (1932) setzte Joseph A. Schumpeter neue Akzente als Proponent einer "wissenschaftlichen" Ökonomie. Er war Mitbegründer der Ökonometrie und holte mit Wassily Leontief einen mathematisch überaus versierten Mitstreiter. Der charismatische Lehrer aus Leidenschaft scharte um sich einen außergewöhnlichen Kreis von Schülern: Paul Samuelson, James Tobin, Paul Sweezy(10), Kenneth Galbraith(11). Obwohl Harvard durch Schumpeter zur ersten Adresse der Nationalökonomie in den USA wurde, war er mit der Universität nicht sonderlich zufrieden und mit sich nicht im Reinen.
Mehr als ein Ökonom - ein vielseitiger Sozialwissenschaftler
Nicht nur zu seiner Zeit war er der wohl vielseitigste Ökonom. Geldwesen, Fiskalpolitik, Wirtschaftszyklen, Ordnungssysteme waren seine Hauptinteressen. Mit seinem ausgeprägtem soziologischen Verständnis des "Kapitalismus" steht er in der Linie eines Max Webers und Karl Marx. Seine umfassende Bildung, Mehrsprachigkeit(12), Weltläufigkeit, sein nicht nachlassendes Forschungsinteresse und seine klare Schreibweise befähigten ihn wie keinen anderen zum Historiographen ökonomischer Ideen. Sein historisch-soziologisch-theoretischer Denkstil ist unter Ökonomen und Sozialwissenschaftlern die Ausnahme, heute mehr denn je.(13)
Joseph. A. Schumpeter vertritt einen "methodologischen Individualismus", was besagt, dass ökonomisches und gesellschaftliches Handeln als Aggregat von mehr oder weniger absichtsvollen Handlungen des Einzelnen gesehen wird.(14) Obwohl der "Österreichischen Schule" (im Englischen "Austrian School of Economics", verkürzt als "Austrians" bezeichnet) verpflichtet, wird er dieser trotzdem nicht zugerechnet, weil er einen unkonventionellen Denkansatz pflegte und insbesondere das wirtschaftssoziologische Thema Unternehmer/Entrepreneurship verfolgte. Schumpeter war immer unabhängig. Sich einer Gruppierung anschließen, war nicht seine Art. Zu seinem späten eigenen Bedauern hatte er seine Denkansätze nicht wie Alfred Marshall, Gustav von Schmoller oder John M. Keynes als Schule etablieren können.(15)
Im Unterschied zu Keynes war Schumpeter ein Vertreter der Langfristperspektive, vermied, wirtschaftspolitische Gebrauchsanleitungen zu verteilen, war ein scharfer Kritiker der sogenannten "Symbol Economy" - im Unterschied zur unmittelbar wertschaffenden Wirtschaft(16). Joseph A. Schumpeter war immer Forscher, Dialektiker, ein stets sachlich argumentativer Kritiker mit viel Ironie und manchem Selbstzweifel ausgestattet. Seine Lebenserfahrung machte ihn gewissermaßen zum Wirtschaftspragmatiker, der Kritik an der Rettung alter Industrien übte, selektive Kreditgewährung an Wachstumsbranchen befürwortete und vorübergehende Kartelle zum Schutz junger Industrien guthieß. Die analytische Grundeinstellung war von der Dynamik als der Konstanten wirtschaftlicher Vorgänge bestimmt. Gleichgewicht, vollkommener Wettbewerb waren danach keine normalen Zustände, sondern Grenzfälle, modellhafte Annahmen. Kurz: Ihm war das Denken in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, nicht determinierten Prozessen eigen, nicht dasjenige in Modellen.
Der Ökonom, der sich in seinen Beobachtungen und Analysen vielfach dem technischen Fortschritt widmete und sich dem Wandel verschrieb, war indes ein differenzierter liberaler Konservativer. Weil soziale Strukturen keine leblosen Gewebe sind, sollten nach seiner Vorstellung Übergänge mit erträglichen, besser noch mit möglichst geringen Einbußen an menschlichen Werten verbunden sein. Schumpeter schloss sich keinen modischen Strömungen an, die bekanntlich der akademischen Welt nicht fremd sind, sondern ging einen eigenen Weg. In seinen großen Studien treten die Tiefe des Verständnisses und eine Fülle von Bezügen hervor, die große umfassende, synthetische Denker auszeichnet; es ging ihm nicht um ein geschlossenes Lehrgebäude oder um universale Theorien, immer um Durchdringung und Erklärung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Phänomene.
In seinem wechselvollen Leben in der Turbulenz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - er lebte in neun Städten in fünf Staaten -, erlebte Joseph A. Schumpeter Abschnitte ausbleibender und Momente höchster Anerkennung. Ein Höhepunkt war das kurz vor seinem Tod gehaltene, mit Standing Ovations bedachte Hauptreferat als Präsident der American Economic Association, in der er sich mit der Subjektivität der Nationalökonomen auseinandersetzte.(18) In jüngster Vergangenheit wurde ihm, dessen Jugendwunsch es war, der beste Ökonom zu sein, eine Würdigung besonderer Art zuteil: Schumpeter wurde zum Economist of the 21th-Century erklärt.(19)
Marktwirtschaft - der unablässige Wandel
Stillstand und Marktwirtschaft waren für Joseph A. Schumpeter ein Widerspruch par excellence. Stillstand bedeutete, dass die Marktwirtschaft ihre ursprüngliche Kraft verloren hat und in eine andere Form des Wirtschaftens, nämlich des Sozialismus mit Planwirtschaft und Kollektiv abgleitet.(20) Der Marktwirtschaft wohnt die ständige Erneuerung inne, anders gesagt: Innovation ist systemimmanent, technischer "Fortschritt" ist endemisch. Die Marktwirtschaft besitzt einen unentwegten Expansionstrieb,(21) wie das vor Jahrzehnten noch für unwahrscheinlich gehaltene Vordringen in nahezu alle ehemaligen zentralgeleiteten Wirtschaftsräume, allen voran nach China, vor Augen führt.
Schumpeter betont die "Kreativität des Marktes", der immer neue Kombinationen der Güterbereitstellung hervorbringt(22) und ständig Unruhe verursacht durch das schwer bestimmbare Verhalten der vielen Marktteilnehmer bis zu Umbrüchen in Folge sogenannter "disruptiver Innovationen" (Clayton Christensen). Diese können vorübergehend Monopolsituationen mit außerordentlichen Gewinnen hervorbringen als Prämie für die Eröffnung neuer ökonomischer Welten. Er hat den Begriff Innovation neubelebt und diese als Wachstumsfaktor der Marktwirtschaft ins Zentrum gestellt.
Unternehmen kommt der Auftrag zu - oder anders gewendet sind sie dem Zwang ausgesetzt, ständig zu verbessern und zu innovieren. Unternehmen, die dieser schumpeterschen Maxime nicht folgen wollen oder können, geraten früher oder später ins wirtschaftliche Abseits. Wie Schumpeter früh feststellte, kommen Innovationen in vielen Variationen vor: als neue Produkte, Herstellungsmethoden, neue Märkte, neue Beschaffungsformen und -quellen und schließlich als neue Geschäftsmodelle. Der Wettbewerb wird über Technik, Beschaffung, Organisation, Produkte geführt, und nicht über den Preis allein. Innovative Alleinstellungen sind nach seiner Wahrnehmung in der Regel nicht von langer Dauer, weil sich andere Anbieter sogleich bemühen, das erfolgreiche Angebot zu imitieren und so die Monopolsituation wieder zu beseitigen.
Das Änderungsmoment der Marktwirtschaft bringt ein beträchtliches Maß an Zyklizität mit sich. Diesem Phänomen widmet Joseph A. Schumpeter hauptsächlich das Werk Business Cycles, in dem er sich mit dem "process of endogenous economic change" beschäftigt und 1939 mit der Begriffsbildung Kondratiew-Zyklen" dem großen russischen Nationalökonomen und Erfinder der langen (von über 50 Jahren) Wellen Ehre erweist. Die Zyklizität ist weitgehend selbstevident(23), wenn man die Wellen technischer Neuerungen im Zuge von Basisinnovationen, wie Elektrizität, Polymer-Chemie oder die Eisenbahn und später das Automobil betrachtet und die dahinterstehenden Unternehmer sieht. Wirtschaftliche Dynamik hat eine andere Qualität als eine "stabile Konjunktur". Gut verstehbar ist, dass Schumpeter diese Systemeigenschaft ganz anders bewertet hat als Ökonomen wie Keynes, deren Ziel es war, einen Gleichgewichtszustand herzustellen.
Marktwirtschaft ist für Schumpeter mehr als nur eine selbstregulierende Wirtschaftsordnung, sie ist eine "Kulturform", weil sie auf viele Bereiche des Lebens ausstrahlt und auf diese sogar - im Guten wie im Bösen - bestimmenden Einfluss nimmt, weil sie selbst nicht nur in den Augen ihrer Kritiker aggressiv, effizient, wertneutral ist. Die Schattenseite ist die schwer eingrenzbare Ökonomisierung der Gesellschaft,(24) die sich in Entfremdung zeigt: Das Überhandnehmen der Extraktion anstelle von Wertschöpfung und die Anonymisierung von Eigentum durch die Kapitalmärkte, bei der der Anteilsschein zum Spekulationspapier mutiert, Eigentum entwertet wird und Loyalität verloren geht.(25) Eine nicht regulierte Marktwirtschaft substituiert persönliche Beziehungen(26), verdinglicht Werte und schwächt die Bindekräfte einer Gesellschaft. Das kann so weit gehen, dass sich traditionelle Werte wie Bildung, Fleiß, Sparsamkeit, Wohltätigkeit im Säurebad der Märkte allmählich auflösen.
Joseph A. Schumpeter sah den Untergang der Marktwirtschaft für wahrscheinlich an. In seinen Worten: "Der Kapitalismus wird durch seine eigenen Errungenschaften umgebracht". Die Marktwirtschaft trägt den Keim des Untergangs in sich.(27) Die Ursachen für den langsamen Niedergang - er rechnete mit 50 bis 100 Jahren - sah er einerseits in der Ablehnung durch die Intellektuellen, die der materiellen Bedürfnisbefriedigung zunehmend kritischer gegenüberstehen, und andererseits im Einzug der Manager in die Leitung großer Unternehmen, die de-facto die haftenden Unternehmer ablösen.
Die Marktwirtschaft lebt von den für sie geschaffenen Voraussetzungen: Das sind durchsetzbare Eigentumsrechte, ein effektiver Wettbewerbsrahmen und eine zumindest moderat gelebte Tugendethik. Sind diese Voraussetzungen nicht (mehr) gegeben, kommt es zu Verwerfungen, die vom System nicht mehr korrigiert werden können.(28) Die zu seiner Zeit aufgetretenen betrügerischen Machenschaften in der Wirtschaft wertete Schumpeter nicht weniger als einen Verrat am marktwirtschaftlichen System.
Wenig bekannt ist, dass die katholischen Sozialenzykliken(29) in ihm einen großen Befürworter hatten, einer Wirtschaftsordnung, die korporatistische Züge hat und der von Ludwig Erhard praktizierten Sozialen Marktwirtschaft nahesteht.(30) In einem solchen System sah er einen Mittelweg zwischen einem ungezügelten Kapitalismus, dessen empfundene Ungleichheit die Akzeptanz der Marktwirtschaft in weiten Kreisen mindert(31), und einem Sozialismus, der dem Gleichheitsdiktat unterworfen sich in ein totalitäres System verwandelt. Schumpeter hielt die von politischen Parteien geschürten gegensätzlichen Interessen von Arbeitern und Unternehmern für schädlich. Vielmehr unterstellt er ein gleichläufiges Interesse, das auf den optimalen Nutzen für beide Parteien zustrebt. Die von Marx herbei geschriebene Verarmung der Massen sei durch den wachsenden Wohlstand der Arbeiter und den breiten sozialen Aufstieg ins Bürgertum unübersehbar widerlegt. Bleibende Interessensgegensätze erkannte er dagegen in den Gruppen, die der "Gegenwartslust" frönen und denjenigen, die Zukunftsvorsorge betreiben.
Schumpeter und Marktwirtschaft heute
Für eine Staatsgläubigkeit gibt es keine guten Gründe, so man Schumpeter im Ganzen interpretiert.
Die Macht des Staates tendiert immer dazu, sich auszuweiten, weil der "Steuerstaat" seine Ausgaben nicht einschränkt und sich in größter Regelmäßigkeit weiter verschuldet. Deficit spending hat langfristig keine nützliche Funktion, springt auf kurzatmige staatliche Programme mit schädlichen Nebenwirkungen, wie Mitnahmeeffekte und Vermeidung notwendiger struktureller Anpassungen. An dessen Stelle hält er das reinigende Gewitter von Konjunkturkrisen für einen unvermeidbaren, dennoch nützlichen Prozess.(32)
Die seit rund zehn Jahren vehement fortschreitende Digitalisierung impliziert mehr als eine der bisherigen Basis-/ Querschnittsinnovationen. Denn aller Voraussicht nach führt sie eine Umwälzung der Marktwirtschaft herbei. Nach Meinung von Kennern der Digital Economy bahnt sich eine andersartige Industrialisierung an und der Dienstleistungssektor wird von Grund auf verändert. Es ist alle Mühe wert, frühzeitig ein gutes Bild zu gewinnen, wie sich der Digital Divide auf die Gesellschaft auswirkt und ob die Wettbewerbspraktiken der Internet-Monopole/Oligopole (Apple, Google, Facebook), nämlich die Vermachtung von Märkten und die schwer kontrollierbare Anbindung von Anwendern, die die Marktwirtschaft aushebeln und sogar der Demokratie ein anderes Gesicht geben; was dagegen getan werden soll und wie die voraussehbaren sozialen Brüche abgefedert werden können. Die Annahme, dass die Marktwirtschaft durch das Internet, das anderen Regeln als denen der Industrialisierung folgt,(33) ausgehöhlt wird und die Politik nicht adäquat reagiert, ist wohl begründet.(34)
Als ein großes gesellschaftliches Problem wertete der Soziologe Schumpeter die Individualisierung, da durch sie der Zusammenhalt von Gemeinschaft und Gesellschaft nachlässt.(35) Innovation in Richtung höherwertiger Wertschöpfung, das ist eine ressourcenschonende und intelligente Vorgehensweise, ist der erfolgversprechende Weg einer Marktwirtschaft, auf den sich möglichst viele begeben sollten. Die Ökonomisierung bzw. Verdinglichung durch den "Kapitalkapitalismus" (im Unterschied zum wertschaffenden "Industriekapitalismus") ist zweifelsohne eine große Gefahr für ein gedeihliches Zusammenleben.
Die Lehre von der Ökonomie (und auch die BWL/Managementlehre) bedarf der immer häufiger angemahnten evolutorischen, realitätsnahen Sichtweise, der Einbeziehung der "Psyche" der Menschen und des Verhaltens von Gruppen. Hochgezüchtete Modelle und angeblich streng wissenschaftliche, klinische Verhaltensexperimente lenken in der Tat von einem guten Durchdringen sozialer und wirtschaftlicher Phänomene ab. Relevanz wird zu häufig von einer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit en détail verdrängt. Es ist keine leichtfertige Unterstellung, dass Schumpeter die weitere Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die sich aufhäufenden Machenschaften im Finanzsektor und den ausgeuferten Managerismus (gekennzeichnet durch Kurzfristigkeit, Wachstumsmanie, Gruppenegoismus, Haftungsvermeidung) als Verfallserscheinungen der Marktwirtschaft gebrandmarkt hätte.
Noch eine grundlegende Überlegung: Wirtschaftssysteme unterliegen offensichtlich einem Wandel. Die Marktwirtschaft ist davon nicht ausgenommen. Wenn ein bestimmter Grad materieller Erfüllung erreicht ist, verliert jeder Zugewinn an Anziehungskraft entsprechend der "Maslowschen Pyramide" bzw. der Grenznutzenlehre. Die Marktwirtschaft, die auf die Maximierung materieller, zunehmend künstlich erzeugter Bedürfnisse angelegt ist, droht, sich in der bisherigen Form allmählich selbst aufzuheben. Bedürfnisse oberhalb der materiellen Ebene, das sind die vielen Formen persönlicher, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Weiterentwicklung, bedingen in weitem Maße eine Zurückdrängung der Ökonomisierung und die Zähmung des Kapitalmarktes. Das bedeutet keinen System*wechsel*, aber eine deutliche Korrektur, eine Eingrenzung.
Die "Entdeckung" des Unternehmers
Wirtschaft ist das Ergebnis des Handelns von Menschen, vor allem von Unternehmern und nicht von Planung. (in Abwandlung des "History is the result of human action, but not of human design" von Adam Ferguson (1723-1817)
Die Marktwirtschaft setzt auf Unternehmer als Treiber des Fortschritts. Im Unterschied zum Arbitrageur , der Preisdifferenzen für seinen Handel ausnutzt, nimmt der "schöpferische" Unternehmer die Rolle eines Innovators ein, der Pionierleistungen erbringt und im Markt durchsetzt.(37) Ein Unternehmer schafft sich seine eigenen Kunden und Märkte. Das ist ein grundlegender Unterschied zu der damals en vogue befindlichen mechanistisch-marxistischen Annahme, dass die Wirtschaft und somit die Geschäfte eigentlich von selbst laufen.
Bereits 1911 hob Joseph A. Schumpeter in dem großen, zweiten Werk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung den Unternehmer als Gestalter von Neuem hervor, von jemandem, der ein Lebenswerk begründen will und darum alles tut, um Widerstände zu überwinden.(38) In nicht wenigen Fällen sind Unternehmer bestrebt, industrielle Familien-Dynastien zu schaffen, um auf diesem Wege ihr Erbe fortzupflanzen. Unternehmer sind die risikobereiten und erfolgshungrigen "Um- und Durchsetzer"; oft sind sie nicht die Erfinder. Die vorherrschende Motivation des Unternehmers ist nach seiner Beobachtung nicht Geld, sondern der Drang zu kreativem Gestalten, was bedeutet, Regeln zu brechen, traditionelle Geschäftsmodelle über Bord zu werfen, und darüber hinaus zum Siegen über Andere im Wettbewerb ("will to conquer... seeks out difficulties, changes in order to change, delights in ventures"(39)). Der Unternehmer ist der selbstermächtigte Destabilisator der Marktwirtschaft, der im Erfolgsfall reiche Früchte erntet, bei Misserfolg aber die harten Folgen zu tragen hat.
Worauf Joseph A. Schumpeter besonders aufmerksam machte, ist die Rolle des Unternehmers als Nachfrager nach Krediten, die für den Auf- und Ausbau von Geschäften benötigt werden. Unternehmer brauchen Banken als Vermittler und Aushändiger von Wagniskapital (eine Schumpetersche Begriffsbildung). Das Wechselspiel von Banken bzw. Financiers und Unternehmern beinhaltet die Konkurrenz um Kapital, die kritische Rolle der Banken bei der Auswahl der Investitionen, die Stellung des Unternehmers als Schuldner (seine unternehmerische Funktion ist nicht an Vermögen gebunden), der gemeinhin unbemerkte Vorgang der Geldschöpfung durch die Banken, die Konzentration der Kapitalgeber in urbanen Zentren. Während der Unternehmer Produkte und Leistungen bereitstellt, "produziert" der Financier in der Ausprägung des klassischen Investmentbankers Geld und Kredit. Große Bedeutung misst Schumpeter dem "entrepreneurial banker" bei.(40) Nur wenn Erfahrung, Menschenkenntnis und Weitsicht ausreichend vorhanden sind, besteht einigermaßen Gewähr, dass das Geld in erfolgversprechende Geschäfte investiert wird. Übrigens: Seine Beschreibung der Kreditvergabe vermittelt zuweilen den Anschein, dass es sich um eine neuzeitliche Venture Capital-Finanzierung handelte.
Joseph A. Schumpeter beobachtete, dass Innovation in stark zunehmenden Maße in Großunternehmen betrieben wurde, die über große FuE-Mittel verfügen und ganze Abteilungen auf Dauer an ein Thema setzen konnten. Wie die Industriegeschichte hinreichend belegt, lässt jedoch mit zunehmender Größe die Innovationsfähigkeit und -willigkeit häufig nach. Die Funktion des Unternehmers hielt er nicht ausschließlich auf Eigentümerunternehmen beschränkt, sondern erkannte, dass "unternehmerischen Managern" in Großunternehmen eine immer wichtigere Aufgabe zukommt.
Für die Ökonomie ist die Rolle des Unternehmers ein schwieriges Feld: Unternehmer sind keine Inputgröße wie Arbeit oder Kapital, weil es sich um eine systeminterne Triebfeder und um Individuen dreht. Der Einfluss von Unternehmern - obwohl einleuchtend, wenn man sich einen Steve Jobs, Bill Gates, Gordon Moore oder einen Werner von Siemens, Robert Bosch und Hasso Plattner vorstellt -, ist schwer aggregierbar, noch schwerer modellierbar, messbar; ist eben kein abgeleitetes Konstrukt. Das erklärt zu einem guten Teil, warum der "Humanfaktor" Unternehmer im Mainstream der mechanistisch-mathematischen Ökonomie eine Randerscheinung geblieben ist,(41) in der Managementlehre dagegen als Entrepreneurship einen immer größeren Platz einnimmt.
Schumpeter und Unternehmer heute
Marktwirtschaft bedeutet zuvorderst, Wertschöpfung zu betreiben, die dem Menschen nützt. Und das verlangt ständige Innovation. Unternehmer und innovierende Manager sorgen dafür, dass dieser "schöpferische Prozess" in Gang gehalten wird. Dynamische Volkswirtschaften verfügen über viele unternehmerische Talente, während stagnierenden diese abgehen oder diese in ihrem Wirken eingeschränkt werden. Unternehmerisch Eingestellten sollten stets ausreichende Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden und eine entsprechende soziale Anerkennung erfahren(42). Der größte Teil der Bevölkerung eines Wohlfahrtsstaates nämlich richtet sich in der Rolle der abhängig Beschäftigten und Beamten ein und ist, wie Studien darlegen, dabei obendrein in großer Zahl wenig motiviert. Engpass wirtschaftlicher Entwicklung sind, vor allem in Europa, unternehmerische Talente, das sind Gründer, "Mittelständler" bzw. Familienunternehmer. Großunternehmen sollten durch dezentrale Organisation, große Autonomie und die Stärkung von Verantwortung Freiräume zu schaffen und so "unternehmerische Manager" zu fördern. Dazu sind mitunter radikale Schnitte notwendig, nämlich die Aufspaltung und Abspaltung von Geschäften. Noch eine Anmerkung: Too Big To Fail war für Schumpeter ein untragbarer Zustand.
In den wohlstandsskeptischen Intellektuellen sah Joseph A. Schumpeter eine veritable Gefahr für die Marktwirtschaft. In unserer Zeit erweist sich eine andere Gruppe als gefährlicher, nämlich die ambivalente Gruppe der Manageristen. Diese sehen sich als Agenten des Shareholder-Value und nutzen ihre Funktion zur eigenen Vorteilnahme. In den letzten 20-30 Jahren haben diese Angestelltenmit weitestgehendem Haftungsausschluss die Akzeptanz der Marktwirtschaft stark beschädigt; doch darin sind sie nicht allein, denn die betrügerischen Machenschaften und das riskante Geschäftsgebaren der Finanzindustrie unter Mitwirkung oder Zusehen der Aufsichtsorgane und der Politik taten ein Übriges, die Marktwirtschaft und den Finanzsektor im Besonderen in Misskredit zu bringen. Die selbstinduzierte, systematische Vorteilsnahme der Manager(isten) in Form unverhältnismäßiger, intransparenter Vergütung unterminiert die Bindung der Betriebsgemeinschaft und wird, vor allem wenn keine unternehmerische Leistung dahinter steht, zum ständigen groben Ärgernis für weite Teile der Bevölkerung. Managervergütung und soziale Entpflichtung sind Hauptursache des Vertrauensschwundes der Marktwirtschaft und eine Ursache zunehmender Ungleichheit. Drastisch gesagt: Die angeblichen Treuhänder agieren zuvorderst als Nutznießer in eigener Sache. Schumpeter sah die Banken noch als umsichtige Financiers von Unternehmen und somit als Partner der Realwirtschaft. Nicht vorhersehbar war die Wucherung der Nominalwirtschaft mit massenhaften, ultraschnellen Transaktionen, der extremen Hebelung mit billigem Fremdkapital und der vorweggenommenen, exzessiven Bonifizierung: alles ohne Bezug zu realer Wertschöpfung.
Kurz: Der Problemfall ist eingetreten und noch längst nicht ausgeräumt.
Der Ökonom, Soziologe, Historiker und Wirtschaftspragmatiker Joseph A. Schumpeter war im Grunde genommen Vertreter einer sozialen, unternehmerischen Marktwirtschaft. Dem "Marsch in den Sozialismus", womit er im Wesentlichen die Abkehr von einer "unternehmerischen Markwirtschaft" meinte, war er abgeneigt, wiewohl hielt er ihn für wahrscheinlich, gar unvermeidlich. Seine düstere Voraussicht hat sich in Teilen bewahrheitet. Manageristen haben im Finanzwesen und Teilen der Industrie und des Dienstleistungssektors insbesondere Publikumsgesellschaften vereinnahmt, Märkte vermachtet und ihren eigenen Vorteil maximiert. Fonds, insbesondere die Hedge-und Private Equity-Varianten, haben sich als anonyme Kapitalsammelstellen zu einflussstarken, einzig am Shareholder Value ausgerichteten Corporate Governors aufgeschwungen.
Die Marktwirtschaft ist ein inhomogenes Gebilde im Weltmaßstab geworden, ein Mixtum compositum von kleinen und großen inhabergeführten Unternehmen, wie ihn der deutsche Mittelstand verkörpert, Megakonzernen mit einer Eigentümerstruktur, bei der die größten Anteilnehmer, die wiederum Fonds sind, wenige Prozent auf sich versammeln, von staatskapitalistischen Unternehmen chinesischer und anderer Prägung. Spiegelbildlich gilt dies auch für den Finanzsektor, der mit noch weniger Eigentümernähe und unglaublich geringem Haftungskapital auskommt. Aber nicht nur große Teile der Unternehmenslandschaft haben unübersehbar gewisse "sozialistische" Züge angenommen, auf staatlicher Ebene zeigen sie sich deutlich, so man sich den Umfang staatlicher Betätigung und die Entmündigung der Bürger vor Augen führt.
Eine hochproduktive Wirtschaft in den Industrieländern stößt an Wachstumsgrenzen, was den Ressourcenverbrauch und die zunehmende Sättigung materieller Bedürfnisse betrifft. Soll die Marktwirtschaft sich weiter entwickeln (was nicht gleichbedeutend mit hohem Wirtschaftswachstum ist), dann muss sie unternehmerisch, Innovationen gegenüber aufgeschlossen, und an faire Spielregeln gebunden sein bzw. in einer Reihe von Industrie- und Schwellenländern erst (wieder) werden. Die Soziale Marktwirtschaft bietet sich als hoffungsvolle Alternative an: nicht in der alimentierenden, gegenwartsfixierten Form, jedoch als eine die Entfaltung des Einzelnen und das Wohl von Gemeinschaft und Gesellschaft fördernde Wirtschaftsordnung.
Manfred Hoefle, 16. Dezember 2014
Literatur
- Chandler, Alfred, D.: Scale and Scope, Harvard University Press, MA 1990.
- Drucker, Peter, F.: Innovation and Entrepreneurship - Practice and Principles, Harper & Row, New York 1985.
- Heilbroner, Robert, L.: The Worldly Philosophers, Simon & Schuster, New York 1976.
- Hoefle, Manfred, J.: Managerismus, Wiley-VCH, Weinheim 2010.
- Johnston, William, M.: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte – Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938, Böhlau, Graz 1974. (Originalausgabe: The Austrian Mind – An Intellectual and Social History 1848-1938; University of California Press 1972).
- Kurz, Heinz D. (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 2, Beck, München 2009.
- McCraw, Thomas, K.: Prophet of Innovation: Joseph Schumpeter and Creative Destruction, Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, MA/London 2007.
- Swedberg, Richard: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie, Klett-Cotta, Stuttgart 1994.
- Encyclopedia Britannica (Capitalism, by Joseph, A. Schumpeter), Economist (In praise of entrepreneurs), Wikipedia.
Wichtigste Werke von Joseph A. Schumpeter:
- Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, Duncker & Humblot, Leipzig 1908. Neuauflage: Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf, 34. Ausgabe 1991.
- Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung: eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Duncker & Humblot, Leipzig 1912. Neuauflage: unveränderter Nachdruck der 4. Aufl. 1934, Leipzig, 369 S., Hamburg 1993. Englisch: Theory of Economic Development. An Inquiry into Profits, Capital, Credit, Interest, and the Business Cycle, Harvard University Press, Cambridge, MA 1934.
- Business Cycles. A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process, Mac Graw-Hill, New York 1939.
- Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Francke, Bern 1946.
- Geschichte der ökonomischen Analyse, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1965.
Hinweis: Im Schumpeterschen/wissenschaftlichen Verständnis sind Marktwirtschaft und Kapitalismus gleichbedeutend. Der Begriff "Kapitalismus" ist heute im Deutschen ideologisch, kritisch aufgeladen.
Anmerkungen
(1) Zum ersten Mal als „Perennial gale of creative destruction" in: Capitalism, Socialism and Democracy. p. 139.
(2) In der Wirtschaftswissenschaft sind Kapitalismus und Marktwirtschaft gleichbedeutend; so werden sie in dieser Denkschrift behandelt.
(3) Dieses später in mehrere Sprachen übersetzte Werk war seine Habilitationsschrift an der Universität Wien.
(4) The History of Economic Analysis umfasst die gesamte Geschichte ökonomischen Denkens, von den Anfängen bei Plato bis Keynes. Der Umfang dieses Werkes, das ihn mehr als 10 Jahre des Forschens und Schreibens „kostete" und ihn an die Grenzen seines unbändigen Leistungsdrangs brachte, entspricht allein etwa acht durchschnittlichen Büchern. Dieses Werk wurde von seiner Frau, Elisabeth Boody Schumpeter, einer höchst fachkundigen "Mitarbeiterin", 1954 herausgebracht.
(5) Die juristische „Grundausbildung" ist den Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie an der Breite ihrer Denkansätze und an der prägnanten Ausdrucksweise anzumerken.
(6) Bis 1914 Hauptstadt des Kronlandes Bukowina, heute Westukraine.
(7) Zeitlebens behielt Schumpeterein inniges Verhältnis zu "Altösterreich".
(8) Ein bekannter Bonner Student war Erich Schneider, Ordinarius an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft und Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik.
(9) Zusammen mit dem norwegischen Ökonom und Statistiker Ragnar Frisch, der 1973 den ersten Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt.
(10) Sohn eines Bankiers, US-amerikanischer Nationalökonom, marxistischer Verleger.
(11) Die Bandbreite (liberal, marxistisch) und Exzellenz (zwei "Nobelpreisträger": Samuelson, Tobin) ist beeindruckend.
(12) Schumpeter konnte in jungen Jahren die gesamte Literatur in den Originalsprachen lesen: angefangen vom Griechischen des Aristoteles und dem Latein der Scholastiker , über das Französische des Léon Walras, Jean Baptiste Say, Baron de Turgot und Frédéric Bastiat, das Italienische von Vilfredo Pareto, das Spanische von Fernández Navarrete, auch Holländisch und Schwedisch, bis zum Englischen, seiner Sprache der letzten 20 Jahre.
(13) Schumpeter sah im Verstehen von Geschichte ein unverzichtbares Gegengewicht zu ideologischer Voreingenommenheit und einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Entwicklung ökonomischer Modelle.
(14) Das ist eine klare Abgrenzung zu dem (damaligen) kollektivistischen Mainstream, der sich als ganzheitlich ausgab.
(15) Schumpeter hielt sich mangelnde "Leadership" vor. Namhafte "Neo-Schumpeterians": William Baumol , Stanley J. Metcalfe (Evolutionary Economics and Creative Destruction), Nathan Rosenberg.
(16) Keynes macht die begriffliche Unterscheidung zwischen "Real Economy" / Realwirtschaft (Güter und Leistungen) und "Symbol Economy", womit die Nominalwirtschaft (Geld und Kredit) gemeint ist.
(17) Diese Einstellung hatte er mit den "Austrians" Ludwig von Mises, Friedrich A. von Hayek, Gottfried von Haberler, Fritz Machlup gemein. John K. Galbraith bezeichnete ihn als „the most sophisticated conservative of this century".
(18) Der Titel hieß: "Science and Ideology" (American Economic Review 29 (March 1949), pp. 345-359. Seiner Berufung zum Präsidenten der International (1950) Economic Association konnte er nicht mehr Folge leisten.
(19) Keynes dagegen gilt vor allem wegen seiner Staatsnähe und des Deficit Spending, als Ökonom des vergangenen Jahrhunderts.
(20) Diese Erscheinung wird von Schumpeter unter dem Rubrum "Marsch in den Sozialismus" (in Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 1 (1950), H2, S. 101-112) beschrieben.
(21) In Schumpeters Worten: "Without innovations, no entrepreneurs, without entrepreneurial achievement, no capitalist returns and no capitalist propulsion. The atmosphere of industrial revolutions - of "progress" - is the only one in which capitalism can survive." (aus Business Cycles, 1939, p. 127)
(22) Im Unterschied zu August von Hayek, der Wissen und "Spontane Ordnung" hervorhebt, und zu Ludwig von Mises, der vollends auf die Selbstregulierungskraft des Marktes abhebt und darum dezidiert gegen alle Interventionen ist.
(23) Schumpeter versuchte vergeblich eine Exaktheit (Eintrittsfall und Umfang) der Wellenbewegungen herauszufinden. Die von ihm selbst vertretene Indetermination wirtschaftlicher Entwicklung bestätigte sich augenscheinlich.
(24) Dazu wurde in letzter Zeit geschrieben, namentlich: Was man für Geld nicht kaufen kann - die moralischen Grenzen des Marktes von Michael J. Sandel (US-Philosoph, Vertreter der kommunitaristischen Bewegung von Robert (Ökonom und bedeutendster Keynes-Biograph), und Edward Skidelsky (Philosoph): Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. Die Frage von Glück, Wohlergehen, Zufriedenheit beschäftigt zunehmend die Sozialökonomie. Schumpeter wagte bewusst keine Aussage darüber, ob Menschen im Mittelalter glücklicher/zufriedener waren als die seiner Tage.
(25) Schumpeter : "Indem der kapitalistische Prozess ein bloßes Aktienpaket den Mauern und Maschinen substituiert, entfernt er das Leben aus der Idee des Eigentums" (Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 176)
(26) Eine treffende Charakterisierung: "free to make a mess of their lives "; 1954, p. 129.
(27) "The patient is dying of a psychotic ailment; not cancer but neurosis is his complaint; filled with self hate, he has lost his will to live". (Capitalism, Socialism and Democracy, 1942. p. 415).
(28) Das erinnert an das Diktum des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." (Staat, Gesellschaft, Freiheit; 1976, S. 60)
(29) Quadrogesimo Anno von Papst Pius XI (1931) und Rerum Novarum von Leo XII (1891).
(30) Schumpeter in: Capitalism, Socialism and Democracy, 2nd. ed., pp. 387ff.
(31) Akzeptanzschädigend sind vor allem die als ungerechtfertigt empfundenen Vergütungen von Top- und Finanzmanagern.
(32) Hyman P. Minsky (1919-1996) US-Ökonom (Post-Keynesianer), Schüler von Schumpeter, entwickelte eine bis 2007 wenig beachtete Theorie der Krisenanfälligkeit des Kapitalismus infolge unseriöser Kreditfinanzierung ("Minsky-Moment/Paradox").
(33) Geringe Einstiegsbarrieren, breiter Rückgriff auf öffentlich finanzierte wissenschaftliche Vorleistungen, starke Modularisierung des FuE-Prozesses, massive Marketinginvestitionen zum Scaling-up bzw. zur raschen Internationalisierung, die Extraktion von Userinformationen zu deren Lock-in waren noch vor fünf Jahren so kaum vorstellbar.
(34) Schumpeter widmete sich insbesondere den Umwälzungen durch die Eisenbahn und das Automobil.
(35) Der Soziologe Daniel Bell (1919-2011) machte 1976 in der Schrift "The Cultural Contradictions of Capitalism" eine anbrechende Krise marktorientierter, konsumgesättigter Gesellschaften aus, die aus dem Widerspruch herrührt, dass der Konsum als notwendige Antriebskraft der Wirtschaft gebraucht, jedoch durch den Konsumismus dauerhaft geschwächt wird.
(36) Im Unterschied zu Schumpeter sieht Israel M. Kirzner, der dem Ansatz von Mises folgt, im Unternehmer denjenigen, der verfügbare Ressourcen nutzt; also in der markträumenden Rolle des Arbitrageurs.
(37) Der Begriff Entrepreneur geht auf den Bankier und Ökonomen Richard Cantillon (1680-1734) zurück. Später differenzierte Jean-Baptiste Say (1767-1832) zwischen Kapitalist und Unternehmer. Alfred Marshall (1842 - 1924), einflussreichster englischer Nationalökonom, nahm den Begriff auf, nachdem sich kein besseres englisches Wort für risikobereite "Durchsetzer" gefunden hatte.
(38) Der große Managementlehrer Peter F. Drucker (1909-2005) hob wiederholt diese singuläre Leistung J.A. Schumpeters hervor: ".. Schumpeter broke with the traditional economics - far more radically than John Maynard Keynes was to do twenty years later. He postulated that dynamic disequilibrium brought on by the innovating entrepreneur,....(1986/1993, p. 27. Drucker weitete Entrepreneurship ebenso wie Management auf den Non-Profit-Sektor (Gesundheitswesen und Erziehung) aus. Heute wiederum ist der Begriff des Social Entrepreneur im Schwang, was zeigt, dass positiv besetzte Begriffe wie Leadership und Entrepreneurship meist von einschlägigen Consultants in Beschlag genommen werden.
(39) Schumpeter in Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung; 1912/1934/1961, pp. 93-94.
(40) Bis Mitte der 1980er-Jahre betrieben Investmenthäuser, u. a. die Chemical Bank, in Business Zeitschriften PR, indem sie als Zeichen des Schulterschlusses die Leiter von Unternehmen oder Großprojekten zusammen mit ihren Finanzberatern mit Namen und Funktion abbildeten.
(41) Die Ökonomie ist heute in einem schwer verstehbaren Maße "menschenleer" oder "anonym", obschon das wirtschaftliche Geschehen auf Entscheidungen und Handlungen von Menschen beruht. Vertreter von Entrepreneurial/Managerial Economics sind rar wie Edmund Phelps und David Audretsch.
(42) In den sogenannten „Gründerjahren" und Jahren des „Wirtschaftswunders" genossen Unternehmer ein vergleichsweise hohes soziales Ansehen.