Durch die Wirtschaftskrise im Allgemeinen und die Korruptionsaffären u. a. bei Siemens im Speziellen sind die Aufsichtsräte in die Kritik geraten. Man wirft ihnen vor, ihrer Aufgabe nicht nachgekommen zu sein und ihre Aufsichtspflicht nicht erfüllt zu haben. Immer lauter werden die Stimmen, die nach einer Änderung des Vergütungssprinzips für die Aufsichtsratstätigkeit rufen. Von prominenten Aufsichtsräten kam dazu der Vorschlag, und Pressevertreter, wie z.B. Karl-Heinz Büschemann von der SZ, stießen in das gleiche Horn, man solle die Sitzungsgelder für die Aufsichtsräte erhöhen. Das Argument: Aufsichtsräte, die besser bezahlt werden kontrollieren auch besser. Dieses Argument kann nicht unwidersprochen bleiben. Unterstellt es doch, dass, wenn Aufsichtsräte in der Vergangenheit schon mehr Geld bekommen hätten, sie ihrer Aufsichtspflicht genügt und getan hätten, was ihre Pflicht gewesen wäre. Die bisherige Entlohnung reichte als Motivation dafür offenbar nicht aus.
Das Aktienrecht sieht eine angemessene Entlohnung der Aufsichtsräte vor. Was angemessen ist oder nicht, wurde allerdings bisher nicht näher definiert. Der entscheidende Einwand gegen diesen Vorschlag aber ist der, dass eine höhere Vergütung der Aufsichtsräte nicht zu einem kritischeren Engagement und verbesserter Aufsichtsfunktion führt.
Es widerspricht jeglicher Logik und Erfahrung, dass eine bessere Bezahlung der Aufsichtsräte durch die Unternehmen, die sie kontrollieren sollen, diese motivieren würde, ihre Kontrollfunktion zu verschärfen und ihre Arbeit zu intensivieren. Oder kann man vielleicht erwarten, dass ein Aufsichtsrat für „eine Handvoll Euro" mal einen Vorstandsvorsitzenden eines anderen Unternehmens, der bei ihm im Aufsichtsrat sitzt und mit dem er seit Jahren in anderen Aufsichtsräten in freundschaftlicher Kollegialität zusammen arbeitet, auf die Finger klopft und eine peinliche, imageschädigende Diskussion vom Zaum bricht, weil er Fehler in dessen Unternehmensführung erkennt? Wohl kaum. Das Problem der mangelnden Kontrolle der Unternehmen durch die Aufsichtsräte liegt woanders.
Fehlende Unabhängigkeit als Hauptproblem
Deutsche Aufsichtsräte sind in der Regel nicht unabhängig und darin besteht das entscheidende Problem. Aufsichtsräte werden von den Vorständen der Unternehmen ausgesucht und vorgeschlagen, die sie später kontrollieren sollen. Ihre Vergütung ist wie bei Vorstandsgehältern häufig an Unternehmensgewinn und/oder Dividende gekoppelt. Geht ein Vorstand hohe Risiken ein oder verbessert den Unternehmenserfolg durch Verkäufe, profitiert auch der Aufsichtsrat. Und je mehr ein Aufsichtsrat verdient, umso mehr hat er ein natürliches Interesse, diese lukrative Aufgabe zu behalten. Eine höhere Bezahlung führt also nicht automatisch zu mehr kritischen Engagement.
Dazu sitzen in der Regel die wichtigsten Kontrolleure in mehreren Aufsichtsräten und kommen so inzwischen schon auf mehr als eine Million Euro an Vergütungen. Ein Blick auf die wichtigsten Unternehmen zeigt auch: Man kontrolliert sich gegenseitig, ein Netz von Beziehungen ist so entstanden. Sie scheinen sich mehr als Repräsentanten der entsandten Unternehmen denn als Aktionärsvertreter zu verstehen und unterliegen damit offenbar einem ungeschriebenen Ehrenkodex, der es ihnen verbietet, die Leitung des beaufsichtigten Unternehmens also quasi Berufs- und Standeskollegen – bloßzustellen. Denn bei wechselseitiger Unternehmenskontrolle könnten diese ja umgekehrt bei der nächsten Sitzung im eigenen Unternehmen ebenfalls kritische Fragen stellen.
Ein Grund für das Versagen: Gruppendenken und Gruppensolidarität
Die Aufsichtsratstätigkeit ist ein heikles Amt, sowohl für die Vertreter befreundeter Firmen als auch für die Vertreter der Mitarbeiter und leitenden Angestellten. Selten wurde bekannt, dass Aufsichtsräte überteuerte Übernahmen oder Geschäfte verhindert haben. Schon gar nicht haben Aufsichtsräte, die ja auch in Prüfungsausschüssen sitzen, Schmiergelder oder schwarze Kassen in den Büchern entdeckt. Hinzu kommen Gruppengeschlossenheit und Einmütigkeitsstreben, das überall erwartet wird. Abweichende Meinungen oder gar abweichendes Abstimmungsverhalten finden kein Verständnis. Das alles hat für das Unternehmen den Charme, dass es von Aufsichtsräten kontrolliert wird, bei denen Gruppensolidarität wichtiger ist als die kritische Auseinandersetzung mit objektiven Fakten.
Vorschlag für mehr Unabhängigkeit
Umso wichtiger wäre es daher, dass die Kontrolleure in jeder Hinsicht unabhängig sind. Wechselseitige Verflechtungen der Aufsichtsgremien fördern die gegenseitige Abhängigkeit, sie dürfen daher nicht zugelassen werden. Aus diesem Grund ist die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf z. B. zwei pro Person zu begrenzen. Als Entschädigungen sollten feste Vergütungen entsprechend dem zeitlichen Aufwand vereinbart werden. Aufsichtsräte tagen nur wenige Male im Jahr, auch dies verhindert eine wirksame Kontrolle. Eine Erhöhung der Sitzungsfrequenz würde das Gremium von einer bloß formalen Veranstaltung zu einem echten Arbeitsgremium umformen, in dem anstehende wichtige Entscheidungen nicht nur abgesegnet werden, sondern in dem diskutiert wird und um die besten Argumente und Lösungen gerungen wird, ganz im Sinne einer besseren Unternehmensaufsicht. Es würden sich dann auch die getrennten Vorbesprechungen der Anteilseigner- bzw. Arbeitnehmerseite erübrigen. Wo erforderlich, bieten sich stattdessen themenbezogene Arbeitsgruppen an.
Wer also kann eine fundierte und zugleich unabhängige Unternehmensaufsicht leisten? Welche Mechanismen sind zu ändern? Als Kontrolleure bieten sich z.B. Kanzleien von Wirtschaftsprüfern, Aktionärsschutzvereinigungen und Wissenschaftler an. Sie verfügen über fachliche Kompetenz, nicht aber über das spezifische unternehmensunmittelbare Wissen. Daher muss nicht nur die personelle Besetzung, sondern auch der Informationsfluss verbessert werden.
Bedenkliches Versagen der Wirtschaftsprüfer
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben als hauptamtliche Kontrolleure in den vergangenen Jahren die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Wenn selbst eine große Prüfungsgesellschaft wie die KPMG mit mehreren tausend Mitarbeitern weltweit nichts zur Aufklärung der Unternehmensskandale beitragen und weder bei Siemens noch bei Daimler und MAN Hinweise auf Korruption erkennen konnte, dann muss das Problem anders angegangen werden. So müssten Hinweise auf schwarze Kassen und dubiose Beraterverträge als Informationen direkt an den (unabhängigen) Aufsichtsrat gelangen. Ein sog. „Whistleblower-Gesetz", das es in den meisten europäischen Ländern gibt, ermutigt Mitarbeiter aus dem Unternehmen, sich direkt an die Kontrolleure zu wenden und damit deren Position zu stärken.
Nicht vertretbare Einschränkungen der Aufsichtsaufgabe
Dass Aufsichtsratsmitglieder Akteneinsicht nehmen können, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, anders können sie ihrem Prüfungsauftrag kaum nachkommen. Anders als aber beim Informationsrecht räumt das Aktiengesetz beim Einsichtsrecht in § 111 Abs. 2 zwar dem Aufsichtsrat – nicht jedoch einem einzelnen seiner Mitglieder – die Befugnis ein, in alle zur Ausübung seiner Kontrollfunktion wesentlichen Unterlagen Einblick zu nehmen. Diese Regelung kann nicht im Sinne der Aktionäre und eigentlich auch nicht des Gesetzgebers sein. Die Einsicht in Verträge und Bücher muss Aufsichtsräten auf Antrag einzeln oder mindestens in Gruppen erlaubt sein.
Fazit: Nicht die Höhe der Bezahlung, sondern die Unabhängigkeit und Kompetenz der Kontrolleure sind die wichtigsten Kriterien für eine effektive Kontrolle.
Birgit Grube, langjähriges Aufsichtsratsmitglied der Siemens AG, stellvertretende Vorsitzende im Verein von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG e.V. und lange Jahre Mitglied im Beirat der Hans-Böckler-Stiftung.
Verein von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG, e.V.