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Managerismus
Denkschrift Nr. 16
12.10.2015

Culture Change - Anspruch voller Widersprüche

von Manfred Hoefle

 

 

Zum Kulturwandel von Unternehmen mit Schwerpunkt Siemens

 

Zusammenfassung

Im Management besagt eine selten hinterfragte Behauptung, dass sich alles in immer schnellerem Tempo verändert: bei den App's, den Devices, den Programmen, den Produkten, den Prozessen, den Systemen und Geschäftsmodellen; und weil das so sei, müssten sich Unternehmensführung und -kultur gleichermaßen ändern. Aus dieser Scheinlogik erklärt sich das modische Auftauchen von Change Management und Cultural Change, von Consultants und Coaches eifrig befördert und als lukratives Geschäft entdeckt.

Blickt man stellvertretend für andere Großunternehmen bei Siemens ein Vierteljahrhundert zurück, stellt man fest, dass auch früher schon ein sich beschleunigender Wandel beschworen wurde. Die Anforderungen waren im Wesentlichen gleichlautend: flexibler, einfacher, schneller, innovativer, qualitätsbewusster zu werden, besser zusammenarbeiten, den Mitarbeitern mehr Verantwortung geben, Blick und Handeln über organisatorische Grenzen hinweg auf die Vision zu richten. Um dies zu bewirken, wurden aufwändige Change-Programme mit neuen Methoden und smarten Tools aufgelegt. Ausgeblieben sind meistens beständige, spürbare Erfolge.

Woran liegt das systemische Versagen des angestrebten Kulturwandels? Es sind die Widersprüche, die zwischen Reden und Tun liegen, an den unterschiedlichen, sich widersprechenden Botschaften, die an die Adresse des Kapitalmarktes, der Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten gerichtet werden; beispielweise wenn von Mitarbeitern verlangt wird, sich eigenverantwortlich, wie Eigentümer verhalten zu sollen und gleichzeitig dem Unternehmen ein enges Netz von Compliance und Controlling übergeworfen wird. Verantwortung verlangt Vorschuss an Vertrauen, Misstrauen unterstellt Fehlverhalten. Culture Change verlangt neben Vertrauen, Freiräume und Zeit. In Unruhe gedeiht kein Wandel.

Auf acht typische Widersprüche wird eingegangen und das Dilemma aufgezeigt. Voraussetzung für eine gelingende Pflege der Unternehmenskultur ist, ein stimmiges Bild verinnerlicht zu haben, das vom CEO vorgelebt - und vom Aufsichtsratsvorsitzenden eingefordert wird und auf der anderen Seite grobes Fehlverhalten an der Spitze bis zur Basis sanktionieren. Strukturen, die nicht mitwachsen wollen, Seilschaften, die sich auf Kosten des Unternehmens begünstigen, sind mit sichtbarem Nachdruck aufzulösen. Und die Arbeitnehmervertreter müssen für Zukunftssicherung entscheiden, statt sich an Besitzstandwahrung klammern.

Ohne Glaubwürdigkeit ist Cultural Change von Anfang an zum Scheitern verurteilt, bleibt dieser eine potemkinsche Veranstaltung. Glaubwürdigkeit zeigt sich am besten in der Personalentwicklung: welche Leute werden befördert, wie funktioniert Belohnung (im Unterschied zur Incentivierung), werden Erfahrungsträger wertgeschätzt.

Allen muss klar sein, dass Wandel eine positive Grundhaltung verlangt, geht es doch um nicht weniger als das Unternehmen der nächsten Generation in guter Verfassung zu übergeben.

Eine wiederkehrende Modeerscheinung

Die Vokabel Culture Change trägt - das weiß man eigentlich - etwas Modisches, Aktionistisches in sich. So wird auf dem Change Congress 2015 des Handelsblatt-Fachmedien-Verlages in Düsseldorf im Herbst dieses Jahres über "Wandel-Strategien" doziert, soll zu Future Mindset und Culture parliert und Strategien gegen die Angst, im Wandel die Orientierung zu verlieren (Lost in Change") präsentiert werden; ungeachtet dieser Angst wird eine maximale Change-Agility verlangt, um schlussendlich bei so verwirrenden Themen wie Theorie U und Persencing, Lean Change Management, Digital Leadership ("Touch me if you can") zu landen. Fast verloren lugt ein deutschsprachiger Titel hervor: "Achtsamkeit als Handlungskompass", der Expeditionen zu den Organisationen der Zukunft in Aussicht stellt.

Das Aktionistische zeigt sich in der Anmutung, dass man den Kulturwandel neben, besser zusätzlich zum normalen Geschäft "managen" kann und muss; das, wo sonst immer Führung /Leadership - ein den Klienten schmeichelndes Lieblingswort der Berater - als die Kernaufgabe und das tägliche Geschäft des Managements hingestellt wird, verlangt der Auftrag an das Management nicht mehr und nicht weniger als dass ein Verhalten praktiziert wird, das das Unternehmen erfolgreich macht und darum sich bemüht, es in einem guten Zustand an die Nachfolger zu übergeben. Auf einen Zusammenhang ist da hinzuweisen: Je mehr von Leadership gesprochen wird, desto häufiger von Change Management. Die sprachliche, anglistische Aufwertung hat einen einfach durchschaubaren Grund: Wer will sich nicht lieber als Leader statt bloß Manager sehen und gesehen werden?(1)

Culture Change beziehungsweise das dafür gebrauchte Change Management suggeriert, dass man Unternehmenskultur wie Assets & Costs managen kann, der irreführenden Ansicht folgend, dass alles Ressource ist und damit managebar. Diesem technokratischen Machbarkeitsanspruch entspringt die Vorstellung, dass ein Unternehmen quasi eine Maschine, ein Apparat sei und die Mitarbeiter nur Elemente, deren Verhalten, sogar deren Einstellungen auf die gerade akuten Anforderungen des Top-Managements hin zu verändern sind. Was daraus wird, ist Culture Change als Dauerveranstaltung. Bleibt nur zu fragen: Warum kam man früher ohne ihn gut voran?

Aus Machtüberlegungen wird nicht selten von einem neuen CEO sogleich eine Neuorganisation aufgesetzt und ein umfassendes Revirement eingeleitet, begleitend dazu ein Kulturwandel-Programm ausgerufen. Nach der gerade vollzogenen größten Umorganisation der letzten 25 Jahre heißt es bei Siemens dann schlicht und einfach: "Wir brauchen eine neue Art von Führung", so die Personalchefin von Siemens auf einer jüngsten Führungstagung, womit sie v. a. meint: Akzeptanz von Fehlern, mehr Zusammenarbeit, mehr horizontale Führung. Das sind jedoch alles Ansätze, die im Rahmen des Change-Programm mit dem Motto "top" schon vor zwanzig Jahren mit drei CEO-Wechseln bereits propagiert wurden!

Zu dem breiten Anspruch gesellt sich die Forderung nach einer - wortwörtlich - "Spitzenkultur" bzw. Exzellenzkultur, und das möglichst lieber heute als morgen erreicht. So viel Formelhaftes gepaart mit ständig herbeigerufener Dringlichkeit sind hinreichende Anzeichen dafür, dass es sich nur um einen erneuten Versuch handelt, dem Unternehmen neue Kleider" umhängen zu wollen. Um es drastisch zu sagen: Führung ist "kulturlos", wenn sie nicht begreift, dass die Entwicklung von Kultur Zeit braucht.

Sprache ist verräterisch. Wenn ein Culture Change verkündet wird, geht das offenbar nicht mit einer einfachen Sprache, sondern man ist angehalten, anspruchsvolle, höchst positiv aufgeladene Begriffe in den Verkehr zu bringen. Daher genügt es nicht, von Verantwortung zu sprechen; vielmehr wird eine "werteorientierte" Verantwortung eingefordert, ohne die Werte allerdings zu benennen. Die Überhöhung mit Superlativen, Komparativen und Adjektiven und das noch in anglifizierter Form ist ein klarer Hinweise auf einen hohlen Management Speak. Nicht besser sind Powerpoint-Statements wie: "Strikte Unternehmenssteuerung mit effizienten Support- und Querschnittfunktionen“, oder "Solide Ausführung unseres finanziellen Zielsystems".(2)

Sicher ist, so reden Mitarbeiter(3) nicht, so wollen sie auch nicht angesprochen werden, wenn die Leitung von ihnen etwas will. Eine derartige Sprache hat mit Führung nichts zu tun, viel jedoch mit Capital Market-Kommunikation. Unter der gekünstelten Sprache verbergen sich, was schwerer wiegt, große inhaltliche Differenzen und offensichtliche Widersprüche. Sollen diese so absichtlich kaschiert werden?

Widersprüche im Einzelnen

Im Folgenden werden acht Fälle widersprüchlicher Botschaften in einer summarischen Gegenüberstellung erläutert. Diese sind dem jüngsten Culture Change-Geschehen von DAX-Unternehmen entnommen.

1. Einerseits Forderung einer Eigentümereinstellung ("Denken und Handeln, wie im eigenen Unternehmen") - andererseits Signalisieren, dass Kritik unerwünscht ist.

Machtbewusste Manager nach dem Muster tougher amerikanischer CEOs neigen dazu, die Mannschaft so zu "vergattern", dass ihre Vorstellungen ohne Umschweife und auf die gewünschte, gegebenenfalls brachiale Weise umgesetzt werden. Das ist ein Führungsverständnis, das mit der Grundhaltung kollidiert, wie sie bereits in den Siemens-Unternehmensleitsätzen von 1990 formuliert war: "Wir wünschen uns unsere Mitarbeiter als "Unternehmer" in eigener Sache, die ihre Stärken und die Wettbewerbsvorteile ihrer Geschäfte genau kennen, sich etwas zutrauen und an den Erfolg glauben, sich dabei aber auch immer des unternehmerischen Risikos bewusst sind." Erklärtes Führungsziel war damals die größtmögliche Selbständigkeit der Mitarbeiter und nicht deren Abhängigkeit und uniforme Ausrichtung.

Der Ruf nach selbständigem Handeln im Interesse des Unternehmens verträgt sich nicht mit der merkbaren Angst jüngerer und mit der Resignation älterer Mitarbeiter, Ideen einzubringen und sachgerechte Kritik zu äußern. Wenn in Mitarbeiterbefragungen, wie bei Siemens, von einer großen Zahl eine "offene Atmosphäre für neue Ideen und Kritik", insbesondere eine höhere Innovationsbereitschaft gefordert wird, handelt es sich um Signale einer sich bremsenden Organisation.(4)

Die ausdrückliche Befürwortung einer stärkeren Beteiligung der Mitarbeiter am Aktienkapital ihres Unternehmens hat bei Siemens eine Tradition, die in die 1970er-Jahre zurück reicht, war Siemens doch eines der ersten und wenigen börsennotieren Unternehmen mit einem gut ausgedachten Beteiligungsprogramm für Mitarbeiter. Im Lauf der Zeit hat es sich erwiesen, dass das Programm keine große Wirkung darauf hatte, die Mitarbeiterbindung zu stärken und noch weniger, ihr Handeln im Sinne des Unternehmens auszurichten. Die Grundhaltung, für Siemens zuerst und nicht für sich zu denken, war damals im großen Teil der Belegschaft intrinsisch angelegt, also schon da. Das Beteiligungsprogramm war ein Zusatz, diese Haltung ausdrücklich zu belohnen.

Die wieder aufgefrischten Überlegungen zur Förderung von Mitarbeiteraktien im Rahmen Vision 2020 erweckt jedoch den Anschein, dass die Belegschaft als stabiler Kernaktionär aufgebaut werden soll, nachdem schmerzlich bewusst geworden ist, dass eine Publikumsgesellschaft allzu oft den willkürlichen Anforderungen der Fondsmanager ausgeliefert ist. Also: Die Leitung sagt, man denke an die Mitarbeiter als Aktionäre, meint aber nicht zuletzt die Bewahrung der Entscheidungsautonomie des Managements.

2. Einerseits umfassende Verantwortung, mit dem Chef als Coach, vertrauensvolle Zusammenarbeit, gelebte Kollegialität und praktizierte Teamarbeit -
andererseits rigide Compliance eingebettet in eine Misstrauenskultur und eingefasst von engem Controlling und Mikromanagement.

Im top-Programm (1993) von Siemens wurden diese wünschenswerten Einstellungen - auch unter dem Label Empowerment - verbreitet. In Folge der späteren Korruptionsaffäre wurde bekanntlich ein bis dahin nicht einmal in den USA gekanntes engmaschiges Compliance-System installiert(5). Anzumerken ist, dass Compliance im Grunde ein misstrauensbeherrschtes und strafbewehrtes Regelsystem mit tiefen amerikanischen Wurzeln ist, das jedoch der europäischen Rechtspraxis fremd ist.(6) Wird jemand abteilungs-/geschäftsübergreifend einfallsreich handeln und kollegial sein, wenn die Furcht vor Regelüberschreitung ständiger Begleiter ist?

Noch eine Anmerkung zu VW: Unter dem Eindruck der Manipulationen wird von Medienvertretern Siemens als "Best Practice" für Compliance vorgestellt, offenbar im Glauben, dass ein Verbotsregime gute Führung und Vertrauen ersetzen kann. Dass in einem paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit dem hierzulande höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad und Konzernbetriebsräten, die quasi als Co-Vorstände agieren, gravierendes Fehlverhalten so lange ungestraft währen konnte, zeugt von einem über viele Jahre gewachsenen Organversagen.

3. Einerseits Betonung von Erfahrung und Loyalität-
andererseits Geringschätzung von Mitarbeitern mit langer Zugehörigkeit, Unterschätzung von technischem Sachverstand und gediegenem Geschäftsverständnis.

Bei festlichen Anlässen vernimmt man gewöhnlich, wie wertvoll erfahrene und loyale Mitarbeiter sind. Aber bis heute favorisieren vor allem börsennotierte Unternehmen das Standardmodell des General Managers, also ein Konzept der Business Schools. Danach sind Management Skills wichtiger als fachliche Kompetenz. Desweiteren wird der junge, forsche MBA, der Consultants und Investmentbanker kopierend aus Karrieretrieb und Geldgier rund um die Uhr aktiv ist, als nacheifernswert hingestellt.

Ältere Mitarbeiter gelten als Auslaufmodell, von dem man sich besser aufwandschonend trennt, sich wohlweislich dabei immer ausnehmend. In vielen Fällen wurde und wird einem Typus gefrönt, der stets nach neuen, höheren Aufgaben eifert und als Auserwählter in einen ständigen Wettlauf (Ready to develop)(7) ins Rennen in höhere Führungsetagen bis zu Vorstand und CEO geschickt wird. Dem Geschäft und seinen Leuten "dienen" ist nicht gefragt, vom Servant Leader, wie ihn der große Managementlehrer Peter Drucker forderte, keine Rede. Und wenn es trotz des professionellen Human Ressource Managements nicht selten an geeigneten Leuten fehlt, holt man sich mit Hilfe von teuren Management Recruitern jemanden, der zwar dem fachlichen Profil entspricht, doch noch lange nicht zur gewachsenen Kultur des Unternehmens passt.(8) Ob dann unterm Strich der Nutzen noch überwiegt, ist mehr als fraglich.

Im Falle von Siemens hat sich an der Führungsspitze Eigenartiges abgespielt: Seit Karlheinz Kaske, also seit 1992, wurde der Technologiekonzern von keinem Vorstandsvorsitzenden mit technischem Hintergrund und längerer operativer Erfahrung als Geschäftsverantwortlicher geleitet, fast ebenso lang von keinem Aufsichtsratsvorsitzenden mit dieser Ausstattung beaufsichtigt.(9) Woran liegt es, dass in dem bedeutendsten europäischen Technologiekonzern technischer Sachverstand an der Spitze so wenig gefragt ist? Die Antwort ist denkbar einfach: Seit Einführung des Shareholder Value Konzepts(10) Mitte der 1990er-Jahre spielte die Präsenz auf dem internationalen Kapitalmarktparkett eine immer größere Rolle, und dafür brauchte es keine "Techniker".

4. Einerseits Betonung von Langfristigkeit -
andererseits ständiges Schielen auf Quartalsergebnisse; Aktivitätswahn.

Ernst von Siemens, langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender, resümierte kurz vor seinem Tod im Jahre 1990 das Wesen seines Unternehmens: "Unser Haus wurde groß, weil ihm der Morgen wichtiger war als das Heute, der technische Fortschritt mehr galt als der schnelle Gewinn und weil es sich stets eingedenk war, dass sein köstlichstes Gut die Menschen sind, die ihr Schicksal mit dem seinen verknüpft haben."

Bei Siemens regierte danach mehr und mehr die Kurzzeitigkeit(11): mit vielen Pressekonferenzen, bis zu 100 Meetings des CEOs und CFOs pro Jahr mit Analysten und Fonds- und Investmentmanagern (irreführend als Investoren bezeichnet). Eine unausweichliche Folge der Kurzeitigkeit ist das sogenannte Earnings Management, das im Wesentlichen die vom Kapitalmarkt geschätzte Glättung des Cash flow unter Ausnutzung aller Möglichkeiten betreibt. Unter diesem Aspekt sollte die geringe Innovationsdynamik als auch mancher Verkauf von Unternehmensteilen jenseits der den Medien und Mitarbeitern gereichten strategischen Begründung bewertet werden.

Im Falle von Siemens wurden über die Jahre die stillen Reserven mehr und mehr aufgezehrt und große Teile des Unternehmens auf schlank getrimmt, nicht Investor Relations, Communications, Controlling, Compliance und CEO-Office. Zeitgeistigen Aktionismus repräsentieren Newsrooms in Firmenzentralen des Produzierenden Gewerbes.(12) Im Open Space Office wird in selbstorchestrierter Hektik viel Oberflächlichkeit produziert. Wie passt das zu einem Werte schaffenden Unternehmen, das für Beständigkeit, Qualität und Langzeitperspektive stehen will?

5. Einerseits den Wert von Dezentralisierung und kleinen Einheiten hervorheben -
andererseits Zentralisierung.

Wie man Macht in einem CEO-Office konzentriert, hat seinerzeit der Kurzzeit-Chef von Bertelsmann, Thomas Middelhoff, vorgemacht; er steigerte den Einfluss seines meist jungen Stabes und schwächte im Gegenzug die Divisionsleiter. Ein anderer Fall war Klaus Kleinfeld bei Siemens, der ein "Küchenkabinett" einrichtete, das, an den Bereichsleitungen vorbei, Einfluss auf die Linie nahm; galt es doch, der vermeintlichen Zentrifugalkraft aufgrund der Vielzahl von Geschäften entgegen zu wirken und den Freiraum der Geschäftsverantwortlichen zu begrenzen - oder anders gewendet, den aktienrechtlich eingeschränkten Durchgriff des Vorstandvorsitzenden dem eines amerikanischen CEO anzunähern. Unter dem selbsterklärten Teamplayer(13) Joe Kaeser wurde diese Variante wieder aufgelegt.(14)

Eine andere Form der Zentralisierung kommt bei margenschwachen Geschäften zum Zuge, weil auf diese Weise Kosteneinsparungen und Synergien leichter realisierbar sein sollen; im Gegensatz zur Einsicht, dass kleinere Einheiten transparenter, leichter zu managen sind und das unternehmerische Element generell gestärkt wird. Der Niedergang der Kommunikationstechnik von Siemens war in der Schlussphase durch Zentralisierung und Selbstbeschäftigung gekennzeichnet.(15) Dezentrale, auf die jeweiligen Geschäftserfordernisse angepasste Einheiten hätten wahrscheinlich verhindert, dass der Bereich in toto "unterging".(16)

Eine weitere Variante ist die Zusammenfassung nach dem von Consultants empfohlenen Modell funktionaler, tayloristischer Support Centers. Gemeint ist die Bildung von Bearbeitungszentren für eng gefasste Aufgaben durch Herauslösung von Abschnitten aus der Wertschöpfungskette und anschließende Auslagerung an Billiglohnstandorte.(17) Eine daraus erwachsende Konsequenz ist die die Fragmentierung von Aufgaben, die Entkernung beziehungsweise Verarmung von Arbeit und die Entpersonalisierung.

Ein typisches Beispiel dafür liefert die BASF ("We create chemistry"), die unter dem früheren CFO und nunmehrigen CEO Kurt Bock zu einem manageristischen Unternehmen mutiert. Jüngst wurden die Bewerbungsaktivitäten nach Berlin, weit weg vom Hauptstandort, dem sprichwörtlichen Herzen, Ludwigshafen, in eine "BASF Services Europe GmbH" eingebracht, wohin alle Bewerbungen mit den entsprechenden Unterlagen zu senden sind und die dann in einem Pool von wechselnden Ansprechpartnern bearbeitet werden.(18) Dass eine solche, für BASF identitätskritische Aufgabe analog zu den mechanistischen Call Centers einer Telekom oder von Vodafone abgewickelt wird, lässt auf eine neuerdings instrumentelle Sicht auf die Mitarbeiter schließen.

6. Einerseits Forderung nach Einfachheit und Entbürokratisierung -
andererseits Schaffung komplexer Prozesse und Strukturen.

Großkonzerne wie GE, Philips, ABB, Siemens machen alle 5 - 7 Jahre mit Programmen zur Einsparung von Verwaltungsaufwand und weitreichender Entbürokratisierung von sich reden. Beispielweise hat der Vorstandschef von ABB, Ulrich Spiesshofer(19) vor kurzem verkündet, den Konzern "schlanker, schneller, beweglicher" machen zu wollen, dafür rund 10 Prozent der Belegschaft abzubauen und ein zuvor angeblich synergiereiches Kerngeschäft auszugliedern, nachdem er ein Jahr zuvor ein expansives Zukunftskonzept vorgestellt hatte.(20) Ähnlich will es GE machen: Nach der für das Unternehmen existenzbedrohlichen Finanzkrise wurde in der 2015 größtenteils zum Verkauf gestellten Finanzsparte (GE Capital) das Personal vor allem für Risikomanagement und auch Compliance um rund 1000 aufgestockt. Hauptgrund für den Verkauf ist die Margenschwäche als Folge übermäßigen Personalaufwandes und großer Komplexität.

Dieses Muster des ständigen Auf und Ab von vorgeblicher Vereinfachung und selbstverursachter Komplexität(21) ist zu einem Markenzeichen manageristischer Unternehmen geworden. Diese Unternehmen sind von BCD (Big Company Disease oder einfach "Größenkrankheit") befallen und werden diese organisatorische Krankheit offenbar nicht mehr los.(22) Hauptursache von BCD ist der Mangel an unternehmerischer Führung, den eine Reihe renommierter Unternehmen wie HP, IBM, Philips, auch ABB, GE und Siemens aufweisen. Interessant, aber nicht überraschend ist, dass von Culture Change im Land der "Hidden Champions" nicht viel zu hören und zu lesen ist. Ist das nicht Beweis genug, dass es an der Führung liegt?

7. Einerseits Innovation als Grundausrichtung ausgeben -
andererseits stehen Transaktionen und Kostensenkung im Mittelpunkt des Managementinteresses.

In den Siemens-Unternehmensleitsätzen hieß es noch 1990: "Wir wollen Schrittmacher des technischen Fortschritts sein." Das Ergebnis ist indes ernüchternd: In den letzten 10 Jahren ist keine wichtige, schon gar nicht bahnbrechende Innovation mehr zu verzeichnen.(23) An der Unternehmensspitze fehlte bislang das tiefere Verständnis für "Technik" und der darauf gründende Gestaltungswille, wie er in der vorausgegangenen Periode noch vorhanden war. Innovation und Voraussicht werden aktuell zu einem Teil an einen hochkarätigen Kreis außerhalb des Unternehmens delegiert.(24) Zuvor wurden interne technische "Freigeister" eingespart. Das naheliegende Fazit: Wenn nicht mal über die Ursachen schwindender Innovationskraft nachgedacht wird, stehen die Chancen zu einer glaubwürdigen innovatorischen Aufbruchsstimmung nicht gut.(25)

Im Vordergrund der Aufmerksamkeit der Unternehmensleitung standen vollzogene und und gescheiterte Transaktionen. Erinnert sei an den Ausstieg aus dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks, davor das Debakel mit der Veräußerung des Handy-Geschäfts an BenQ, an den Verkauf des Geschäftes mit Hausgeräten (BSH) an Bosch, an die dramatische Schlacht um Alstom und den Ausbau des Öl- und Gasgeschäft mit der problematischen Groß-Akquisition von Dresser-Rand. Diese Transaktionen und zahlreiche Probleme in Großprojekten des Energie- und Verkehrsbereichs beschäftigten die Unternehmensleitung mehr als Innovation im weitesten Sinne.

Auch Kostensenkung gehört zum gängigen Forderungskatalog. Die Aufgabe des Anlagengeschäfts, nicht die Behebung der Ursachen von Fehlleistungskosten, war scheinbar logisch, wiewohl Siemens in der Lage ist, hochkomplexe Anlagen zur großen Zufriedenheit der Kunden zu erstellen.(26) Von Chancenpotenzial wird mitunter geschwärmt, aber wenig Zeit für dessen Auffüllung verwendet.

8. Einerseits Darstellung als integrierter Technologiekonzern -
andererseits Hinwendung zu einer Management-Holding.

Die Betonung von Synergien, die es ständig gilt auszuschöpfen, gehört zum Standardrepertoire jedweden Konzernmanagements. Während früher Synergien entlang der Technik im Mittelpunkt standen, sollen sie heute vor allem den Kundenbedürfnissen entlang geschaffen werden. Aber gerade dort, wo sie am meisten in Erscheinung treten sollten, nämlich im Anlagen-und Großprojektgeschäft, werden sie aufgeben oder sollen wegen der hohen Ergebnis-Ausschläge nach den Ratschlägen von Fondsmanagern aufgegeben werden;(27)

Integration von Geschäften, das ist im Wesentlichen die interne Kooperation, muss umsichtig und dauerhaft betrieben werden, sonst ist sie nur eine Leerformel, die dann hervorgeholt wird, wenn es gerade opportun ist: zum Beispiel für die Begründung von Akquisitionen aufgrund von Synergien - sprich angeblich leicht bezifferbaren Kosteneinsparungspotentialen. Integration ist aber mehr, nämlich die Gestaltung technischer Plattformen, gemeinsamer Wertschöpfungsverbünde, die Entwicklung gemeinsamer Module, Verfahren, Arbeitsabläufe und nicht zuletzt die selbstverständliche Zusammenarbeit auf allen Stufen des Unternehmens.

Dies herzustellen, ist eine Herausforderung an das Top-Management, das für die Schaffung von Synergien nun mal hauptverantwortlich ist.(28) Beispielsweise ist das BMW und VW mit Baukastensystemen und anderen technischen Konzepten eindrucksvoll gelungen, bei Siemens früher mit den Automatisierungskonzepten (Simatic, Sinumerik) und Benutzeroberflächen (Syngo), als technisch vorausschauende und durchsetzungsstarke Bereichsvorstände noch dafür sich einsetzten. Weil anspruchsvolle Integration ein beträchtliches Durchstehvermögen verlangt, können größere Innovationen nur CEOs und Spartenleiter leisten, die in der Technik zuhause sind. Wenn es daran mangelt, spürt das die Belegschaft unmittelbar; da hilft dann keine Metasprache des Managements darüber hinweg.

Im Falle von Siemens wird die Hinwendung zu einer Management-Holding immer wieder bestritten, aber die Taten sprechen eine andere Sprache. Integration findet im Wesentlichen nur noch in Form des Controlling, von Compliance, Governance, der Kapitalmarktkommunikation und einem Key-Account-Management für ausgewählte Großkunden statt. Das bereits erwähnte CEO-Office dient als managerielle Klammerfunktion und Machtzentrum. Bei genauem Hinsehen ist das Unternehmen kennzahlengetrieben, "over-controlled", "over-compliant", "overconsulted", typisch für ein Unternehmen, das weder in der Lage ist, einen integrierten Konzern zu bilden und doch mehr sein will als eine Management-Holding. Dass es sich auf eine Holding zubewegt hat, belegen die zahlreichen Verkäufe und das Ungleichgewicht von Kompetenz in der Unternehmensleitung.

Enttäuschende Ergebnisse

Culture Change-Programme sind meist Versuche, die vorher aufgelisteten Widersprüche aufzulösen, indem verlangt wird, dass die Mitarbeiter die Vorstellungen der jeweiligen Leitung mit bestem Willen unterstützen und mit ungebrochenem Engagement folgen. So gesehen sind viele dieser Programme in ihrer Erwartung überzogen, hybrid in der Vielzahl der Aktionen, eingesetzten Tools und der beigezogenen Beratern. Anzumerken ist, dass die Arbeitnehmervertreter dabei häufig eine Zuschauerrolle einnehmen, auch wenn ihnen im Rahmen der Mitbestimmung als Betriebsräte und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat die immanenten Widersprüche nicht entgangen sein sollten.(29)

In der Mehrzahl der Fälle ist das Resultat von Culture Change ernüchternd. Darum braucht es einen nicht zu wundern, wenn sich die Haltung breit macht, dass nach den vorangegangenen Programmen das ganze Getue ohnehin vorüber geht, dass man dabei mehr oder weniger bereitwillig mitspielen sollte und dabei für sich das Beste herausholen muss. Unrealistisch ist es allemal, angesichts der inneren Widersprüche, des rhetorischen Aufwandes und der hohen Kosten für Coaches, Facilitators, Consultants und Events,(30) eine glaubwürdige Linie zu vermitteln.

Bei so vielen Widersprüchen in vielen börsennotierten Unternehmen, das sind insbesondere die ausgeprägte Kapitalmarktorientierung, das de-facto CEO-Prinzip, die straffe Kennzahlensteuerung und die Übergewichtung des Habitus im Verhältnis zum Können, ist es unrealistisch, Orientierung zu geben und Vertrauen über das Jahr hinaus zu schaffen.

Voraussetzungen für das Gelingen

Dass Unternehmen sich neuen Gegebenheiten stellen müssen, dafür ein gutes Sensorium entwickeln sollen und sich dazu immer wieder reformieren müssen, ist selbsterklärend. Das Ausmaß notwendiger Veränderung hängt abgesehen von externen Anforderungen davon ab, wie zeitgemäß und gefestigt die Kultur eines Unternehmens ist. Wurde sie ständig gepflegt und liegen keine disruptiven Entwicklungen vor, braucht es keinen besonderen Kulturwandel; wurden dagegen Entwicklungen ignoriert und hinausgeschoben, steigt die Veränderungshöhe entsprechend an.
Vereinfacht kann festgestellt werden, dass die meisten Kulturwandelprogramme entweder auf vorangegangene Unterlassungen oder auf einen CEO zurückzuführen sind, der der Organisation einen neuen Stempel aufdrücken will.

Die im vollen Gange befindliche Digitalisierung ist allerdings technologie- und geschäftssystem-verändernd; sie erfordert nicht neue Werte, sondern Verhaltensweisen, die stärker auf Experimentieren, Zusammenarbeiten, Vernetzen setzen. Unternehmen müssen zu jeder Zeit agil und innovativ sein, gestalten, sich anpassen, wenn sie überleben wollen; das ist ein Gebot der Evolution.

Was sind nun die Voraussetzungen für einen notwendigen, gelingenden Kulturwandel?

Erstens:

Das beginnt bei einem CEO, der sich durch Bodenständigkeit auszeichnet, gewonnen durch operative Erfahrung (im Unterschied zu funktionalen oder Berater-Karrieren) und Glaubwürdigkeit verkörpert. Ein solcher CEO ist auch immun gegen Managementmoden und Gefälligkeiten gegenüber Medien und Politik. Kurz: "Charakter"(31) und "Handwerk" sind gefragt: Vorleben, vormachen - oder neudeutsch "Walk the talk" - , also keine Widersprüche in der Person des CEO und der Leitenden, Aufrichtigkeit bzw. Integrität, die in die Organisation strahlt. Unmissverständlich ausgedrückt: Mangel an Charakter an der Spitze und in der Aufsicht beeinträchtigt alle Versuche eines Kulturwandels und kann ein Unternehmen schließlich ruinieren. Notwendig ist die Verankerung im Unternehmen beziehungsweise die Fähigkeit, die Mannschaft "auf eine lange Reise" mitzunehmen.

Neben Realitätssinn und Motivationsfähigkeit muss ein CEO selbst Vordenker sein, der aufgrund seiner Lebens- und Geschäftserfahrung über Weit- und Umsicht - man sollte hier das altmodisch klingende 'Demut' hinzufügen - verfügt. Diese Erfordernisse lassen sich nicht erfüllen, wenn Hektik, Distanz, Eitelkeit und Glamour das Verhalten bestimmen.(32)

In all den nach allgemeinem Bekunden erfolgreichen Fällen steht der CEO für den Wandel, und das ist in aller Regel ein neuer Mann (oder Frau); augenscheinlich ein Elmar Degenhart bei Continental, Volkmar Denner von Bosch, der Ex-Siemens-Vorstand Heinrich Hiesinger bei Thyssen-Krupp.

Eine wichtige Rolle für die Pflege eines vertrauensvollen Klimas kommt dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu. Dieser soll zugänglich sein und in seinem Wesen väterliche Züge im besten Sinn des Wortes haben, eine Eigenschaft, die vielen Unternehmenskontrolleuren abgeht.

Zweitens:

Damit die Richtung der Veränderung für alle klar wird (worauf hingearbeitet werden soll), ist eine anspruchsvolle, erreichbare und beständige Vorstellung, ein gutes, leicht vermittelbares Bild des anzustrebenden Zustandes (um das Modewort 'Vision' zu vermeiden) unverzichtbar. Erklärungen wie im Falle von Siemens, "grüner Infrastrukturgigant" werden zu wollen oder die 100 Milliarden Euro-Umsatzhürde zu überspringen, im Falle von VW der weltgrößte Automobilhersteller zu werden, sind hohle Größenziele des Managements an die Adresse des Kapitalmarktes oder an das eigene Ego; nicht mehr. Wichtig ist, dass erste Schritte Mut machen, den Weg engagiert und konsequent weiter zu gehen. Dabei muss die Vorstellung, wohin die Reise gehen soll, in Systeme und Strukturen überführt werden, damit die Veränderung trägt.

Dass diversifizierte Großunternehmen ganz unterschiedliche Geschäfte unter einem Dach haben, macht es nicht einfach, gut vorstellbare und die Mitarbeiter anregende Bilder von der bevorstehenden Reise in die Zukunft zu machen; schließlich sind die Geschäfte zu verschieden und haben ganz andere Zeitdimensionen: schnelldrehende Softwaregeschäfte/Apps versus lange Wartungsverträge für Kraftwerke. Da bleibt nichts anderes übrig als der Dezentralisierung treu bleiben und die Zukunftsbilder auf der nächsten Ebene zu konkretisieren und zu vermitteln. Aber es wirft auch die Frage auf, ob einzelne Geschäfte nicht in einer anderen Struktur besser untergebracht wären.(33)

Drittens:

Eine beständige Personalentwicklung ist die Prävention dafür, dass es keiner "Kulturprogramme" bedarf. Dazu gehört unbedingt das Heranziehen unternehmerischer Talente, weil diese Personen Geschäfte gestalten und nicht nur managen wollen. Wichtig ist die Durchlässigkeit von Ideen und Kritik bis an die Spitze des Unternehmens, was gegen Einrichtungen wie ein CEO-Office spricht. Desweiteren ist die Rekrutierung aus eigenen Reihen (mit Ausnahme von Sanierungsfällen) notwendig, weil so das Risiko von Fehlbesetzungen gering ist und die Motivation der Mannschaft nicht leidet. Damit sich das Mannschaftsgefühl verstärkt, sind die vorgeblich rationalen Incentivierungssysteme, wie sie in vielen Konzernen mit Hilfe amerikanischer Consultants eingeführt wurden, zurückzufahren; auch ist darauf zu achten, dass die Abstände bei Vergütungen maßvoll sind, weil sonst der Grundgedanke der Betriebsgemeinschaft verletzt wird.(34) In den genannten Punkten besteht ein selbstverschuldeter kultureller Bruch, der nach einer Reparatur verlangt.

Carl Friedrich von Siemens - langjähriger Chef von Siemens brachte die Identität und Identifizierung mit dem Unternehmen auf den Nenner:

"Die größte Kunst des Leitenden eines größeren Unternehmens scheint mir darin zu liegen, in seinen Mitarbeitern einen solchen Geist zu erziehen, sodass außerhalb Stehende dem juristischen Gebilde menschliche Eigenschaften zusprechen" (1926).

Vor der Jahrtausendwende war es nicht ungewöhnlich vom "Geist des Hauses" zu sprechen, wenn auf das Gemeinsame und das, was "man nicht tut, und was sich nicht gehört", verwiesen wurde. Viele Großunternehmen - auch Siemens - haben im Zuge der Globalisierung diese menschliche Eigenschaften verloren, sind zu einem gewissen Maße austauschbar und zu einer gespaltenen Persönlichkeit geworden: grob in eine des Managements und eine der Belegschaft. Ein den Mitarbeitern und dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen muss mehr sein: Es muss echte Zugehörigkeit, besser ein Familiengefühl vermitteln, in dem der Einzelne nach seinen Fähigkeiten wertgeschätzt wird und wo er das gute Gefühl hat, nicht als disponibler "Kopf" behandelt zu werden.

Viertens:

Aufrichtigkeit ist für Vertrauensbildung unverzichtbar, langsam erworben, schnell verspielt. Wenn beispielsweise bei einer Mitarbeiterbefragung - wie jüngst bei Siemens - die Rückmeldungen ungünstig ausfallen, dann ist Aus- und Schönreden ein grober Führungsfehler.(35)
Diese Mitarbeiterbefragungen sind übrigens ein modisches Managementtool, das auf Distanz der Führung zu den "Geführten" und darüber hinaus auf ein fadenscheiniges Verständnis von Führung schließen lässt.

Abschließend

Organisationen, so verschieden sie sind - Behörden, Unternehmen, Militär, Vereine, Verbände haben den gemeinsamen Nenner, dass Menschen sich für eine Aufgabe, einen Auftrag einsetzen. Darum sind die Werte, nach denen sie sich dabei richten sollen, im Grunde genommen allgemeingültig und zeitlos. Die Unterschiede zeigen sich bei den zweckdienlichen Verhaltensweisen.
Die längste Erfahrung darin, nämlich eine mehr als tausend Jahre alte und eine in vielen Kulturen und Ländern gewonnene, hat der Orden der Benediktiner. Deren Grundhaltung ist bestimmt durch "Achtsamkeit, eine Kultur des Dienens, Wertschätzung der Unterschiedlichkeit, Stabilität und Bodenhaftung und schließlich eine heitere Gelassenheit". Warum nicht einfach diese bewährten Regeln auch in Unternehmen befolgen?

Culture Change ist eine verbrauchte Managementvokabel, ein hypertrophes Konzept. Das Ansinnen, Mitarbeiter mit Hilfe von Tools und Prozessen immer von Neuem in eine vom Management gerade für notwendig erachtete Richtung zu bringen, hat sich als widerspruchsreich und folgenlos erwiesen.(36) Gute Führung braucht Beherztheit und einen langen Atem, keinesfalls diese professionellen Prothesen eines Change Managements.

In einem Punkt ist die Unternehmensführung einfach und stringent: Ohne Glaubwürdigkeit funktioniert Kulturwandel nicht. Notwendig ist darum die Anerkennung dieser Selbstverständlichkeit, von der Max Weber als dem spricht, "an das am wenigsten gedacht wird".

Dank gilt Armin Sorg für wertvolle Hinweise.

 

ANMERKUNGEN

(1) Übrigens ähnlich wie das so wohlklingende Entrepreneurship anstelle der früher ehrenvollen Bezeichnung Management. Begriffliche Aufwertungen sollen sowohl imagefördernd als auch beiläufige Rechtfertigung für unangemessene Vergütungen sein.
(2) Aus Vision 2020 von Siemens (vom 28.10. 2014) das erste und dritte Ziel. Die Deutsche Bank hatte bis zum Führungswechsel im Juni 2015 ebenfalls eine "Vision 2020" in ähnlicher Sprache.
(3) Hinweis: Bewusst wird die Genus- und sprachlich korrekte Form 'Mitarbeiter' verwendet und nicht die Gender-Schreibweisen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Mitarbeiter-/innen, MitarbeiterInnen.
(4) Vertragsverlängerungen für Vorstände, die damit in Verbindung gebracht werden, sind Zeichen wohlwollender Ignoranz.
(5) siehe dazu Compliance - Bürokratie auf amerikanische Art -http://www.managerismus.com/themen/governance-compliance/einsichten-nr-2
(6) In Erinnerung zu rufen ist die faktische, transnationale Macht der SEC (U.S. Securities and Exchange Commission), ein deutsches Unternehmen aufgrund der vorangegangenen Aufnahme an die NYSE der Strafverfolgung durch amerikanische private Exekutive (Rechtsanwaltskanzleien) auszusetzen, ohne Einspruch der Deutschen Regierung oder der EU.
(7) Dahinter steht die von US-Firmen übernommene Praxis, High-Potentials in raschem Wechsel durch verschiedene Einheiten zu schleusen, um sie damit für höhere Aufgaben zu qualifizieren. Dabei werden sowohl Erfahrungssammlung und -vertiefung als auch die Bindung an.die jeweilige Einheit absichtlich zugunsten der General Manager-Karriere vernachlässigt.
(8) Da sich das Management immer weniger Beurteilung und Auswahl des eigenen Personals zutraut, werden Personalberater wie Egon Zehnder hinzugezogen. Dass auf diese Weise eine gewisse Klonisierung eines Role Model verbunden ist, ist nicht zu übersehen. Der Wechsel von Managern z.B. von Philips zu Siemens (Barbara Kux) oder von GE zu Siemens (Peter Solmssen) und zahlreiche weitere Fälle sind unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Die namentlich Genannten wurden anfänglich von den Medien gehypt und nach ihrem Ausscheiden "relativiert". Nach dem vorzeitigen Abgang tat sich Solmssen durch eine Klage wegen "Altersdiskriminierung" hervor.

(9) v. Pierer mit vornehmlich juristischem und vertrieblichem Einschlag, Kleinfeld schwerpunktmäßig mit Beratervergangenheit, Löscher mit internationaler, vor allem vertrieblicher Erfahrung und Kaeser mit Controlling- und CFO-Schwerpunkt. Bemerkenswert ist, dass auch andere Technologiekonzerne wie Philips, ABB und HP im Großen und Ganzen auf diese Linie einschwenkten, nicht jedoch Bosch, Samsung, Apple, Microsoft, Google, abgesehen von der gesamten deutschen Automobilindustrie.
(10) Unter dem Label EVA (Economic Value Added), ein Konzept von Stern & Stewart durch den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden und früheren Finanzchef Hermann Baumann.
(11) Im Amerikanischen treffend als "Short-termism" bezeichnet.
(12) Bei Siemens sind darin nicht weniger als 50 Leute unter Leitung eines vormaligen "Bild"-Redakteurs versammelt.
(13) So seine Selbsteinschätzung. Das Teaming beschränkt sich nach allgemeinem Bekunden vornehmlich auf das CEO-Office.
(14) Kaeser war als Strategie-Chef und CFO Mitglied des damaligen CEO-Office. Das jetzige CEO-Office unterscheidet sich v.a. durch eine hohe Frauenquote.
(15) Die damalige Zusammenlegung der Privaten Nebenstellentechnik (PN) mit dem wesentlich größeren Bereich der Öffentlichen Vermittlungstechnik (OEN) wurde als "feindliche Übernahme" gehandelt; eine im Nachhinein zutreffende Bezeichnung.
(16) Siehe dazu die ausführliche Beschreibung: Nokia-Siemens Networks (NSN): Eine Chronologie anhaltenden Führungsversagens http://www.managerismus.com/themen/unternehmen-branchen/denkschrift-nr-7
(17) Dieses Modell wird meist von Consultants empfohlen, weil diese kostenanalytisch und nicht unternehmerisch denken.
(18) Das Bewerberportal jobs@basf.com ist unter der Servicenummer (0800-3300 00 333) anwählbar.
(19) Symptomatisch auf einer Analystentagung in London.
(20) Das probate Mittel ist die Zusammenlegung der rund 60 Dienstleistungszentren und die Herausnahme einer Hierarchieebene.
(21) Beispielsweise wurde eine anfängliche Vereinfachung der Organisation durch den Einbau komplizierter Matrixstrukturen wieder aufgehoben. Nur wenige Jahre später wurde die Organisation wieder "vereinfacht". Da stellt sich die Frage, wann die ultimative Form sein erreicht wird.
(22) Siehe dazu Denkzettel Nr. 43: (http://www.managerismus.com)
(23) In "Werte & Vision von Siemens" hieß es:
"Unsere Werte: Verantwortungsvoll - Exzellent - Innovativ.
Unsere Vision: Eine Welt bewährter Spitzenkräfte, die bahnbrechende Innovationen realisieren, unseren Kunden einen einzigartigen Wettbewerbsvorteil ermöglichen, Gesellschaften unterstützen, ihre größten Herausforderungen zu meistern und verlässlich Werte schaffen."
(24) Siemens Technology & Innovation Council" (STIC), ein Beirat, der sich mit Technologien und Innovationen befassen soll, die auf lange Sicht für Siemens bedeutsam werden können.
(25) Im Falle von Siemens kam es zu einer Aufbruchsstimmung zuletzt Anfang der 1980er-Jahre mit der Vorwärtsstrategie in der Mikroelektronik unter Karl Heinz Beckurts und mit der top-Bewegung - Anfang der 1990er-Jahre unter Heinrich v. Pierer.
(26) Insbesondere bei komplexen Geschäften /Projekten macht sich der Mangel an Verständnis für Technik und Risiken sowie an einer beständigen Personalentwicklung besonders bemerkbar.
(27) Eine Erklärung dafür ist, dass im Siemens- Vorstand seit 10 Jahren kein Kenner des Anlagengeschäfts vertreten ist.
(28) Ein bemerkenswertes Programm ist die umfassende "Sensorisierung" und Vernetzung von Bosch, eines bis vor kurzem auf Einzelkomponenten und -systeme ausgerichteten Unternehmens.
(29) Der Nutzen der Paritätischen Mitbestimmung hat eine immanente Schieflage: vorrangig auf die Besserstellung der gewerblichen Mitarbeiter gerichtet, lässt sie die wachsende Gruppe der "'Wissensarbeiter" wie Ingenieure und Informatiker) außen vor.
(30) Dieser Aufwand ist eigentlich den Managementkosten hinzuzufügen.
(31) Erleuchtend sind dazu die Erkenntnisse von Reinhard Mohn (Bertelsmann): "Bei der Auswahl der Führungsnachwuchskräfte habe ich früher auch immer auf die Persönlichkeitsstruktur und die charakterliche Beschaffenheit der Kandidaten geachtet. Angesichts des gegenwärtigen Scheiterns so vieler Manager aber muss ich gestehen, dass ich über das Problem der Eitelkeit früher zu wenig nachgedacht habe. Ruhmsucht hat schon manchen Manager zu ‚Heldentaten’ angespornt und nicht selten zu unverantwortlichen Großinvestitionen veranlasst.“
(32) Der Terminkalender und die Liste der Gesprächspartner der CEOs sind eine gute Annäherung für Selbstbestimmung bzw. Fremdsteuerung. Die für die Zukunft des Unternehmens aufgebrachte Zeit steht bei manageristischen Unternehmen in einem auffallenden Missverhältnis zu Medien-/ Kapitalmarktterminen.
(33) Aus heutiger Sicht hat es sich erwartungsgemäß als vorteilhaft erwiesen, Geschäfte wie Osram oder vorher die Bauelemente (Infineon, Epcos, EMC) zu verselbstständigen; auch die geplante größere Autonomie für den Medizinbereich ist sinnvoll.
(34) Verwundern muss die Haltung der Arbeitnehmervertretungen zu den vielen unangemessenen Erhöhungen der Vergütung für CEOs und Vorstände, bei gleichzeitiger Minimierung der persönlichen Haftung.
(35) Konkret: Das ernüchternde Ergebnis des Siemens Global Engagement Survey (SGES) fiel für die Leitung ernüchternd aus, für die Mitarbeiter dagegen nicht unerwartet. Die kolportierten Ergebnisse waren nicht überraschend: mehr Kundennähe, mehr Innovation, höhere Geschwindigkeit, eine angstfreiere Atmosphäre wurden gewünscht. Obwohl rund 260 Tausend Mitarbeiter beteiligt waren, wurde in der Mitarbeiterzeitschrift Siemens World auf nur einer Viertelseite darüber berichtet, der scheinbar hohe Identifikationsgrad angeführt, aber die "Gesamtbenotung" verschwiegen - im Unterschied zur Deutschen Bank, die ihre für eine Bank als " Vertrauensinstitut" desaströsen Ergebnisse veröffentlicht hat.
(36) Nach einer Studie von Bain & Company zu "Management Tools and Trends 2015" ist die Zufriedenheit mit Change Management Programmen (und damit mit Cultural Change) auffallend niedrig.