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Wertschöpfung & Innovation
Denkschrift Nr. 11
26.09.2013

Wie Abschöpfung Unternehmen und Gesellschaft ruiniert

von Manfred Hoefle

 

Die Wirtschaft muss endlich lernen, dass man nicht alles machen sollte, was möglich ist.

 

Zusammenfassung

Viele fühlen es, nicht wenige sind sogar überzeugt, dass Wirtschaft und Gesellschaft an einer Wegscheide stehen. Das erste Signal dafür war die Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor bereits mehr als fünf Jahren sich wie ein globaler Flächenbrand ausbreitete, dessen Glutnester immer noch nicht gelöscht sind. Und schon werden neue Feuer angezündet: im Finanzsektor mit neuen Structured Finance-Produkten, mit ungeregeltem Trading im Fund-Bereich, ohne ausreichende regulative Brandschutzmauern, ohne Größenbeschränkung und ohne dass ungebührliche Anreize abgestellt sind. Um die Moral steht es nach wie vor schlecht, um nicht zu sagen sehr übel bestellt: Die Hälfte der Bankmanager nimmt an, dass ihre Kollegen tricksen und die jungen am eifrigsten dabei sind. Und selbst?

Das zweite Signal leuchtet grell auf aus der Welt des Internet. Harmlos hat es angefangen vor nunmehr zwanzig Jahren mit kleinen smarten Applikationen, handlichen schicken Geräten und mit einer erstaunlich raschen Vernetzung. Heute sind Giganten am Werke: Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft (mit Skype), Twitter – allesamt US-Player mit Sitz in Kalifornien; sie sind überwiegend in den Händen weniger superreicher Gründer und amerikanischer Investmentfonds. Deren Geschäftsmodelle überwuchern, Lianen ähnlich, eine Community von einer Milliarde meist junger Nutzer. Der Leviathan einer neuen extraktiven Wirtschaft ist aufgestanden.

Abschöpfende Formen des Wirtschaftens haben sich mit Macht nach vorne gedrängt. Die Nominalwirtschaft – sprich der Finanzsektor - bemächtigte sich immer mehr der Realwirtschaft – und auch der Staaten. Die Nominalwirtschaft wurde mächtiger und konzentrierter, damit anfälliger; sie verselbstständigte sich immer mehr. Das Eigentum an großen Aktiengesellschaften wird zu zwei Dritteln in Fonds verwaltet; der Nominalumlauf derivativer Produkte liegt beim Zehnfachen der Weltwirtschaftsleistung. Und mit dem Internet formierte sich ein unheimlicher „Business-Security-Complex", wie die jüngste Entwicklung zutage brachte. Die (potentiell) schädliche Hebelwirkung weniger Akteure auf die Gesellschaft war noch nie so groß wie heute.

Dagegen muss eine Kultur der Wertschöpfung wirksam werden, die von Verantwortung getragen und dem Gemeinwohl verpflichtet ist; in der das Bewährte behalten und Neues aufgegriffen wird, das Zerstörte „schöpferisch" ersetzt wird. Die wichtigsten Ansatzpunkte dafür werden ausgeführt. Unverzichtbar ist ein starker, schlanker Staat, der sich der Sonderinteressen erwehrt und seine Ordnung und seine Regeln durchsetzt. Die Soziale Marktwirtschaft kommt einer solchen Ordnung am nächsten. Für ihre drängende Weiterentwicklung muss der Mensch wieder in die Mitte des Wirtschaftens gestellt werden. Er muss wieder mehr Bürger und damit wieder aktiver Teil der Gemeinschaft werden. Angesichts der bereits eingetretenen Deformation ist eine Umsteuerung in Richtung einer Wertschöpfungskultur eine lohnende Gemeinschaftsaufgabe, eine Herausforderung für dieses Jahrzehnt.

Zusammenfassende Übersicht

Die Gegenüberstellung von Abschöpfung und Wertschöpfung betont den Unterschied von Maximieren im Vergleich zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. In der heutigen Realität sind die Wirtschaftsformen mehr oder weniger vermischt.

abschoepfungsoekonomie

Abschöpfung ist opportunistisch, in der aggressiven Ausprägung predatorisch. Es führt zur Sortierung der Beteiligten in viele Verlierer und wenige Gewinner. Abschöpfende Wirtschaftsweisen lassen sich auch als extraktiv bezeichnen, weil sie Leute und Umwelt ausbeuten. Wie historische Studien zu den politischen und wirtschaftlichen Systemen vieler Staaten/Regionen und auch die aktuelle Betrachtung eindrucksvoll zeigen, ist die Entwicklung in extraktiven Ländern einseitig, unproduktiv, undemokratisch.

Wertschöpfung dagegen ist aufbauend, kulturbildend, integrierend, werteorientiert. Wertschöpfende Wirtschaftsweisen können auch als „Gute Ökonomie" bezeichnet werden; sie sind in ihrem Wesen auf Höherentwicklung sowohl wirtschaftlich („Schöpferische Zerstörung") als auch gesellschaftlich und kulturell angelegt, sie beziehen die große Mehrheit mit ein, sind also „inklusiv", und basieren auf demokratischen Prinzipien. Direktes Ziel ist die Erfüllung von Kundenwünschen bzw. die Lösung von Nutzerproblemen, indirekte Ziel ist das Gemeinwohl.

Einführung

Die beiden Begriffe sind eigentlich selbsterklärend. Abschöpfung wird auch als extraktives Wirtschaften bezeichnet, weil, wie im Bergbau, Rohstoffe abgebaut oder, im Falle der Fischerei, der Fang herausgeholt wird – im Unterschied zum Produzierenden Gewerbe, zur Industrie, wo Güter hergestellt, oder zur Landwirtschaft, wo Pflanzen angebaut und geerntet werden oder Vieh gehalten wird. Das sind grundsätzlich verschiedene Bereiche des Wirtschaftens. Und in der Gütererzeugung gibt es Formen des Wirtschaftens, bei denen unverhältnismäßig hoher Aufwand getrieben wird, um etwas herzustellen. Man denke nur an Unwirtschaftlichkeit und die Verleugnung von Nachhaltigkeit in zentralgeleiteten Volkswirtschaften des früheren Ostblocks. Zur jetzigen Zeit sind trotz Finanzkrise Wirtschaftsweisen en vogue, die einseitig auf die Bedienung des Kapitals abheben.

Im Folgenden werden die Begriffe so gewählt, dass unter Abschöpfung die Vorteilsnahme durch bestimmte Gruppen oder Volkswirtschaften im umfassenden Sinne gemeint ist.(1) Diese Interessensgruppen beteiligen sich nicht oder nur in geringem Umfange an der Schaffung von Werten, beanspruchen dennoch eine unangemessene Teilhabe. Für einen unvoreingenommenen Beobachter haben in den letzten 20 Jahren die Fälle auffallend zugenommen, auf die Abschöpfung zutrifft. Gewollt ist aber eine Wirtschaft, die der Hebung des Gemeinwohls dient. In dieser Schrift wird dem Phänomen des Abschöpfens nachgegangen und nach Ansätzen gesucht, wie die Wirtschaft wieder auf den Pfad der Wertschöpfung geführt werden kann. Angemerkt sei: Die beiden Ausformungen kommen in der realen Welt mehr oder weniger vermischt vor.

Abschöpfung – Abart des Kapitalismus

Es ist eine verhängnisvolle Ungleichung, dass Wirtschaft allein zum Gelderwerb da sein soll und für alles andere der Staat und die Gemeinschaft zuständig sind. Die Verabsolutierung der Ökonomie führt in eine gespaltene Gesellschaft, in der wenige das wirtschaftliche Geschick bestimmen (und somit massiv gesellschaftlich Einfluss nehmen) und ihren ungebührlichen Nutzen ziehen, ohne dazu legitimiert zu sein. Die Auslieferung an den Kapitalmarkt als vorherrschende „Mechanik der unsichtbaren Hand" ist ein Irrweg, weil damit die menschliche, soziale Dimension ausgeschlossen und die Realwirtschaft, der produzierende Sektor nur mehr Instrument ist. Die Organisationsform des anonymen Eigentums bzw. der Publikumsgesellschaft birgt die Gefahr, dass die Aktionäre entmündigt werden und Vorstände und ihre Aufsichtsräte an ihre Stelle als bevormundende Sachwalter treten. In dieser Funktion bedienen diese sich häufig der Strategien und Verhaltensweisen, die ihnen im Einklang der Anstellungsverträge kurzfristig den größten privaten Nutzen bringen. Kompatibel dazu ist ein opportunistisches Gewinnstreben, das einerseits die Marktgegeben- und -gelegenheiten unablässig ausschöpft, anderseits die „Ressource" Unternehmen schonungslos ausnutzt, indem hauptsächlich die (Personal-) Kosten gedrückt werden. Diese Doppeltaktik erhöht die Chance auf einen gegenwärtig hohen Gewinn (und eine entsprechende Kapitalisierung der Gesellschaft) und somit auf eine einträgliche, überproportionale Vergütung der Unternehmensleitung. Die sich häufende Taktik des Aktienrückkaufs in ein Indiz für eine opportunistische, manageristische Handhabung der Unternehmensführung.

Der „Weg in die Abschöpfung" ist dem „Kapitalkapitalismus" (Horst Köhler)(2) – oder auch Investor Capitalism genannt - inhärent.(3) Seit seinen Anfängen vor gut zweihundert Jahren hat der Kapitalismus eine bemerkenswerte Evolution hinter sich. Begonnen und seine erste Blüte in der Gründerzeit hat er in Form des Entrepreneurial Capitalism, als einer von Unternehmern bestimmte Ausprägung erfahren. Vor der großen Wirtschaftskrise (1930er-Jahre) und bis in die 1970er-Jahre wandelte er sich mit der Loslösung von Eigentum und Leitung zusehends in einen Managerial Capitalism. Danach und bis heute ist in weiten Teilen der erwähnte Investoren-Kapitalismus bestimmend geworden.(4) Der Kapitalismus bewegte sich zusehends zu einer anonymen, vom Interessensverbund von Fondmanagern und Manageristen beherrschten Ausformung.

Kurze Geschichte der Abschöpfung

Das Phänomen der Abschöpfung auf staatlicher Ebene in verschiedensten Kulturen und Zeiten gab immer wieder Anlass zu umfassenden Analysen und Betrachtungen. Ein aktuelles Beispiel ist die institutionenzentrierte Tour d' horizon von D. Acemoglu und J. A. Robinson, Professoren vom MIT und Harvard unter dem vielsagenden Titel „Why Nations Fail" (übrigens ein New York Times Bestseller). Das Augenmerk liegt auf der Untersuchung der Ursache von Macht, Wohlstand, Armut. Für die vorliegende Denkschrift werden stichwortartig einige kennzeichnende Erscheinungen der Wirtschaftsgeschichte der USA und Deutschlands angeführt.

In den USA gab es zwei ausgeprägte Perioden der „Abschöpfung" jeweils um die letzten beiden Jahrhundertwenden. In der ersten Periode um 1900 waren es im Industriesektor die extreme Monopolisierung, beispielsweise Standard Oil(5) oder vergleichbar Carnegie bei Stahl sowie J.P. Morgan auf dem Gebiet der Eisenbahnen; und auf dem Finanzsektor die Verschuldung und die intransparente Governance von Trusts einhergehend mit der Bereitstellung von billigem Geld.

In der zweiten Periode seit 2000 entstanden Blasen als Folge hoher Liquidität und des unseriösen und undurchsichtigen Zusammenwirkens von Spielern auf dem globalen Kapitalmarkt. Erst gab es das „High-Tech-Bubble" (Stichwort New Economy) aufgrund unrealistischer Gewinn-/Kapitalisierungserwartungen, darauf folgend 2007 die hinlänglich beschriebene „Sub-prime-/Immobilienkrise". Waren es früher Tycoons und Trusts als Kapitalsammelstellen, so sind es in jüngerer Vergangenheit die Pensionsfonds, vor allem aber die Private Equity- und Hedgefonds, die begierig nach kurzfristigen Renditen trachten. Statt der Tycoons (wenn man von Fällen wie Carlos Slim, dem Industriemagnaten aus Mexiko und ähnlichen Fällen absieht) und der spektakulären Unternehmensgründer von Amazon, Google, Facebook und früher Apple und Microsoft sind es heute die Inhaber der besagten Fonds(6), die Gruppe der Vorstände von Publikumsgesellschaften und die beachtliche Zahl von Top-Dienstleistern wie Strategie-/ PR-Berater, Wirtschaftsanwälte und Lobbyisten.

Abschöpfung erfolgt in der Regel, wenn monopolistische Anbieterstrukturen einer hohen Zahl abhängiger Kunden gegenüberstehen. In Deutschland ist dieser Fall in auffallender Weise auf dem Strommarkt gegeben. Mit E.on und RWE besteht de facto ein marktbeherrschendes Duopol(7) , das rund 60 % der Nettostrommenge verkauft, bis 2005 zwischen 50-70 % der Stromnetzte besaß (später im Wesentlichen an Finanzinvestoren verkauft) und zusammen noch etwa 200 Beteiligungen an Stadtwerken und Regionalversorgern hält. Beide Unternehmen haben sich im Zuge von Großfusionen in den 1990er-Jahren zu integrierten Versorgern (mit Eigenhandel) entwickelt und eine ordnungspolitisch problematische Konzentration herbeigeführt. Es gibt Indizien, dass diese Marktstruktur überhöhte Strompreise zur Folge hatte. Die zuständige Bundesnetzagentur wurde erst 2005 eingesetzt; ein typisches Beispiel für eine wohlwollende Verschleppung regulativer Aufgaben durch den Staat.(8)

Akteure der Abschöpfung

Die international anlegenden Kapitalsammelstellen, die unüberschaubare Zahl von Aktien-, Private Equity- und Hedgefonds sind in einem hohen Maße in wenigen Ländern, Metropolen und Händen konzentriert. Deren gemeinsames Grundverständnis ist die Ausnutzung von Anlagemöglichkeiten in weltweitem Maßstab, über die Einflussnahme auf Unternehmen, die einträgliche, oft intransparente Teilhabe an Transaktionen(9) und die Abschöpfung von Marktanomalien. Das meist kurzfristige, auf höchste Renditen zielende Anlageverhalten läuft einer kollektiven Rationalität folgend immer mehr auf eine Beherrschung von Unternehmen und die Schaffung von Marktkonstellationen hinaus, die eine Abschöpfung erleichtern und Übergewinne ermöglichen.(10) Aufgrund einer damit konformen Interessenslage des Managements in den „investierten" Unternehmen entsteht ein Einverständnis zu einem bestimmten Marktverhalten und einer manageristischen(11) Unternehmensführung. In die Zukunft projiziert ergibt sich eine zunehmende Markt- und Machtkonzentration in weiten Teilen der Wirtschaft.

Eine Kategorie der Mithelfer bei dieser „Marktgestaltung" sind die erst in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der Verschuldenslage von Staaten in den Vordergrund gerückten Rating-Agenturen; diese weisen eine erstaunliche Interessensverflechtung auf: So Standard & Poor's, eine Tochter von McGraw Hill Inc., die im Eigentum großer Investmentfonds (Blackrock, Vanguard u.a.) ist. Eigentümer der Ratingagenturen – mit Ausnahme von Fitch in amerikanischem Besitz – sind die großen Käufer von Unternehmens- und Staatsanleihen wie Banken, Fonds, Versicherungen, Industriekonzerne. Die undurchsichtigen Institute tragen mit ihrer Bewertungssystematik dazu bei, die wirtschaftliche Konzentration zu verstärken. Dem Geschäftsmodell kann eine Selbstbedienung nicht abgesprochen werden. An der Transparenz in eigener Sache fehlt es nach wie vor.

Ein Resultat der Abschöpfung spiegelt sich in der Zusammensetzung der „Reichsten" am Beispiel der USA wieder: Von den laut Forbes 50 reichsten US-Bürgern entfielen 2012 14 % auf Private Equity/Hedgefonds-Manager und 12 % auf Internet-Gründer. Dieser hohe Anteil ist dank eines erfolgreichen Abschöpfungsmodells in den letzen 10 Jahren zustande gekommen.

Abschöpfungsphänomen Internet

Die heutigen globalen abschöpfenden Branchen sind die mit dem Internet aufgekommenen „IT-Utilities"/Kommunikationsversorger; das sind die privaten, fast ausschließlich amerikanischen quasimonopolistischen Internetdienstleister wie Google, Facebook, aber auch Apple, Amazon. Waren früher die Versorger von Energie, Telekom und die Post national und staatlich, so sind die neuen heute digital, global und privat.(12) Früher war in der Regel der Staat bzw. eine staatlich organisierte Anstalt der Bereitsteller der Infrastruktur, großer und meist großzügiger Arbeitgeber. Seine Bürger abhängige, mehr oder weniger gut bediente Nutzer; auch „Ausgenutzte" durch hohe Gebühren. Die Bürger eines Landes waren qua Marktregulierung indirekt insoweit „Nutznießer" als die Wertschöpfung im Lande blieb. Mit der Liberalisierung, aber vor allem mit dem nicht regulierten Aufkommen neuer Dienste, kamen internationale/globale Akteure zum Zuge, deren Hauptinteresse in der raschen Skalierung, der Ausnutzung der installierten Leistung bzw. der explosiv gewachsenen Population von Nutzern liegt; zum überwiegenden Vorteil eines relativ kleinen Aktionärskreises, wozu wenige Venture-/ PE-Fonds und das Management gehören. Dass insbesondere über die ständige Gewinnung von Nutzer-/ Kundendaten eine supranationale Kaptivierung von Kunden betrieben wird, ist von besonderer Brisanz.

Die großen Player sind unentwegt darauf aus, zur Ergänzung ihrer Innovationsanstrengungen weiteres Geistiges Eigentum (Intellectual Property) mit der Übernahme innovativer Spezialfirmen einzusammeln und auf diese Weise ihr Service-Portfolio ständig zu erweitern und anderen den Marktzugang zu erschweren; so hat beispielsweise Google (seit 2001) rund 140 Firmenakquisitionen und Facebook (seit 2007) bereits 36 getätigt. Die Entwicklung der Branche deutet auf eine massive Konzentration, auf wenige globale IT-Utilities hin.

Es ist schwerlich abzustreiten, dass sich die Abschöpfung in Teilbereichen in den letzten zwanzig Jahren auf eine neue, weltumspannende, schwer kontrollierbare, hochkonzentrierte Ebene mit Sitz in Kalifornien verlagert hat.(14)

Charakteristika einer Abschöpfungsökonomie

Im Folgenden wird in kursorischer Form das Wesen einer Abschöpfungsökonomie gezeichnet. Es geht um Merkmale, die mehr oder weniger ausgeprägt vorkommen.

1. Einseitige Kapitalorientierung und Rent seeking über die Vermachtung von Märkten und Kunden(15), Unterordnung unter das Diktat der Kurzfristigkeit (Stichwort: Quartalsberichterstattung), manipulative Verstetigung der Ergebnisentwicklung / des Cash-flow, dezidierte Asset-light-Strategien.(16)

2. Arbitragieren / Opportunity seeking, fragmentierte Kostensicht und Kurzfristigkeit; „Finanzinnovation" auf Basis der Trennung von Rendite und Risiko (z.B. Asset Backed Securities), rigoroses Outsourcing und Offshoring(17) ohne Umkehrmöglichkeit, Verringerung der Fertigungstiefe, Reduzierung von F&E, Kauf von Innovation über Start-up's / junge Unternehmen; Betrieb als „mobile Plattform" am jeweils kostengünstigsten Standort unter Berücksichtigung von Faktor-Kosten und Währungsschwankungen; Orchestrierung von Lieferketten, Ausnutzung der Stellung als Systemlieferant in einem Multi-tiers-Verbund.

3. Forciertes Wachstum v.a. durch M&A; ständige Portfolio-Umschichtungen;
Hinausschieben von Wachstumsgrenzen und Wachstumssucht; Präferenz für Größe; Behandlung von Geschäften als Transaktionsobjekte (wie bei Private Equity); Fragwürdige Role Models: Manager als General Manager und CEO als Private Equity-Manager.

4. Großer parasitärer Sektor: eine große, überproportional wachsende Zahl von externen Dienstleistern (Investmentbanker, Management-Consultants, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Auditoren/Zertifizierer) mit einer ausgeprägten Neigung, Unternehmen auszuschöpfen bzw. zu vereinnahmen, vor allem mit Hilfe selbstinduzierter Komplexität in Form komplexer Reglementierungen(18); Aufbau von aufwändigen Compliance- und Risk-Management-Systemen(19); Structured Finance.

5. Fehlende Mitverantwortung für das Gemeinwohl; Übernutzung „freier Güter" / „Commons"; Einsparung betrieblicher Weiterbildung kombiniert mit aggressiver Abwerbung von qualifiziertem Personal, extreme Beanspruchung der Infrastruktur, Umweltbelastung/-schäden; Inkaufnahme von Verwahrlosung.

6. Mitarbeiter als „Ressource" bzw. Instrument, nicht als Person. Ignoranz gegenüber sozialen Folgeschäden im Zuge häufiger Standortwechsel bzw. Abverlangen von extremer Flexibilität und Mobilität; „Patch-work"-Verhältnisse, Fehlernährung, Bewegungsarmut; überzogene Privilegien und Statussymbole der Leitung.

7. Total-Taylorismus(20)
In allen Funktionen eine weitgehende „Prozessierung" mit entsprechender Aushöhlung von persönlicher Verantwortung bzw. des Commitment; Geringschätzung von Erfahrungswissen, Kreativität und Urteilsvermögen.

8. Aggressives Lobbying bzw. Einflussnahme auf Gesetzgebung und –befolgung.(21)

9. Erpressung von Staaten bei der Standortwahl; Ausweichen zur maximalen Steuervermeidung.(22)

10. Größe und Marktmacht: Bezwingen / Eindämmen des Marktes, um planwirtschaftlich zu verfahren; Kommandowirtschaft(23) ; Staat: Großkonzerne als Resultat von staatlicher Intervention, Einzelner als „sozialer Untertan" (Wilhelm Röpke).

Die Aufzählung der Eigenschaften liefert ein vielgestaltiges Bild. Die elementare Form dieses Wirtschaftes ist aber leicht verstehbar.

Arten der Abschöpfung

Abschöpfung spielt sich auf vielen Ebenen und gegenüber allen erdenklichen „Opfer"-Adressaten bzw. „Gegenübern" ab. Nachfolgend werden die wichtigsten Kategorien aufgelistet und stichwortartig und ansatzweise belegt.

1. Kapitalmarkt – Realwirtschaft
Restriktive Kreditvergabe an KMUs bei gleichzeitiger Abrufung von zinslosen Darlehn bei der Zentralbank; Dispo- kredite von über 10 % 

2. Kapitalmarkt – Sparer
Verzinsung von Sparguthaben zu 1 %; Verdeckte, überhöhte Gebühren

3. Manageristen – Unternehmen/Aktionäre
Stark überproportional gestiegene Boni (bis rund 1/3 Gewinnanteil) im angelsächsischen Finanzsektor

4. Unternehmen – Kunden
Preisabsprachen; „Lock-in" bei Software; Absahnen bei Verbrauchsmaterial, „Hidden Obsolescence", Verhinderung von Reparaturmöglichkeit, erzwungene Zustimmung zu Freigabe persönlicher Daten

5. Unternehmen – Lieferanten
Haftungsdiktate z.B. in der Automobilbranche(24), „gläserne" Kalkulation, Kaufpreisdiktate, Problemverlagerungen auf Subunternehmer (Leiharbeiter)(25)

6. Unternehmen – Mitarbeiter
Extensive Nutzung von Zeitverträgen, ständige Erreichbarkeit und Reisetätigkeit

7. Unternehmen – Staat/Kommunen
siehe Rechnungshofberichte; Umsatzsteuermanipulation, Frühverrentung, Subventionserschleichung, Standorterpressung

8. Unternehmen – Konkurrenten
Piraterie, Wirtschaftsspionage, Know-how- Diebstahl, Abwerbung


Die Bewertung der Häufigkeit und Schwere von Abschöpfung ist nicht einfach. Mit einiger Begründung lässt sich eine Verschiebung des Gewichts von der Realwirtschaft in Richtung Nominalwirtschaft(26) feststellen: in den USA in den 1960er-Jahren im Zuge der „Conglomerization" (finanzinduzierte Firmenaufkäufe zur Bildung von Industriekonglomeraten), in den 1980er-Jahren infolge von Portfolio-Management, Asset stripping und Hostile Take-overs, um 2000 mit der New Economy, schließlich die spekulative Übernahmewelle und die Rettung systemrelevanter Banken durch den Staat, mit einer verstärkten Konzentration des Finanzsektors als Resultat.

Der Finanzsektor hat sich seit einem Vierteljahrhundert der Regulierung immer mehr entzogen, einerseits durch Ausnutzung der Wechselbeziehung von Einlagen- und Anlagegeschäft und der Ausuferung von Structured Finance, andererseits mit der Wucherung der PE-/Hedgefonds. Die Finanzprodukte wurden zunehmend abstrakt, synthetisch bzw. derivativ, so intransparent, dass sie häufig nicht einmal von den Zuständigen verstanden wurden, geschweige von den provisionsgetriebenen Vertriebsleuten. Die strukturierten Finanzprodukte, für die aktiv Werbung betrieben wurde, sind von jedem Qualitätsmanagement und von Risikofolgenabschätzung freigehalten, die Haftung ausgeschlossen. Da bleibt zu fragen: Was halten die Befürworter unter den Bankern (meist in Großbanken) davon, es bei Medikamenten auch so zu halten?

Die Deformation des Finanzsektors ist schon vielfach beschrieben. Nur ein Indiz sei angeführt: Der nominale Wert aller derivativen Produkte beträgt mehr als das Zehnfache des „Welt-BIP". Die Aussicht auf schnelles Geld, was eigentlich nur im Abschöpfungsmodus erfüllbar ist, zieht zumeist junge, aggressive Leute an, die sich dabei überbieten wollen, rasche Transaktionsgewinne zu verbuchen, indem sie ständige Wetten eingehen, dort wo früher vereinzelt Versicherungen abgeschlossen wurden. Andere wiederum sind damit beschäftigt, Unternehmen auf dem Wege von Desinformation und Zusammenspiel mit dem Management zu „kapern" und zu Handelsobjekten zu machen – vergleichbar, was Aktien für den kleinen Spekulanten sind. Symbolhaft für das verbreitete Eigenbild von Bankern war früher die Reklame mit Kunden und ihren Produkten, die sie finanzierten. Seit rund zwanzig Jahren demonstrieren sie ihre Performance vornehmlich über Tombstones und Rankings in selbstgewählten Kategorien, in denen sie zu glänzen meinen. Eine weitere Kategorie sind die High-Frequency-Trader, die algorithmenbasiert im Millisekunden-Takt Aktien umschlagen ohne dafür irgendeine „Umsatzsteuer" zu entrichten. Das gigantische Ausmaß lässt sich erahnen, wenn man weiß, dass bereits 70 % des Aktienhandels in den USA auf diese Weise abgewickelt werden.

Die zweite abschöpfungsanfällige Branche sind - wie bereits erwähnt - Unternehmen des Internets. Das liegt an der Eigenschaft, dass viele dieser Unternehmen ein ausgedehntes Transaktionsgeschäft mit Daten, Bildern, Kontakten betreiben, das insoweit anonym ist, als die Parteien ihr Gegenüber nicht oder nur in einem minimalen Ausschnitt kennen. Die Geschäftsmodelle sind in der Regel so strukturiert, dass eine möglichst große Nutzergruppe kaptiviert wird und mit ausgeklügelten Methoden informationsmäßig und über Gebühren direkt „abkassiert" oder unfreiwillig mit Werbung bedrängt wird.

Eine dritte Gruppe von Unternehmen sind solche, die aufgrund der anonymen Eigentümerstruktur einem abschöpferischen Regime des eigenen Managements unterliegen, worunter hauptsächlich große Publikumsgesellschaften fallen. Unter Managerismus(27) wurde dieses Phänomen ausführlich beschrieben. An dieser Stelle soll als ein Indiz für die selbstbedienende Praxis genügen: die seit 20 Jahren immer größer gewordenen Abstände von Vorstandsvergütung und „Arbeitereinkommen", vom 24-Fachen im Jahre 1965 bis aktuell zum 354-Fachen in den USA.(28)

Eine im historischen Kontext aufschlussreiche Variante von Abschöpfung soll noch angeführt werden. Schumpeter erblickte im Entrepreneur den Urheber der Dynamik kapitalistischen Wirtschaftens. Mit dem Aufbau großer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in großen Unternehmen sah er eine Gewähr, dass diese, gewissermaßen einem innovatorischen Impetus folgend, die Rolle eines institutionellen Unternehmers einnehmen und so weiter die „schöpferische Zerstörung" betreiben. Diese Einschätzung galt mit Einschränkung bis in die jüngere Vergangenheit. Betrachtet man jedoch die Innovationsbilanz vieler Konzerne, so zeigt sich ein enttäuschendes Bild. Stellvertretend für andere sei General Electric (GE) angeführt: In den letzten fünfzig Jahren war keine wesentliche Innovation mehr zu verzeichnen, zahlreiche High-Tech-Geschäfte wurden abgestoßen, die Patentbilanz verschlechterte sich dramatisch. Auf der anderen Seite wurde eine Reihe von Innovationen auf dem Wege der Akquisition von kleinen/mittleren Unternehmen eingekauft. Insgesamt wurde der Aufwand für F&E in Relation zum Umsatz über mehr als zwanzig Jahre zurück gefahren, was von den Finanzanalysten wohlwollend kommentiert wurde.

In Kapitalmarktkreisen wird eine Strategie präferiert, die den Schwerpunkt auf die Produktpflege legt und das Innovationsrisiko jungen Unternehmen überlässt. Ist die Funktionsfähigkeit nachgewiesen und die Marktgängigkeit höchstwahrscheinlich, treten die Großen als Aufkäufer von Innovationen auf, was einem Abschöpfen der Leistung anderer gleichkommt. Viele Großunternehmen werden der Schumpeterschen Rolle nicht mehr gerecht. Grundlagenforschung betreiben die wenigsten und dann nur marginal, verglichen mit den früheren Bell Labs oder der früheren IBM. Aber sie versuchen in unverhältnismäßigem Rahmen von den innovativen Vorleistungen des Staates an Hochschulen zu profitieren.

Kurz: In der Wirtschaft ist es zu einer spürbaren Verschiebung weg von Innovation und Produktion bei großen Kapitalgesellschaften und zu einer weiteren Marktkonzentration gekommen. Der Staat hat mit Regulierung und Kartellgesetzgebung kein ausreichendes Gegengewicht gebildet. Besonders anfällige Sektoren der Wirtschaft, der Finanzsektor und internetbasierte Services, sind entweder dereguliert oder noch nicht reguliert. In vielen Teilen der Wirtschaft überwiegen abschöpferische Handlungsweisen. 

Vorausschau

Eine Abschöpfungsökonomie hat „Predatorisches(29)/Ausbeuterisches " an sich. In einer noch wenig entwickelten oder sich entwickelnden Wirtschaft, wie in den sogenannten Emerging Countries, ist der Raum für die ungehemmte Entfaltung von Eigennutz gegeben, dennoch nicht erstrebenswert. In einer hochentwickelten Industriegesellschaft, die das Stadium des Überhanges an Produktionskapazität auf Anbieterseite und des Überflusses auf Seite der Konsumenten erreicht hat,(30) bremst oder verhindert gar ein abschöpfendes Verhalten die Weiterentwicklung in Richtung eines größeren Gemeinwohls und eine neue, andere Wirtschaftsdynamik: durch Abwürgen von (auch gesellschaftlichen) Innovationen, Sparen an (Aus-)bildung, übermäßigen Verschleiß von Gemeinschaftsgütern.

Wenn das Gleichgewicht von Bedürfnis und Erfüllung dauerhaft und grob überschritten wird - unabhängig ob durch künstlich gesteigerten Konsum, durch globale Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt - durch einen wuchernden Finanzsektor oder durch wiederkehrende Sonderinteressen, dann bleiben die Folgen für die Gesellschaft nicht aus: Zerrüttung von Gemeinschaft, Verfall und Ent-Solidarisierung. Wenn die jetzige Generation das Gleichgewicht von Anspruch und Leistung durch übermäßige, nicht investiv verursachte Schulden verletzt, ist mit einem Verteilungskampf zu rechnen, der die Generationen entzweien wird. Konsumtive Verschuldung – und darum handelt es sich zum größten Teil bei Staatsschulden - ist Abschöpfung zulasten der nächsten Generation(en).(31)

Der heutige wirtschaftliche und soziale Zustand großer Teile Europas ist ein beredtes – leider kleingeredetes – Zeugnis eines einzeln und gemeinsam verursachten und lange ignorierten Fiaskos. Komplettiert man diese ökonomischen Fragmente zu einem Gesellschaftsbild ist das Heraufziehen einer Gesellschaft von Plutokraten und einer Ochlokratie(32) bzw. eines Prekariats zu erwarten; auf jeden Fall einer polarisierten Gesellschaft. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt in einer Reihe von Ländern, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit mit über der Hälfte Nichtbeschäftigter, zeitigt bereits fühlbare soziale Folgen: Geburtenrückgang, eine „neue" inner-europäische Migration, Zunahme von Depression, Abnahme der Zugehörigkeit, Verlust an Zuversicht, Schwinden von Bürgersinn und Zufriedenheit.

Eine Abschöpfungsökonomie endet zwangsläufig – so zeigt es die Geschichte hinreichend - in einer Failing society, das heißt dem Verfall von Gemeinschaft und der Verwahrlosung von Gesellschaft.

Ordnungspolitik als Wegscheide

Die Frage nach der Wirtschaftsform ist die ureigene Aufgabe der Ordnungslehre und der Politik. Bei der Wahl und der Ausgestaltung eines neuen oder stark veränderten Wirtschaftssystems hat sie eine architektonische, gestaltende Rolle. Erinnert sei an ihren Einfluss in der Gründungsphase der Sozialen Marktwirtschaft, ihre herausragenden Vordenker Eucken, Röpke, Rüstow, Böhm und ihre Umsetzer Erhard und Müller-Armack. Mit dem Voranschreiten eines hybriden Systems aus Wohlfahrtsstaat, globaler Kapitalmarktorientierung und wechselhafter europäischer Gemeinschaftspolitik wurde die Ordnungspolitik von der globalen Macht des Marktes, von mächtigen Interessensgruppen, von der Schein-/Mikro-Empirie der gegenwärtigen Nationalökonomie an den Rand gedrängt, um nicht zu sagen, aus dem Weg geräumt.(33)

Angesichts der ordnungspolitischen Wirrwarrs, des exponentiellen Wachstums von Regelungen, des Nachhinkens hinter neuen, grundlegenden Entwicklungen wie dem Internet ist jedoch erneut eine starke ordnende Hand verlangt, die die Wege des Wirtschaftens scheidet in gesellschaftlich erwünschte und schädliche. Um es gleich zu sagen: Eine Fortsetzung der Politik des Durchwurstelns mit dem ständigen Drall zur Ökonomisierung aller Lebensbelange ist unerwünscht. Wie konnte es soweit kommen? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Ursächlich war sicherlich der Umstand, dass über lange Zeit die Erfahrung und das Wissen der „Gründungsväter" der Sozialen Marktwirtschaft bei der übernächsten Generation in Vergessenheit gerieten oder gering geschätzt wurden, weil es den unaufhörlich sich regenden Eigeninteressen entgegenstand. Auch die Globalisierung, das Voranschreiten angelsächsischer Denkweisen waren daran beteiligt, ebenso wie der Mangel namhafter sozialer Marktwirtschaftler in Politik und Akademia.(34)

Conditio humana

Über das menschliche Wesen sollte es keine Illusionen geben. Schließlich handelt es sich um eine stammesgeschichtliche und damit schwer veränderbare Konstante wie die gescheiterten Versuche der Französischen Revolution, des Faschismus und des Kommunismus grausam vorführten. In der Wirtschaft geht es nämlich zeitlos darum, Gier und Eigennutz in ihrer zerstörerischen Wirkung zu zügeln, ohne ihre schöpferischen Kräfte zu schwächen oder aufzuheben. Vernünftiger Eigennutz ist vor der stets lauernden Geldgier und immer wieder ausbrechenden Habsucht zu bewahren. Der Grundsatz von „Maß und Mitte" ist unumstößlich; er muss in einer prinzipiengeleiteten, regelbasierten Wirtschaftsordnung verankert sein. Und soll sie gut funktionieren und anderen Systemen gar überlegen sein, ist ein „moralisches Fundament" (Röpke) unabdingbar.(35) Nur ein Wirtschaftssystem, das den Menschen zur Freiheit befähigt und anregt, ihn im Rahmen eines geordneten und fairen Wettbewerbs wirken lässt und auf das Gemeinwohl achtet, hat Aussicht auf einen dauerhaften Bestand.

Wirtschaften steht in einem nicht ausschließbaren Verhältnis zur Macht. Walter Eucken (1891-1950) hat den Imperativ der Minimierung ökonomischer Macht als fundamental für die Soziale Marktwirtschaft angesehen; eindrucksvoll klar formulierte er dazu: „Es sind also nicht die sogenannten Missbräuche wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sondern wirtschaftliche Macht selbst." Denn Großstrukturen entziehen sich bei ihrem Hang zu Größe und Macht demokratischer Kontrolle und drängen stets nach Beschränkung von jeder Haftung. Gewinn- und Machtinteresse sind also so weit möglich zu trennen.(36) Haftungsfreies Wirtschaften widerspricht fundamental der freiheitlichen Grundverfassung.(37)

Wahrheiten und Widersprüche des Marktes

Erstens: Märkte sind moralisch inert

Der Markt ist ein Instrument zur Schaffung von Wohlstand. Moralische Kategorien sind ihm fremd. Der Markt sorgt für Effizienz ohne Ansehung von Motiven und der Moral der Marktteilnehmer. Über das Kriterium der Effizienz hinaus lässt sich der Markt dadurch rechtfertigen, dass er der Würde des Menschen und seiner Freiheit von staatlichem wie privatem Zwang förderlich ist. Die konstituierenden Prinzipien, in deren Zentrum eine auf Privateigentum und Privatautonomie basierende Wettbewerbsordnung steht, geben der Marktwirtschaft die als erfolgreich ausgewiesenen Anreize. Ein fairer Wettbewerb der Produzenten um die Gunst der Kunden ermöglicht Effizienz und ökonomische Freiheit. Eine Laissez-faire-Politik dagegen mündet immer in einer von Interessens-/Machtgruppen beherrschten Wirtschaft.

Das hat weitreichende Folgen für die Begründung der Sozialen Marktwirtschaft. Erst aus der Freiheit, jeweils so oder anders handeln zu können, erwächst der Wettbewerb als Voraussetzung für das Entstehen eines Marktes. Ohne die Freiheit des Abwägens von Geben und Nehmen entsteht keine Solidarität aus dem Geiste einer ethisch begründbaren Verantwortung. Leistung und Solidarität lassen sich – zumindest formal betrachtet - anordnen. Das Ergebnis wäre dann eine zentralgeleitete bzw. Befehlswirtschaft.

Zweitens: Markt (kann) noch mehr Staat erzeugen

Die Lehrmeinung besagt, der Markt steuere die Wirtschaft besser als der Staat. Richtig? Die Marktwirtschaft bringt häufig mit Hilfe des Staates immer mehr Konzerne und Großbanken hervor, die so groß und einflussreich und somit „systemisch" sind, dass ihr Untergang durch staatliche Intervention verzögert oder verhindert wird. Ausgerechnet der Markt schafft in der Krise noch mehr Staat und nach der Krise bleibt es bei mehr Staat. Und abseits von Krisen ist ein wachsender Lobby-Apparat damit befasst, mit komplizierten Regelungen mehr staatliche Regelungen zu ihrem Vorteil zu schaffen. Anzumerken ist noch, dass ausgerechnet die Apologeten des effizienten Marktes dem immer wieder von Investmentbankern, Buy-out-/Hedgefonds angezettelten Übernahmereigen zusehen. In Summe laufen diese Handlungsweisen auf Vermachtung von Unternehmen, Branchen und Regionen hinaus.

Drittens: Wirtschaftswachstum unter Kontrolle bringen

Der Markt braucht Wachstum und erzeugt Wachstum, auch dort, wo Wachstum unerwünscht ist, wo Lebensqualität und Schonung von Ressourcen vorrangig sind. Nach der Erfüllung der Grundbedürfnisse - ein in den Industrieländern seit 30-50 Jahren erreichter Zustand - entwickelt sich die Marktwirtschaft zusehends zu einem System der Verschwendung (38) mit einer allgegenwärtigen Verführung zum Konsumieren. Andererseits ist ein Markt ohne Wachstum instabil, so die bisherige Theorie und Praxis. Wirtschaftliches Gleichgewicht ohne Wachstum herzustellen ist ein noch nicht gelöstes Problem. Und der Marktplatz versagt, immer wieder. Im Jahr 2006, kurz vor Ausbruch der Krise, hatte sich der Finanzmarkt besonders ineffizient erwiesen: Zinsen und Börsenkurse signalisierten in keiner Weise die eingegangenen Risiken.

Wie die Initiative des vormaligen französischen Präsidenten Sarkozy zur Neudefinition des Sozialproduktes zeigt, wird quantitatives Wachstum skeptisch bewertet, weil die negativen Folgen auf das Wohlergehen oder der Verbrauch von Natur nicht inkludiert sind. Positiv ist ein nachhaltiges / verträgliches Wachstum zu werten, da es menschengemäß, ressourcenschonend und energieeffizient ist, im Kern die Schöpfung respektiert. Die Ablösung von Kernbranchen wie die traditionelle Autoindustrie oder Teile der Kraftwerkstechnik wird in naher Zukunft absehbar. Die absehbare strukturelle Veränderung von Wachstum wird wahrscheinlich zu kleineren Einheiten und dezentralen, vernetzten Lösungen führen und so auch Größe entgegenwirken.

Viertens: Selbstheilungskraft des Marktes realistisch einschätzen

Der Kasinokapitalismus demonstriert eine fatale Unbekümmertheit. Wenn der Markt immer Recht hat, braucht man das Geschehen nicht zu verstehen. Danach ist der Markt rational und hat Allmacht. Im real existierenden Kapitalismus bzw. in der Marktwirtschaft bleibt aber der Staat so wichtig wie der Markt. Der Staat muss über eine unangefochtene Aufsicht verfügen, um nichtökonomische und gemeinschaftliche Werte zu schützen. Diejenigen, die dem Aberglauben an den Markt erlegen waren, warnen nun vor dem Glauben an den Staat - und dies nicht einmal zu Unrecht. Staat und Markt, beide können richtig liegen, sind aber auch fehlbar. Beide basieren auf Entscheidungen von Menschen und institutionellen Gegebenheiten. Die Finanzmärkte sind auf den Staat angewiesen. Schon in früheren Finanzkrisen musste er in Gestalt des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Fed bzw. EZB oder der nationalen Notenbanken einspringen. „Markt versus Staat" vor dem Hintergrund der Krise ist ein überkommener Streit.

Fünftens: Starke ordnungspolitische Funktion des Staates

Den Auftrag des Staates für eine prinzipiengeleitete Marktwirtschaft in Zweifel gezogen zu haben, das ist der zweifelhafte Beitrag derjenigen, die heute als Neoliberale (nicht zu verwechseln mit der „Freiburger Schule") gelten, deren Leitspruch Deregulierung heißt. Aber der Staat muss sich immer wieder neu als Garant der Freiheit seiner Bürger beweisen. Er gehört zur Marktwirtschaft wie der Schiedsrichter zum Spiel, das ohne ihn nicht stattfinden kann. Der Mensch muss im Mittelpunkt staatlicher Ordnung stehen. Und der Staat muss auf die Einhaltung der Regeln des Wettbewerbs achten, sie durchsetzen gegen die vielen Sonderinteressen und Versuche von Vermachtung. Die Rückkehr zum Trennbankensystem ist ein solcher Fall. 

Sechstens: Geld- und Kapitalschöpfung unter Kontrolle bringen

Es kann keine ernsthaften Zweifel geben, dass in der Finanzkrise gegen konstituierende Prinzipien der Marktwirtschaft verstoßen wurde: ein stabiler Geldwert, ein verlässliches Finanzsystem, die Haftung der Marktteilnehmer für die Folgen ihres Handelns. Kurzfristiges Gewinnstreben und die gängige Praxis, Rendite von Risiko der Finanzprodukte zu trennen und diese dann als Finanzinnovation zu „verkaufen", haben das Prinzip von Verantwortung und Haftung auf dem Finanzmarkt kraftlos gemacht.

Der Staat hat mehr Einfluss auf das Verhalten der Wirtschaftsakteure, als landläufig angenommen; daher hat er eine große Verantwortung. Mit der Regelsetzung übernimmt er eine Mitverantwortung für den Markt, auch wenn sich der Marktteilnehmer für seine Entscheidung immer rechtfertigen muss und sich nicht unter Hinweis auf eine schlechte Regelsetzung aus der Verantwortung stehlen kann.

Ordnungspolitische Maßgaben

Notwendig ist eine Rückbesinnung auf die wesentlichen Leitlinien einer Wertschöpfungsökonomie – konträr zu einer Abschöpfungsökonomie. 

Der Mensch im Mittelpunkt

In der Sozialen Marktwirtschaft steht immer der Mensch mit seinen Wahlmöglichkeiten und Abhängigkeiten im Mittelpunkt; ein Mensch, der die Welt nicht nur unter dem Aspekt von Kosten und Nutzen betrachtet, sondern der nach „Maß und Mitte" strebt. Der Mensch darf durch die Wirtschaft nicht „verdinglicht" werden. Die Soziale Marktwirtschaft ist die Antwort auf die Gefahr der Ökonomisierung einer säkularen Massengesellschaft. Das Bild des Menschen, welches sich jenseits der Anreize auch auf ein hohes Maß individueller Verantwortung und sittlicher Reife stützt, ist unverzichtbar.

Volle Haftung für privatwirtschaftliche Handlungen

Das Gegengewicht zum Recht auf Privateigentum ist die Haftung. Besitzer von Produktivkapital sollen sich der liberalen Grundauffassung nach nicht nur die Gewinne aneignen, sondern auch für getroffene Fehlentscheidungen einstehen. Ohne die Verknüpfung von Entscheidungsrecht und Haftungsverpflichtung ist weder Leistungswettbewerb noch eine freie Gesellschaft möglich. Dass es nach der größten Finanzkrise seit rund 80 Jahren zu keinen materiellen Haftungsfällen im Management gekommen ist, muss als ein überdeutliches Zeichen der Schwäche des Staates gewertet werden.

Das deutsche „Institut" der Paritätischen Mitbestimmung ist mit dem groben Fehler behaftet, dass Mitbestimmung ohne Haftung auskommen soll. Zahlreiche Fälle von Misswirtschaft sind zu einem Teil auf Versäumnisse und Rücksichtsnahmen zurückzuführen, an denen die mitbestimmenden Arbeitnehmervertretungen Anteil hatten. Auch wenn es politisch nicht opportun ist, sollte die dem planwirtschaftlichen Denken angehörige haftungsfreie Mitbestimmung in Richtung verantwortungsvoller Mitwirkung weiterentwickelt werden; um nicht ein deutscher Sonderweg zu bleiben.

Klare Aufgabentrennung von Wirtschaft und Politik

Die Alternative zum Neoliberalismus der jetzigen Prägung ist ein starker Liberalismus, der sich gegen Neo-Korporatismus und gegen Managerismus wendet. Um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit in der gesamten Gesellschaft funktionsfähig zu machen und zu halten, sind möglichst machtfreie Märkte notwendig. Das zeigt sich besonders deutlich beim Wettbewerb um Standorte. Die aufgrund selbstgeschaffener Komplexität weit gediehene Verflechtung von Wirtschaft (bzw. jeweiliger Interessensgruppen) und Staat in der Gesetzgebung ist wieder auf ein zuträgliches Maß zurückzuschneiden; sie bedarf eines ständigen Monitoring durch die Gesellschaft bzw. einer unabhängigen Aufsicht.

Die Selbstregulierungsfähigkeit der Wirtschaft soll in einem möglichst weiten Rahmen abverlangt und gefördert werden. Nur wenn diese Fähigkeit nicht ausgefüllt oder zweckentfremdet wird, soll der Staat als Aufsichtsorgan mit legislativen Mitteln einschreiten. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) ist allerdings ein treffendes Beispiel einer unausgewogenen, die Interessen des Managements der Dax-30-Unternehmen wahrenden Regulierung, die den Staat in eine Zuschauerrolle versetzt hat.(40)
Diese ordnungspolitischen Maßgaben brauchen ein ständiges Bemühen um Wahrung und Wiederherstellung, da sie einer fortwährenden Auszehrung durch Partikularinteressen und den Zeitgeist ausgesetzt sind.

Wertschöpfung – Die Kultur einer verantwortungsvollen Marktwirtschaft

Nach der moralischen Verwüstung und den materiellen Verheerungen des Nationalsozialismus war eine freiheitliche Wirtschaftsordnung gefordert, die den Ausgleich von individuellem Streben und gemeinschaftlicher Teilhabe als Grundverfassung hat: die Soziale Marktwirtschaft. Im ursprünglichen Sinne ging es um Wertschöpfung, konkret um den Wiederaufbau, der als gemeinsamer Auftrag verstanden wurde. Die erbrachte Leistung wurde als gemeinschaftliche gesehen und demgemäß mit der Pflicht zur Solidarität versehen. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik hatte unübersehbar einen idealistischen Anfang. Gemeinschaftssinn und soziale Zufriedenheit waren ehrliche Anliegen und in einem hohen Maße gegeben.

„Gute Zeiten"

In der Wirtschaftsgeschichte sind Phasen des Aufbaus immer positiv konnotiert. So die sogenannte Gründerzeit (1850-1900) in Deutschland, 50 Jahre davor in England, die „Golden Years" in den USA (1950-70) oder eben die Nachkriegszeit in großen Teilen Westeuropas. Kennzeichnend für die Zeiten waren ein relativhohes Wachstum der Güterherstellung, eine spürbar zunehmende Beschäftigung, der soziale Aufstieg ehedem Unterprivilegierter, die Möglichkeit zu reisen und zu urlauben. Damit verbunden war gesamtgesellschaftlich eine Abnahme von Klassenunterschieden, die zu einer Vergrößerung des Mittelstandes führte, und eine Höherqualifizierung breiter Gesellschaftschichten. Die Menschen hatten das Gefühl und die Gewissheit, privat etwas zu schaffen durch Ansparen für erstrebenswerte Güter und Anschaffungen, angefangen von Hausgeräten über das Auto bis zum Kauf einer Wohnung; Konsumverzicht zugunsten „privater Investitionen" war die übliche Grundeinstellung. Bildung erhielt einen neuen Stellenwert. Das Bildungsangebot wurde reicher und leichter zugänglich, das gesellschaftliche Leben wurde vielfältiger durch den Anschluss an Vereine, Bildungseinrichtungen, kirchliche Organisationen und die häufige Mitwirkung darin. Es waren immer auch Zeiten der Pflege von Gemeinschaft im weiten Sinne, über die Familie hinaus mit Schwerpunkt in den Kommunen. Die sozialen Strukturen waren kleiner, überschaubarer, beständiger, homogener. Die Mobilität erlebte erstmals durch den PKW einen unerwartet kräftigen Auftrieb.

Die Konzentration der Wirtschaft hielt sich in Grenzen (oder wurde zurückgefahren) und die Unternehmenslandschaft setzte sich aus einer Vielzahl von kleineren und mittleren Unternehmen (in besonderem Maße in Deutschland mit einem starken Mittelstand) und wenigen stabilen Großunternehmen zusammen. Der Wettbewerb war eingeschränkt, häufig regional und moderat. Die Entlohnung wurde gemeinschaftswahrend angesetzt. Das Produzierende Gewerbe war der dominierende Wirtschaftssektor. Innovation wurde durch grundlegende Erfindungen („4. Kondratjew-Zyklus", womit hauptsächlich die Grundlageninnovationen Auto, Petrochemie und Halbleiter/Computer gemeint sind) angeschoben.

Die betriebliche Welt war stark strukturiert, aber in großen Teilen dennoch durchlässig. Solide Grundausbildung bzw. Basisfähigkeiten wurden vorausgesetzt. Fachliches Können, angefangen beim Facharbeiter wurde anerkannt und in relativ engen Grenzen, differenziert entlohnt. Der Abstand in der Vergütung von Unternehmensleitungen zur sogenannten betrieblichen Basis war – verglichen zu heute – um ein Vielfaches geringer.

Wirtschaft und Gesellschaft waren in der Grundausrichtung „inklusiv", indem sie keine allzu großen Unterschiede zuließen. Die Zufriedenheit war in den 1960-1970er-Jahren im nationalen Maßstab auf einem Niveau angelangt, das später nicht mehr erlangt wurde. Wirtschaft und Gesellschaft befanden sich in einem Zustand dynamischen Gleichgewichts.

Dann brach die Zeit des Übergangs an: Wohlfahrtsverzehr, Immigration, Individualisierung, Freizeitgesellschaft, Einkommensspreizung, Globalisierung, Werteerosion, Ökonomisierung ehedem gemeinschaftlicher Güter und solidarischer, karitativer Tätigkeit. Einen besonderen Einschnitt bildete die Wiedervereinigung, bei der zwei völlig unterschiedliche Wirtschaftssysteme, ein im Wesentlichen abschöpfendes in den Neuen Bundesländern auf ein zu großen Teilen wertschöpfendes in den alten Bundesländern, aufeinander stießen. Die Gesellschaft wurde auch dadurch insgesamt ungleicher. Die Teilnahme an der Gemeinschaft in Vereinen, Gewerkschaften und Kirchen nahm stetig ab; es kam zu einer gewissen Entsolidarisierung auf gemeinschaftlicher Ebene, die durch immer größere Sozialtransfers nur finanziell abgefangen wurde. Die ursprünglich ökonomisch motivierte Immigration weitete sich zu einem beträchtlichen sozialen Phänomen aus. Die Unternehmen verlagerten immer mehr ihrer Produktion an kostengünstigere Standorte, zunächst in das europäische Ausland, später hauptsächlich nach China.

Die Bewertung, was eine „gute Zeit" war und ist, trägt immer subjektive Züge. Nach demoskopischen Befunden ist – so die hier vertretene These - mit der vermehrten „Abschöpfung" in der Wahrnehmung der Mehrheit eine eindeutige Verschlechterung eingetreten. Die hier vertretene Antwort darauf ist das gemeinsame Bemühen um eine Wertschöpfungsökonomie. Was sind deren Inhalte?

Grundzüge einer Wertschöpfungsökonomie

Die Ausgangslage ist heute eine andere als zu den „Guten Zeiten". Das hohe quantitative Wachstum, die materiellen Verbesserungen für weite Teile der Bevölkerung haben sich erledigt. Nunmehr muss ein bescheidenes „neues" Wachstum zugrunde gelegt werden: ein Wachstumsplafond bzw. ein Niedrigwachstum von langfristig max. 2 % realen jährlichen Wachstums(41) (bei gleichem BIP-Maßstab) und eine deutlich andere Zusammensetzung. Die Sättigung mit materiellen Gütern wird in Teilen der Bevölkerung zu einer neuen Bescheidenheit führen.(42) In das Szenario lassen sich weitere wahrscheinliche Determinanten aufnehmen: stagnierende Bevölkerungszahl bzw. starke Abnahme in vielen Regionen, anhaltende Urbanisierung, zunehmender Immigrationsdruck. Die Globalisierung hat wahrscheinlich ihren Scheitel überschritten. Der überdehnte Finanzsektor wird eine Re-Dimensionierung erfahren. Der Verbrauch von öffentlichen Gütern wird zum gesellschaftspolitischen Problem. Die zunehmend gefühlte Ungleichheit wird sich in südeuropäischen Ländern wahrscheinlich in sozialen Unruhen entladen.

Die Schattenseiten des Internet-Zeitalters werden unübersehbar; vor allem der Verlust an Aufmerksamkeit. Dadurch wird die Wertschätzung wesentlicher Güter gemindert und die für Bildung und Wissensgenerierung notwendige Disziplin geschwächt. Diese zunächst schwer übersehbaren Folgen sind indes schwer zu beseitigen, weil die interessierten Parteien - das sind die dominanten Internet-Player – gegen jede Begrenzung ihrer Geschäftsmodelle mit Smartness, Lobbying und viel Geld vorgehen werden. Die Finanzwirtschaft hat bis dato vorgemacht, wie man dem Regulierungsdruck entweichen kann.

Vor einem solchen Hintergrund stellt sich die Frage des „Guten Wirtschaftens" immer drängender. Im Teil „Abschöpfungsökonomie" dieser Denkschrift wurde klar, was nicht darunter fällt. Negation aber reicht nicht; sie muss durch den positiven Impetus einer Wertschöpfungsökonomie, gewissermaßen eine „Soziale Marktwirtschaft 2.0" ersetzt werden. (Der Unterschied zur „Version 1.0", der Marktwirtschaft der „Freiburger Schule" liegt in globalisierten Märkten, in wesentlich größeren Unternehmen, in häufigen oligopolistischen Konkurrenzsituationen, einem fortgeschrittenen Managerismus und der überwältigenden Bedeutung der Informationstechnik.)

Diese Umstände verlangen eine Adaptierung, aber keine Revision der Sozialen Marktwirtschaft. Wertschöpfung bleibt der Eckstein. Die Zielrichtung sind Exzellenz, Qualität, Langlebigkeit auf Basis laufender Verbesserung und unter Schonung von Ressourcen sowie der Einhaltung menschengerechter Produktionsweisen. Exemplarische Praxis ist die Art des Wirtschaftens wie sie im guten Mittelstand üblich ist und für die es in den deutschsprachigen Ländern unvergleichlich viele gute, nicht kopierbare Beispiele gibt.(43)

Wertschöpfungsansätze

Wertschöpfung beinhaltet Anforderungen, deren Erfüllung hohe Ansprüche an die Unternehmensführung stellt.

Wertschöpfung hat mit Sinngebung zu tun:

Bereits Aristoteles (384-322 v. Chr.) stellte die Sinngebung von Gemeinschaften in Beziehung zum Gemeinwohl. Wettbewerb und Eigensucht sind danach keine hinreichenden Voraussetzungen. Eine Wirtschaft muss, will sie Erfolg und Bestand haben, wertvolle Leistungen erbringen, sich am Gemeinwohl orientieren.(44) Menschen streben nach Sinn und Zufriedenheit. Wertschöpfung wird dem gerecht, wenn sich mit der Bereitstellung materieller Güter Werthaltigkeit und Wertschätzung für die, die sie erzeugen, verbinden. Unzulänglich sind ein alles beherrschendes Gewinnstreben (Stichwort Shareholder Value), ein vordergründiges soziales Gehabe, das beispielsweise in vielen Corporate Social Responsibility (CSR)-Programmen zutage tritt und über die wahre Absicht hinwegtäuscht.

Wertschöpfung hat mit Rücksicht zu tun:(45)

Der Faktor „Mensch" muss seine Bedeutung für die Wirtschaft als Subjekt erhalten. Er darf nicht zum Instrument herunter gewürdigt werden. Rücksichtnahme auf elementare gesellschaftliche Forderungen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit, ständige Weiterbildung, andere Beschäftigungsmodelle und erträgliche Zukunftssicherung sind überfällig. Die Rückbesinnung auf die Vorteile von Gemeinschaft gegenüber einer überzogenen Individualisierung und eines egomanischen Konsums ist notwendig. Das Internet muss gesellschaftlich bewältigt werden; es darf nicht zum Moloch werden, der Individualität raubt, Zeit stiehlt und das elementare Bedürfnis nach Gemeinschaft auf Bezahl-Kontakte reduziert.

An erster Stelle verlangt das Gebot der Rücksicht: der Gesellschaft und der Natur wissentlich keinen Schaden anzurichten; desweiteren schonend zu sein im Verbrauch von „Natur" in all ihren Formen, als Rohstoffe, Energie und Umwelt. Wiederverwertbarkeit (Zykluswirtschaft), Mehrfachnutzung (Sharing), Eigenwirtschaft (als subsidiäres Wirtschaften in Gemeinschaften/Kommunen) und regenerative Systeme sind erprobte, ausbaufähige Ansätze.

Wertschöpfung hat mit Bindung zu tun:

Wertschöpfung verlangt Langfristigkeit und diese bedingt Bindung - im Unterschied zu opportunistischem Handeln. Bindung beginnt in der Familie, setzt sich fort in der Aus- und Weiterbildung mit dem Erlernen von Basisfähigkeiten, dem Erwerb von Denkweisen und dem Erwerb von Erfahrungswissen. Am wirkungsvollsten kommen diese „Erwerbungen" in einer Wirtschaft und Gesellschaft zum Tragen, in der sie beständig gepflegt werden und nicht in einem dauernden „Job"-Wechsel aufgebraucht werden. Darum ist eine längere Betriebsangehörigkeit (gegebenenfalls nach einer längeren Orientierungsphase) in aller Regel vorteilhaft. „Patch-working" ist keinesfalls eine wünschenswerte Alternative.

Bindung bezieht sich auch auf den Einsatzfaktor Kapital. Vagabundiert das Kapital auf der Suche nach höchstmöglichen Renditen, dient es nicht mehr der Wertschöpfung. Deshalb ist die enorme Zahl von Transaktionen wieder zurückzudrehen, eine längere Haltedauer von Besitztiteln attraktiv zu machen, indem einerseits Transaktionen besteuert und andererseits höhere Dividenden für ein mehrjähriges Halten von Aktien ausgeschüttet werden. Entscheidend ist die Entschleunigung spekulativer Kapitalströme und das Verbot nichtsnutziger Finanzprodukte.

Bindung verlangt einen partnerschaftlichen Umgang mit den Stakeholdern. Bezogen auf Kunden- und Lieferantenbeziehungen verlangt dieser ein Mindestmaß an Anstand, Fairness, Integrität. Langfristige Beziehungen ermöglichen im Allgemeinen nicht nur günstigere Transaktionskosten, sondern bringen auch menschliche/ gesellschaftliche Vorteile, wenn „man einander kennt und vertraut".

Wertschöpfung hat mit Bildung zu tun:

Die Ausbildung wird wieder mehr in Richtung Bildung und solide praktische Ausbildung verlaufen müssen. Bildung als Wert an sich muss eine größere Wertschätzung erhalten. Verschulung, gleichmacherische „Akademisierung" (Stichwort Bologna), hochgradige Spezialisierung und die Verdrängung der Geisteswissenschaft aus BWL- und Ingenieurstudium sind kontraproduktiv.(47) Die „Ingenieurkunst" (im Unterschied zu der „Ingenieurwissenschaft") setzt eine entsprechende Ausbildung voraus; sie ist ursächlich für die außerordentliche Befähigung zur Problemlösung. Angelpunkt jeder Bildungsreform muss das Streben nach einer Hochkultur sein, nicht die augenblickliche Nützlichkeit und OECD-Vergleichbarkeit. Wichtig ist, dass die Familie als „Bildungsinstitut" (und Zelle der Sozialisierung) den angestammten angemessenen Stellenwert erhält.

Wertschöpfung hat mit Überschaubarkeit zu tun:(48)

Große organisatorische Gebilde, insbesondere Großkonzerne vertragen sich nicht mit begrenztem Machteinfluss und mit Überschaubarkeit. Rückbau zentralistischer Strukturen und Begrenzung von „Größe" sind anzugehen. „Gute" Nachbarschaft und Vernetzung sind nicht nur produktivitätsfördernd, ressourcenschonend und risikomindernd, sondern menschlich bereichernd und sozial wertvoll. Daher sind Re-Regionalisierung und die Bildung von vielfältigen Clustern/Zentren/Netzwerken anzustreben. Dezentralität und Diversität sind bewährte Wege zu mehr Robustheit.

Die vorangegangenen Bezüge machen deutlich, dass eine Wertschöpfungsökonomie an Voraussetzungen gebunden ist, die sie selbst nicht bereitstellen kann. Ihre Schaffung und ihr Funktionieren sind abhängig von Menschen, die Verantwortung für sich und die Gemeinschaft übernehmen, einer Gesellschaft und eines Staates, die sich auf Regeln einigen, Wertschöpfung zu fördern.

Verantwortungsvolle Unternehmensführung als Auftrag

Der Staat ist dazu da, den Rahmen für eine Wertschöpfungsökonomie zu schaffen.
Diesen auszufüllen ist in erster Linie die Aufgabe der Unternehmensführung. Im Folgenden wird ein Katalog von Forderungen an die Führung von Unternehmen aufgestellt, deren gemeinsamer Nenner Verantwortung ist:

  1. Gesellschaftliche Verantwortung als Prinzip wirtschaftlichen Handelns verankern.
  2. Robuste Unternehmensmodelle und -strategien entwickeln.
  3. Unternehmenskapital in die Hände dauerhafter, verantwortungsbewusster Eigentümer legen.
  4. Unternehmen auf überschaubare Größen dimensionieren.
  5. Eine sachgerechte Unternehmensberichterstattung weg von der Quartalsberichterstattung vornehmen.
  6. Angemessene Vorstandsvergütungen und maßvolle Abstände zwischen den Leitungsebenen festlegen.(49)
  7. Eine starke Personifizierung von Unternehmen mit seinen CEOs vermeiden.
  8. Aufsichtsgremien unabhängig und erfahrenbesetzen, regelmäßig tagen,eine arbeitsfähige Größe haben.
  9. Die Unternehmensführung in spürbarem Umfang haftbar machen.

Diese neun allgemeinen Postulate fußen auf breiten Erfahrungen, ergeben sich aus der Einsicht in die Zusammenhänge von Zweck, Organisation und Personen. An ihnen muss sich die Ausgestaltung im jeweiligen Unternehmen orientieren.

Staat als Sachwalter für Gesellschaft und Wirtschaft

Formen und Wege von Wertschöpfung sind nicht nur von der Unternehmensführung abhängig, sondern sind beeinflusst von gesellschaftlichen und technologischen Gegebenheiten, Zwängen und Zielvorstellungen. Dazu zählen vor allem die Größe von Ländern, der Bildungsgrad der Bevölkerung, die technischen Möglichkeiten, Größenvorteile zu realisieren (Scale-Effekte), der Zentralisierungsgrad von Gesellschaften bzw. ihrer Institutionen und die Offenheit von Märkten. Aber auch die Einstellung einer Gesellschaft zum Sparen, Investieren und Konsumieren haben Einfluss auf den Rang von Wertschöpfung. Diese und weitere Wechselbeziehungen erklären die unterschiedlichen Formen zu verschiedenen Zeiten. In der Hochphase der Industrialisierung war es ein Wirtschaftswachstum, das von Großtechnologien und Massenproduktion gestützt war. Beispiele dafür sind Großkraftwerke und die massenhafte Herstellung von Autos und Haushaltsgeräten.

Anspruchsvolle Wertschöpfung bedeutet im Allgemeinen eine relativ hohe Fertigungstiefe, die eine höhere Flexibilität und ein größeres Margen-Volumen ermöglicht, Produkt- und Prozessinnovationen erleichtert. In einer Wertschöpfungsökonomie wird geographische Nähe in Form von Clustern/Netzwerken bewusst gepflegt, weil so Erfahrungswissen leichter generiert und verwertet wird.

Überfällige Neuausrichtung

Ökonomie ist nicht Selbstzweck, sondern - wie schon gesagt - in Summe Instrument zur Hebung des Gemeinwohls. Das geht nicht ohne dauernden Wandel, der am Menschen und somit an der Gesellschaft ausgerichtet ist.(50) Die Soziale Marktwirtschaft in dieser Ausprägung - und nicht in der wohlfahrtsverbrauchenden Form kommt dem Ziel am nächsten; sie ist der Weg der Mitte zwischen einem Laissez-faire-Kapitalismus und einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, die beide in ihrer Instrumentalisierung des Menschen wesensverwandt sind. Die Soziale Marktwirtschaft hat ein bewahrendes Element, weil sie Ordnungen vor Überwucherung durch Interessen schützt und damit Freiheit ermöglicht. Dazu wird der Staat auf seine Rolle als Regelsetzer beschränkt. Notwendig ist eine Renaissance der Ordnungspolitik im Sinne einer Sozialen Marktwirtschaft 0.2.

Eine Wertschöpfungsökonomie verlangt eine umfassende, nicht abdingbare Verantwortung in der menschlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimension; in dieser Reihenfolge. Sie soll dem zeitlosen Grundantrieb nach Sinn und Zufriedenheit gerecht werden. Das impliziert eine Balance zwischen Bewahren und Innovieren, Absicherung und Anreizen, Schutz und Risiko, Verbrauch und Schonung, Gemeinschaft und Individualität. Im Verzicht auf das Maximieren ist einer Wertschöpfungsökonomie Selbstbeschränkung auferlegt.(51) Statt unnützer Komplexität sind die Grundsätze von Einfachheit und Überschaubarkeit einzuhalten. Wertschöpfung ist die in eine hoffnungsvolle Zukunft gerichtete Gegenwelt zu der in den letzten Jahrzehnten gewucherten Abschöpfungsökonomie.

Manfred Hoefle

Kurzversion der Denkschrift Nr. 11: Abschöpfung oder Wertshöpfung

 

Literatur

  • Drucker, Peter, F.: Management, Tasks, Responsibilities, Practices, Harper & Row, New York, 1973.
  • Ferguson, Niall: Der Niedergang des Westens: Wie Institutionen verfallen und Ökonomien sterben, Propyläen, Berlin, 2013.
  • Gomez, Peter, Meynhardt, Timo: Public Value: Gesellschaftliche Wertschöpfung im Fokus der Führung, in: Führung neu denken - im Spannungsfeld zwischen Erfolg, Moral und Komplexität. Zürich: Orell Füssli Verlag AG, 2009, S. 125-170.
  • Hopper, Kenneth; & William: The Puritan Gift, Reclaiming the American Dream amidst global financial Chaos; J.B. Tauris, London 2007.
  • Hoefle, Manfred: Managerismus; Unternehmensführung in Not, Wiley, Weinheim 2010.
  • Minsky, Hyman, P.: Instabilität und Kapitalismus, Diaphanes, Zürich 2011.
  • Olson, Mancur: Rise and Decline of Nations: Economic Growth, Stagflation, and Social Rigidities, Yale University Press, 1982. (deutsch: Aufstieg und Niedergang von Nationen, Mohr Siebeck, 2. Auflage, Tübingen, 1991).
  • Porter, Michael, E. Jan, W. Rivkin: Can America compete? – The Strategic Context, Published on Harvard Magazine, Sept. /Oct. 2012.
  • Acemoglu, Daran; Robinson, A. James: Why Nations Fail – the Origins of Power, Prosperity, and Poverty; Crown Publishing Group, New York, 2012.
  • Schumpeter, Joseph, A.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1911; Neuausgabe hrgg. von Jochen Röpke und Olaf Stiller, Berlin 2006.
  • Sedlácék, Tomás: Die Ökonomie von Gut und Böse, Hanser, München, 2012.
  • Simon, Hermann: Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia, Campus, Frankfurt/New York, 2012.
  • Skidelsky, Robert; & Edward: How Much Is Enough? - The Love of Money and the Case for the Good Life; Allen Lane/Penguin Books, London, 2012.
  • Wooldridge, Adrian: Masters of Management, Harper Collins; New York, 2011.

Zeitschriften / Zeitungen / Internet
Economist, Fortune, Frankfurter Allgemeine, Wirtschaftswoche, Wikipedia 

 

Anmerkungen

(1) Der Begriff Abschöpfungsökonomie kommt in der Literatur nicht vor, obwohl damit das Phänomen "auf gut Deutsch" treffend bezeichnet wird.
(2) Aus der Rede des Bundespräsidenten a.D.: „Der Kapitalismus – kreative Zerstörung?", Herrenberg, 31.1.2013.
(3) Vgl. dazu: Friedrich A. von Hayek "Der Weg in die Knechtschaft". Darin wird die Freiheitsberaubung als Konsequenz sozialistischer Wirtschaftsdoktrin eindringlich beschrieben.
(4) Diese Abfolge von „Capitalismen" hat Hyman Minsky (1919-1996), ein Schüler von Schumpeter, so gekennzeichnet. Er benutzte auch die Bezeichnungen "Money Manager Capitalism".
(5) Der von Rockefeller beherrschte Trust kontrollierte vor seiner Auflösung vor rund hundert Jahren fast 90 % der Erdölindustrie in den USA. Die Nachfolgegesellschaft ExxonMobil hat durch den 1999 erfolgten Zusammenschluss von Standard Oil of New York und Standard Oil of New Jersey die Zerschlagung von 1911 zu einem großen Teil „rückabgewickelt". 2013 war ExxonMobil das umsatzstärkste und höchstkapitalisierte Unternehmen der Welt.
(6) Die 25 „erfolgreichsten" Hedgefonds-Manager vereinnahmen so viel wie alle 500 CEOs der größten US-Unternehmen zusammen.
(7) Andere wesentliche Anbieter Vattenfall und EnBW sind in ausländischem Besitz.
(8) Bemerkenswert ist, dass beide Konzerne nach mehreren „fetten Jahren" auf große Einkaufstour ins Ausland gingen. So versuchte E.on 2006 den großen spanischen Energieversorger Endesa für 55 Milliarden € (Erstangebot 29 Milliarden €) zu übernehmen. Bei Gelingen des Coups wäre der weltgrößte Stromlieferant mit 50 Millionen Kunden entstanden. Die RWE expandierte unter anderem ins Wassergeschäft, von dem sich der Konzern nach nur fünf Jahren mit Verlusten trennte.
(9) Jack Bogle, der Gründer und Miteigentümer großer Indexfonds, beobachtete eine Verdopplung der Transaktionsgebühren in den letzten zehn Jahren, bei gleichzeitig stark nachlassender Performance der meisten Managed Fonds.
(10) Der wichtigste Urheber solcher Konzepte ist M. Porter, der Harvard-Strategie-Guru. In der Sprache der Strategieberater war von „Skimming" Strategy („Absahnen") die Rede.
(11) Siehe dazu www.managerismus.com. Eine Ausprägung von Managerismus ist die Vermachtung von Märkten.
(12) Außer China und Russland verfügt faktisch kein Staat über die Möglichkeit, dieser Usurpation durch globale Player auszuweichen.
(13) Ein prominentes Beispiel ist Eric Schmidt (*1955), seit 2011 Executive Chairman (davor CEO) von Google. Zuvor war er CTO von Sun Microsystems, CEO von Novell und Mitglied des Board of Directors von Apple. Er stand 2013 an 49. Stelle der reichsten Amerikaner mit einem geschätzten Vermögen von 7,5 Milliarden USD.
(14) Neben den "Big-shots" Apple, Amazon, Google, Facebook gibt e seine große Gruppe kleiner, spezialisierter Unternehmen, namentlich Ebay, Twitter, Groupon, die die gleiche Skalierungsstrategie fahren.
(15) Die Geschäftsmodelle von Amazon und Google fallen in diese Kategorie. Die massive Online-Extraktion von direkten und indirekten Kunden-/Nutzerdaten und wird gezielt für eine selbstverstärkende Kundenbindung eingesetzt. Zusätzlich werden Daten zu geheimdienstlichen Zwecken, v.a. in USA und GBR verwendet.
(16) Im Wesentlichen die Vermeidung kapitalintensiver Fertigungen (durch Verlagerung auf Contract Manufacturers hauptsächlich in Taiwan/China). Der größte Auftragsfertiger Foxconn beschäftigt 1.232.000 (Mai 2013)und erzielte 2012 einen Umsatz von 132 Mrd. US-Dollar.
(17) „failed to see the hidden costs of offshoring" (Kommentar zu Porter: www.managerismus.com/
(18) Das Argument von Professionalität dient häufig dem Eigeninteresse. Beispiele sind die selbstverursachten komplizierten Systeme der Managementvergütung und von Compliance.
(19) Bei international tätigen Großbanken umfasst das dafür bereitgestellte Personal fast 5 % der Gesamtbelegschaft.
(20) Der ursprüngliche Taylorismus war ein außerordentlich erfolgreiches Vorgehen zur Eingliederung einer großen Zahl von anzulernenden Arbeitskräften und ihr rascher produktiver Einsatz. Diese Situation gibt es heute mit Ausnahme von Ländern wie China nicht mehr. Heute hat der Taylorismus unter dem Namen Prozessorientierung einen anderen Charakter: die unausgesprochene „Automatisierung" aller administrativen Abläufe. Mit dem Internet ist es zu einer extremen Neuauflage des Taylorismus gekommen. Die Mitarbeiter sind aufgefordert, an ihrer „Erübrigung" mitzuwirken. Die Vision vom „Administrationsroboter" und damit die „Entmenschlichung der Arbeit" auf eine andere Art sind nicht unbegründet. Auf der Strecke bleibt der viel beschworene „mündige" Mitarbeiter.
(21) Imposanter Beweis dafür ist die große Zahl von Lobbyisten: in Berlin mit sechs Tausend und in Brüssel mit 20 Tausend (Vergleich in Washington 13 Tausend); Brüssel ist durch die EU zu Welthauptstadt des Lobbying geworden Mit dem Phänomen des Lobbying hat sich schon früh der amerikanische Sozioökonom Mancur Olsen (1932-1998) ausführlich beschäftigt.
(22) Erinnert sei an die jüngsten Aufdeckungen von Steuervermeidung international tätiger US-Unternehmen (von Amazon bis Starbuck).
(23) Vor allem Großunternehmen sind in einem hohen Maße "totalitär" angelegt, was die Unterordnung von Managern und Mitarbeitern angeht.
(24) Wurden mit dem Namen „Lopez", dem Einkaufschef von Opel und später VW, verbunden.
(25) Die passende Kurzbeschreibung: „My mess for less" – and free of risks.
(26) Im Amerikanischen wurde dafür der Begriff „Financialisation" eingeführt.
(27) Managerismus bezeichnet eine Fehlentwicklung der Unternehmensführung und Managementkultur, die durch die Vereinnahmung des Unternehmens durch ein angestelltes Management, eine einseitige Kapitalmarktorientierung und Distanz zu den Mitarbeitern gekennzeichnet ist; sie kommt vor allem in börsennotierten Publikumsgesellschaften vor.
Kurzfristdenken, vorrangige Gewinnmaximierung, Überdehnung, Wachstumssucht, Haftungs-vermeidung, exzessive Vergütung, Karrierefixierung, Selbstüberschätzung und Selbstdarstellung, Verschiebung von Lasten auf die Gemeinschaft, nicht gelebte Corporate Governance und mangelnde gesellschaftliche Bindung sind typische Ausprägungen. Das Ganze steht im Gegensatz zu verantwortungsvoller Unternehmensführung.
(28) siehe http://www.managerismus.com/themen/governance-compliance/denkschrift-nr-Vorstandsvergütung. Die Verhältnisse bei den Dax-30 haben sich zeitverzögert und mit geringerer Spreizung der amerikanischen Praxis angenähert.
(29) von praedator (Latein) ‚Räuber', Raubtier'.
(30) Die Überkapazitäten der europäischen Automobilindustrie werden auf rund 30 % veran-schlagt.
(31) Die sogenannte Nachhaltigkeitslücke für ein im EU-Durchschnitt gut dastehendes Land wie Österreich beträgt 90 Tausend Euro pro Person (bei einer expliziten Verschuldung von 73,4 %). Die implizite Verschuldung aus Pensionen, Verpflichtungen des Gesundheitsbereichs und der Pflege, aus der Zinslast ist jedoch auf früher unvorstellbare 251 % de BIP angewachsen. Die Abschöpfung beläuft sich auf das fast Vierfache einer erträglichen Verschuldung. Dieses Verhältnis ist bei der Mehrzahl der EU-Staaten noch ungünstiger.
(32) Vom griechischen Historiker Polyvios (um 200-118 v. Chr) als Herrschaft der Massen bezeichnet, als problematische Form von Demokratie, die auf Ausnutzung von Leistungserbringern hinausläuft.
(33) In Deutschland deutlich sichtbar an der Verbannung und Aushöhlung entsprechender Lehrstühle und Institute; heute gibt es nur noch in Freiburg „Ordo-Lehrstühle"; dafür aber eine stark angewachsene Zahl sogenannter empirischer bzw. verhaltensökonomischer.
(34) Erinnert sei nur an die vielen abschätzigen Urteile über den „Rheinischen Kapitalismus" in angelsächsischen Medien.
(35) Hierzu wird auf das alte "Institut" des Ehrbaren Kaufmanns verwiesen: http://www.managerismus.com/themen/governance-compliance/einsichten-nr-5
(36) Eine frühe (1934) Forderung von Henry C. Simon in „A Positive Program For Laissez Faire": Aktiengesellschaften die Haltung von Anteilen an anderen Aktiengesellschaften zu unterbinden.
(37) Der Mitbegründer der Freiburger Schule Franz Böhm hält einen funktionierenden Wettbewerb für das beste „Entmachtungsinstrument".
(38) Ludwig Erhard sah bereits den erreichten Lebensstandard in der BRD als auskömmlich an.
(39) Die "Freiburger Schule" hat deshalb eine grundlegende Umgestaltung des Wirtschaftsrechts gefordert mit dem Ziel, dass alle Marktteilnehmer für ihr Handeln haften. Nun sind aber alle Kapitalgesellschaften Gesellschaften mit Haftungsbeschränkung: Das Risiko wird zum großen Teil auf die anderen abgewälzt - es diffundiert, wird verdeckt und sozialisiert. Deshalb gilt die Forderung, dass bei einer Aktiengesellschaft genauso wie beim kleinen Handwerksbetrieb die-jenigen, die die Entscheidungsmacht haben (Großaktionäre und Management), auch haften.
(40) Bei der Konstituierung der Kommission wurde von der damaligen Regierung die Paritätische Mitbestimmung von der Agenda genommen; also die Einseitigkeit politisch programmiert.
(41) Die Verdopplungszeit beträgt bei einem jährlichen BIP-Wachstum von 2 % 36 Jahre, bei 3 % 24 Jahre, bei 4 % 18 Jahre und bei 5 % 14 Jahre.
(42) Siehe dazu Notker Wolf; JETZT ist die Zeit für den Wandel: Nachhaltig leben - für eine gute Zukunft, Herder, Freiburg, 2012.
(43) Es ist das besondere Verdienst von Hermann Simon in seinen Büchern zu den „Hidden Champions" diese besondere Stärke der deutschsprachigen Länder herausgearbeitet zu haben. Bedenklich dagegen ist die weitgehende Missachtung des Mittelstandes an den BWL-Lehrstühlen und Managementschulen.
(44) Dies hat der große Management-Lehrer Peter Drucker stets betont.
(45) In diesem Zusammenhang sei auf das Konzept des „Schweizer Dialog" hingewiesen, der die Verantwortung für das Gemeinwohl als „Kompass unserer Wirtschaft" in den Mittelpunkt stellt: http://schweizerdialog.ch/konzept/
(46) Auffallend ist die Analogie bestimmter Gruppen, insbesondere der Finanz- und Internet-branche zu Söldnern. Die Aussicht auf eine höhere Vergütung bzw. Boni ist der ausschlaggebende Grund für den „Wechsel über die Straße".
(47) Hierzu mehr in der Denkschrift Zeit für eine Neuausrichtung der BWL/Managementlehre: http://www.managerismus.com/themen/arbeitswelt-bwl-consulting/denkschrift-nr-6
(48) Siehe dazu: Michael Breisky: Groß ist ungeschickt - Leopold Kohr im Zeitalter der Post-Globalisierung; Passagen Verlag, Wien, 2010; Kohr und die Grenzen der Komplexität, http://www.managerismus.com/themen/groesse-und-komplexitaet/denkzettel-nr-16; Leopold Kohr gilt als der „Philosoph der Überschaubarkeit".
(49) Siehe dazu „Vorstandsvergütung – So kann es nicht weiter gehen" (http://www.managerismus.com/themen/governance-compliance/denkschrift-nr-10)
(50) Mit dem Zweck und den Bedingungen von Unternehmensführung hat sich insbesondere der große Managementdenker Peter F. Drucker aus einem tiefen Verständnis von Institutionen befasst.
(51) In der Auslegung dezentral, subsidiär, „personal" und solidarisch entspricht sie einem christlich geprägten Humanismus. Anstelle von Maximieren hatte der große Managment-Theoretiker Herbert Simon das praxisgerechtere Konzept der ausreichenden Zielerfüllung aufgestellt.

 

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