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Parabusiness
Denkschrift Nr. 9
13.03.2013

McKinsey – die Insider-Company

von Manfred Hoefle
 

 

Ihr Geschäft gründet auf Vertrauen. Strategieberater dringen in die Intimbereiche ihrer Klienten ein. Sie sind Analysten, Konzeptentwerfer, Psychiater und Sparringpartner in einem. Nicht vorstellbar, dass sie ihr wertvollstes Kapital leichtfertig aufs Spiel setzen. Doch genau das ist passiert. Und zwar nicht bei einem x-beliebigen Beratungsunternehmen, sondern bei der Nummer eins der Branche: McKinsey & Company. Inc.

Im Oktober 2012 wurde der langjährige Chef des globalen Consulting-Konzerns von einem Bundesgericht in New York zu zwei Jahren Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 5 Millionen USD verurteilt. Rajat Gupta wurde für schuldig befunden, vertrauliche Informationen an einen Hedgefond-Manager verkauft zu haben. Im Klartext: der oberste aller Unternehmensberater, dessen Vermögen auf 100 Millionen geschätzt wurde, erlag seiner Gier. Er missbrauchte Vertrauen und gab Wissen an einen kriminellen Finanzjongleur weiter, für viel Geld.

Das Aufsehen erregende Urteil könnte man als einmaligen Fall einer persönlichen Entgleisung abtun – wenn Rajat Gupta der einzige gewesen wäre und wenn sein Werdegang nicht typisch für den verbissenen Erfolgsdrang und das unbändige Machtstreben der ganzen Company wäre.(1)

Imponierend die Person

Der Sohn eines Montessori-Lehrers absolvierte 1973 die Harvard Business School und war 34 Jahre in der so genannten „Firm". 1994 wurde Gupta (2) als erster Nicht-Amerikaner zum Managing Director von McKinsey gewählt. Drei Perioden (1994-2003), die satzungsgemäß maximale Vertragsdauer an der Spitze, war er der „Mr. McKinsey". Bis 2007 blieb er Senior Director mit besonderen Aufgaben. Für die Wiederwahl war sein interkultureller Hintergrund und sein dezenter Umgang von Vorteil; entscheidend war wohl das Versprechen, „Diener der Partner" zu sein. Das Versprechen hielt er: Während seiner Zeit als Chef verdreifachte sich in etwa das Salär der Partner. Und er selbst häufte ein großes Vermögen an, drei repräsentative Wohnsitze und eine Ranch eingeschlossen.

Mysteriös das Unternehmen

McKinsey (1926 gegründet) ist das größte, bekannteste, internationalste und angeblich verschwiegenste Consulting-Unternehmen. Mit rund siebzehntausend Mitarbeitern (davon 9000 Berater, 1000 Partner und 400 Direktoren) und mit rund 6 Milliarden USD Umsatz in 53 Ländern wurde Konzerngröße erreicht. Zwei Drittel der größten US-Unternehmen (und die Mehrzahl der DAX-Unternehmen) werden als Klienten geführt. Unter Guptas Leitung expandierte McKinsey enorm und wurde wahrlich global(3). Die Zahl der Consultants und Partner stieg von 1994-2001 um das Zweieinhalbfache und die Zahl der Büros schnellte von 58 in 24 Ländern auf 81 in 44 Ländern hoch. Das forcierte Wachstum ging nicht ohne Änderung der „Firmenphilosophie" und eine Verwässerung der Standards (4) vonstatten, wie sie vom Langzeit-Chef und Übervater Marvin Bower (1933-1995, als Managing Director von 1950-1967) aufgestellt und hochgehalten wurden.(5) Erinnerungswert ist dieser Auszug: "Meine Abschiedswünsche sind, .... zweitens, dass unsere Direktoren und Partner aufschreien, wenn sie das leiseste Gefühl haben, dass wir etwas machen, das unsere immerwährenden Werte von Professionalität beschneidet oder diese Werte durch Nichtbeachtung aufweicht; und drittens, dass sie aufstehen, wenn diese Grundsätze, die unsere Philosophie ausmachen, nicht mehr befolgt werden."

Die Aufforderung trug nicht lange. Es kam zur Absenkung der Anforderungen an Bewerber, zum Kauf – sprich zu Sonderkonditionen – von Aufträgen und Kunden, zur Einräumung von Beteiligungsmöglichkeiten an Start-up-Unternehmen (Honorar gegen Equity), zu Publikationen bezahlter Studien, wie im Falle der von Siemens mitfinanzierten Studie zu Excellent Companies (1980), und zur Einrichtung von „Business-Accelerators"(6). Immer mehr Fälle von Unternehmensversagen oder gar Insolvenzen kamen zum Vorschein. Ein Bestandteil des aggressiven Expansionsstrebens waren die gezielte Annäherung an die Politik und die Beziehungspflege in Washington, die unter anderem durch die herausragende Rolle von McKinsey in den Wahlkampfteams von Bush und Obama auffiel. Verkürzend lässt sich festhalten: Die Inkaufnahme von Interessenskonflikten war nicht mehr tabu; es zählten nur mehr Fees & Margins.(7)

Eigenartig die Umstände

Es war fast ein Zufall, dass die „Galleon-Gupta-Connection" aufgedeckt wurde. Die Börsenaufsicht SEC verfolgte Spuren von Marktmanipulation durch Hedgefonds. Kriminaltechnische Analysen des FBI – vor allem eine breitangelegte Mobile Phone-Überwachung und die Auswertung von Trades erhärteten den Anfangsverdacht eines umfangreichen Insider-Netzwerkes. Der nach dem angeklagten Hedgefond Galleon benannte Fall weitete sich zum größten Insiderskandal der USA der letzten 30 Jahre aus. Gupta wurde als Zuträger ausgeforscht. Unmittelbar nach einer Board-Sitzung von Goldman Sachs im September 2008 gab er in seiner Funktion als Mitglied des Gremiums den Deal mit Warren Buffet durch; ausgerechnet des Geldhauses, das sich wie McKinsey höchst diskret, höchst professionell gibt, noch dazu mitten in der Finanzkrise.(8) Anlässlich der Bestellung von Gupta zum Board-Mitglied hieß es verheißungsvoll: „Our shareholders will be fortunate to have his strategic and operational expertise and judgment." Sein Engagement wurde für Goldman Sachs erst mal teuer, weil das Geldhaus zur Übernahme der Anwaltskosten seiner Board-Mitglieder verpflichtet war. Mehr als 30 Millionen USD mussten zu seiner Verteidigung vorgeschossen werden. Süffisant ist, dass Gupta bereit war, Goldman Sachs die Anwaltskosten zu ersetzen, falls er des Insider-Handels überführt werde. Der zum Humanitarian erhobene, zum selbstlosen Philanthropen stilisierte Angeklagte erhielt von prominenter Seite reichlich Unterstützung; so von Bill Gates, für dessen Stiftung er tätig war, vom früheren Präsidenten der Vereinten Nationen, Kofi Annan, als dessen persönlicher Berater er engagiert war, und von der in die Hunderte gehenden Zahl der "Friends of Rajat Gupta for Fair Play and Justice", die seine menschlichen Qualitäten beschworen.(9) Und der prominente Verteidiger Gary Naftali ließ verlauten: „He has always acted with honesty and integrity". Die milde Strafe von zwei Jahren Gefängnis überraschte nicht.(10)

Symptomatisch das Verhalten

Noch als Senior Director ging Gupta Private Equity-Engagements ein – was eine Verletzung der Corporate Rules bedeutete. Das Ansinnen, Partner bei dem größten Private Equity Player KKR (Kohlberg, Kravis, Roberts) zu werden, fruchtete nicht. Schließlich diente er sich dem befreundeten Inhaber des Galleon-Hedgefonds, Raj Rajaratnam an.(11)

Personen aus Gupta's Umgebung waren sich einig, dass er es darauf anlegte, Mitglied des „Billionaire Circle" zu werden, zu dem in New York vornehmlich Inhaber bzw. Partner von Private Equity-Häusern und Hedgefonds gehörten. „A big macher" wollte er sein und 100 Millionen USD (in 5-10 Jahren) ohne große Mühe kassieren. Bala Balachandran, Business Professor, der Gupta seit 30 Jahren kannte, will ihn gewarnt haben: „.... if you are in a herd of pigs, you will also smell." Die Habsucht – im Englischen lautmalend Greed genannt – war aber nicht aufzuhalten. Das Verlangen nach Bedeutung schien dagegen schon gestillt: mit zahlreichen Chairs / Board Memberships von Universitäten (Yale, Chicago, Wharton, Harvard), von Stiftungen (v.a. Bill & Melinda Gates) und Gesundheitsorganisationen (v. a. The Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria) und nicht zuletzt als Chairman der International Chamber of Commerce .(12)

Gupta – kein Einzelfall

Zur etwa gleichen Zeit wie Gupta bekannte sich sein Protegé, Anil Kumar, wegen Weitergabe von Interna von Klienten für schuldig. Der Senior Director war eine Größe bei McKinsey: Mitgründer der Büros in Silicon Valley, Account Manager für AMD, eBay, Business Objects, Cisco, Samsung und weiterer High-tech-Firmen. In einem Fall wurden geheime Strategiepapiere der beiden erbitterten Konkurrenten AMD und Intel ausgetauscht. Der ob seiner Arroganz unbeliebte Kumar gab sich reuig und stellte sich als Zeuge der Anklage zur Verfügung. Er gab zu, sich für fünfhunderttausend USD an Raj Rajaratnam verdingt zu haben und deshalb in der Pflicht gestanden zu haben „zu liefern" (bei einem Jahreseinkommen von annähernd 10 Millionen USD). Und es gab einen Dritten im Spiel: David Placek, ebenfalls Director, also der höchsten Hierarchiestufe zugehörig, Leiter der Semiconductor Practice, wurde Teil des Insider-Ringes (oder sollte es werden), was wegen seines plötzlichen Todes ungeklärt blieb.

Ist es da abwegig, von „systemisch-parasitär" sprechen? Die selbstbekundete „foundation of trust" war offenbar keine. Drängt sich da nicht die Frage auf: nur im Fall Gupta?

Parasitär das Vorgehen

Ein Managing Director von Goldman Sachs charakterisierte McKinsey „as the psychiatrist-in-chief for corporate America". Gupta war der Chef der „Chef-Psychiater", aber er wollte noch mehr und hat es vorgemacht. Weil der Kreis der Klienten von Industriekonzernen und Banken enger geworden war,(13) wandte sich McKinsey offensiv dem öffentlichen Sektor zu. Erziehungsbehörden bis öffentliche Finanzinstitute wurden ins Visier genommen. Vor allem seit Ende der 1990er-Jahre kam das Private Equity-Segment dazu und danach die wuchernden Hedgefonds. In ihnen wurden lukrative Kunden gesehen, die ein großes Rad drehen, an üppige Honorare gewöhnt und auffallend öffentlichkeitsscheu sind. Auch große Stiftungen wurden willkommene Klienten, zumal McKinsey davon überzeugt ist, durch seine Art von Professionalisierung dem jeweiligen Stiftungszweck auf eine einzigartige Weise zu dienen. Und nicht zuletzt geraten Kirchen ins Blickfeld, wie die Aktivitäten von Fred Gluck, eines früheren McKinsey-Chefs und Mitbegründers des „National Leadership Roundtable on Church Management" nahelegen.

Das Geschäftsmodell von McKinsey dehnte sich ständig aus. Das Unternehmen war Besitzer eines umfangreichen Branchenwissens und intimer Kenner der meisten größten Unternehmen. Die bewährten „Best Practice Groups", die der Pflege und dem Austausch von Know-how zu Branchen, Technologien, Prozessen, Methoden und Werkzeugen dienen, wurden intensiviert und weiter internationalisiert. Wissen ist ein Asset, das unentwegt in Umlauf gebracht werden muss. Es ist zunehmend ein Leichtes mit dem Hinweis auf diesen Wissensbestand zu akquirieren. Dem potentiellen Klienten kann unvermittelt vor Augen geführt werden, was ein bewunderter bzw. gehasster Wettbewerber voraus hat und dass McKinsey bei der Entwicklung der dringend gebotenen Gegenstrategie hilfreich sein kann, gar unverzichtbar ist. Das Consulting-Unternehmen wurde immer mehr zum Informationsbroker in eigener Sache unter dem Mantel höchster Diskretion und der angeblich strikten Trennung von Klienten-Teams.(14) Diese Geschäftsmasche wird den Klienten immer noch überzeugend verkauft. Ein Unvoreingenommener frägt sich, wie das Kunststück gelingt, Exklusivität und Erfahrungsaustausch problemlos miteinander in Einklang zu bringen.

Die Smartness von McKinsey treibt fortwährend dazu, nach Geld und Einfluss zu eifern. Wen gilt es noch zu übertrumpfen? Unter den Consultants ist die Firma schon an Position Eins. Doch ein paar wenige verdienen noch mehr: das sind die ersten Private Equity- und Hedgefonds-Adressen. Nur eine Adresse verfügt über noch mehr Einfluss, das ist Goldman Sachs. Das verleitet, sich nicht mehr mit Beratung zu begnügen, sondern Deals einzufädeln, sich beharrlich an CEOs heranzumachen und sie darin zu bestärken, große Dinge anstellen zu sollen.(15) Dealing ist immer noch einträglicher als Consulting. Dieses Faktum war wiederholt Grund dafür, dass „Meckies" abwanderten, wenn auf der anderen Straßenseite mehr Geld lockte.(16) Das war insbesondere während des Internet-Hypes, als sich so manches „Office" in Kalifornien, aber auch in Deutschland und anderswo zu leeren begann. Venture Capital war damals „in", heute sind es Private Equity und verwandte Geld-/Transaktionsgeschäfte. Auffallend viele McKinsey-Alumni sind darin aktiv. Als nächste scheinen die Hedgefonds an der Reihe zu sein; (17) für Gupta waren sie es bereits. Solche Konstellationen sind die höchste Stufe der Geld(ab-)schöpfung.

Trotz aller gegenteiligen Versicherungen ist vielen, die zu McKinsey gehen und Karriere machen, der Wesenszug von Habsucht und Arroganz eigen und gemein.

McKinsey und Enron – ein intimes Verhältnis

Im Amerikanischen ist die Rede von evil companies, wenn Lug und Trug am Werke, die Verantwortlichen von Habsucht und Machtlust durchdrungen sind. Geradezu exemplarisch dafür wurde Enron, ein vom Energieunternehmen zum Derivate-Händler mutierter Konzern, der zeitweise zu den höchstkapitalisierten Unternehmen gehörte.

Wer konzipierte diese Transformation und war permanent zur Stelle? In den Medien hieß es nur:„The firm that built Enron". Für McKinsey war Enron das Realexperiment für Asset Light (im Kern die Minimierung der Kapitalintensität und der Wertschöpfungstiefe), Loose and tight (im Wesentlichen die Antinomie von unternehmerischer Freiheit und strikter Kontrolle), Off-balance-sheet vehicles zur Bilanzverkürzung, Risikoverschleierung und zur persönlichen Bereicherung des Enron-TopManagements, des Mark to market Bewertungsansatzes;(18) alles in allem: „the model of a new way to do business" . Als Kernelement der Führung wurde die von McKinsey favorisierte individualistische Leistungskultur eingeführt. Egomanen und Selbstdarsteller erhielten fortan Gelegenheit, Erfolge für sich zu beanspruchen und Fehler auf andere zu schieben. Das McKinsey-Quarterly ließ sich zur Erklärung hinreißen: "New breed of tightly focused and vertically specialized "Petropreneurs"; ... built a reputation as one of the world's most innovative companies by attacking and atomizing traditional industry structures".

An vielen Business Schools, allen voran an der Harvard Business School, hatte Enron einen exzellenten Namen als Innovator von Geschäftsmodellen. In den Jahren vor dem Bankrott wurden weltweit die meisten MBAs eingestellt. Enron wurde die „MBA Company consulted by McKinsey". Drei Account-Manager betreuten Enron, darunter Richard, N. Foster, der sogar an Board Meetings teilnahm. President und COO, Jeffrey K. Skilling, einer der McKinsey Account Manager, wurde vom CEO, Kenneth Lay, abgeworben und zum Leiter der wachstumsträchtigsten Division gemacht. Dieser Mann „mit Biss" war einer der jüngsten McKinsey-Partner und ein Parade-Alumnus. Zu seiner Profilierung reicht der Satz bei der Aufnahme an die Harvard Business School: „ I'am fucking smart". Die steile Karriere endete abrupt: angeklagt in 35 Fällen schwerer Straftat, Falschaussage, Insiderhandel und weiterer white collar-Delikte. Skilling wurde zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Wie Gupta bestritt er alle Anschuldigungen. Die Widerspruchsverfahren dauern noch an. Die Kosten für seine Verteidigung belaufen sich bis dato auf über 70 Mio USD.

Im Unterschied zur Rechnungsprüfer-Firma Arthur Andersen LL, damals noch eine der großen Vier, ist es McKinsey für viele Beobachter überraschend gelungen, dem langzeitigen, intensiven Engagement bei Enron unbelastet zu entkommen.(20) Das Pendant Arthur Andersen verhedderte sich dagegen mit dem strafbaren Schreddern von Unterlagen und ging unversehens in die Insolvenz.

Machenschaften, Täuschung, Selbstsucht bei Enron sind Bücher füllend. Vieles zur Insider-Rolle von McKinsey bei Enron bleibt im Ungewissen.

Das Besondere: horrend teuer und extrem smart

Rat von McKinsey kommt nicht billig: Ein Beratungstag eines McKinsey-Consultants wird im Durchschnitt mit 3000 Euro in Rechnung gestellt, für einen Senior Consultant kann das Äquivalent bis auf das Dreifache steigen(21). Kleinere Beratungsprojekte schlagen im Allgemeinen mit zweihunderttausend Euro pro Monat zu Buche. Großprojekte wie die Umstellung der Beschaffung eines globalen Konzerns liegen weit jenseits von 10 Millionen.(22) Nach unwidersprochener Einschätzung ist McKinsey eine hochprofitable Angelegenheit. Besonders lukrativ ist das Geschäft für Partner und Direktoren: erstere verdienen grosso modo über eine Million Euro und die Direktoren ein Mehrfaches. Das liegt am Honorarsystem, das wie ein Systemvertrieb funktioniert: In den hohen Rängen wird generell überproportional vergütet, der Abstand zur unteren Stufe bewegt sich häufig beim mehr als Doppelten, wobei die variablen Anteile stark zu Buche schlagen.(23) Die unteren Chargen sind zwar gut bezahlt, wenn man sie mit anderen gleichausgebildeten, motivierten Gleichaltrigen vergleicht. Allerdings ist die anfängliche Honorierung (einschließlich aller Gehaltsbestandteile) mit durchschnittlich achtzigtausend Euro im Jahr umgelegt auf die zeitliche Totalverfügung nicht mehr überaus üppig. Aber für Anfänger liegt ein großer Anreiz darin, in exquisitem Outfit auf exklusive Art zu logieren und zu reisen, wie wenn man Junior-CEO wäre. Nach Aussagen von Ehemaligen kommt es schließlich auf die Aussicht auf einen interessanten Anschluss-Job und die bleibende Zugehörigkeit zum „Club" an.

Kundenbindung hat höchste Priorität; mitunter ist zutreffend von „Kaptivierung" die Rede. Da helfen Taktiken wie die unaufgeforderte Bereitstellung von Studien, der ständige Hinweis auf Schachzüge des Wettbewerbs es können auch konkurrierende Länder und Regionen sein und auf neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik nebst Tratsch über Kollegen und Konkurrenten. Die Dramatisierung von Gefahren und das allseitige Verbreiten von Unsicherheit als Herausforderungen deklariert sind eine geläufige Taktik; eine weitere, die Kompetenz des Klienten, das heißt seiner Mitarbeiter als nicht ausreichend und aktuell hinzustellen.

Der wichtigste akquisitorische Ansatz von McKinsey ist der Aufbau eines Netzwerkes zu den Klienten-Organisationen. Diese umfasst die Platzierung von McKinsey-Alumni in zentralen, consultantaffinen Bereichen wie Corporate Development, M&A, Controlling, Inhouse-Consulting. Damit ist die Erwartung verbunden, frühzeitig möglichst viel über potentiellen Consultingbedarf zu erfahren und Mitbewerbern den Zugang zu erschweren; dann das Unterbringen -  am besten - des jeweiligen Key Accounters (24) oder noch besser als Mitglied der Unternehmensleitung wie es im ersteren Falle bei Siemens und im letzteren der Fall bei der Post war, wo unter Zumwinkel zeitweise drei ehemalige McKinsey-Berater als Vorstände eingesetzt waren. Die raffinierte, von der medialen Öffentlichkeit seltsamerweise kaum wahrgenommene Taktik kann man despektierlich als Anschleichen, Einschleichen, Umarmen und Einkreisen bezeichnen.

Ein lange erprobter Ansatz ist die Adressierung von Themen, die einen gesellschaftlichen Trend aufgreifen.(25) Aktuelles Beispiel ist Diversität  - unter dem verheißungsvollen Titel "Vielfalt siegt!" - , der sich vor allem große Unternehmen stellen müssen. Im Vorfeld der Kampagne wurde eine globale Studie präsentiert, zu der 180 Unternehmen befragt wurden und die zum eindeutigen Schluss kommt, dass „diversitäre" (wozu eine eigene Definition zugrunde gelegt wird) Unternehmen, eine um zweiDrittel höhere Leistungsfähigkeit vorweisen. Mit dieser selbstgeschaffenen Faktenlage in der Hand wird dann im jeweiligen Land eine „überparteiliche" Interessen-Allianz organisiert: Familienministerium, Unternehmen, zu denen McKinsey bekanntlich gute Verbindungen pflegt, und interessierte Organisationen werden zu einem Projektverbund organisiert. Dann geht es an den „Roll-out", das Verkaufen von Lösungen an Unternehmen und auch an öffentliche Einrichtungen, die fortschrittlich sein wollen und großzügig sind. Das sozial „gute" Ziel im Auge und prominente Stakeholder mit von der Partie: das Werk kann beginnen.(27)

Die Sammlung von Lösungen beinhaltet folgende bekannt gewordenen Rezepte: im Falle von Bahnunternehmen (Railtrak Group plc) waren es massive Einsparungen bei der Infrastruktur („reduce spending on infrastructure"), im Falle von Auto- und Hausratversicherungen ein bewusst harscher Umgang („from good hand to boxing gloves") mit Anspruchsberechtigten (28) und im Falle von Public Schools die „high costs" der Lehrervergütung zu senken und das leistungsschwächste Viertel der Schulen zu privatisieren. In Geschäftssituationen, wo Unternehmen eine Entwicklung vermeintlich oder in Wirklichkeit verschlafen hatten, wurde in der Regel ein massives Aufholprogramm empfohlen; so während des Dot-com-Hypes oder bei Structured-Products in der Bankenbranche oder früher der Einstieg in das Investmentbanking, dem beispielsweise deutsche Banken bereitwillig folgten, die später in großem Stil abschreiben mussten.

Die Projekte wurden immer umfangreicher ausgelegt. Belege dafür sind Transformationsprogramme nach dem Muster von „World Class" für ganze Unternehmensbereiche oder die Diversifikation ganzer Unternehmen.(29) Zur Königsklasse von Projekten zählt die Mithilfe bei der Konsolidierung ganzer Branchen bevorzugt im Infrastrukturbereich wie der Post. Als Taktik ist feststellbar: Während früher der Projektumfang relativ eng war, aber schon meist Nachfolgeprojekte einschloss, wurden in den letzten 20 Jahren diese von Anfang an breit angelegt.

Manageristisch die Wirkung

Über die Gründe für das Einschalten von Consultants wie McKinsey ist so Manches gesagt. Am einfachsten lassen sich diese aus dem Vergleich von Dauerklienten und Nichtkunden ablesen. Kurz: Dort, wo die Unternehmensaufsicht schwach ist, es sich um eine Publikumsgesellschaft handelt, an deren Spitze ein MBA steht oder deren Leitung zu einem wesentlichen Teil aus MBAs zusammen gesetzt ist, Quereinsteiger an der Spitze sind, ist die Wahrscheinlichkeit eines Engagements von McKinsey et al. sehr hoch; insbesondere dann, wenn gegenüber den eigenen Leuten auch noch Misstrauen herrscht, Absicherung im Spiel ist, Distanz zur Basis gewahrt werden und Inkompetenz verdeckt werden soll. Auch das verbreitete Alibi-Verhalten („McKinsey hat empfohlen") im Leitungsorgan ist dem Strategie-und General Consulting zuträglich. Kein anderes Consulting-Unternehmen ist sich dieser Verhältnisse in so hohem Maße bewusst wie McKinsey, handelt smart und konsequent danach. Aus dieser Aufzählung lässt sich folgern, dass manageristische Unternehmen anfällig, unternehmerisch geführte dagegen, wie sie für den deutschen Mittelstand repräsentativ sind, resistent sind. Wäre es nicht an der Zeit, einen „Performance"-Vergleich zu machen, was McKinsey an Gutem gebracht hat, und sich ernsthaft zu fragen, wie es um die Unternehmensaufsicht bestellt ist?

Managerismus ist in erster Linie einer extrem eigennützigen Trias von CEOs/Vorständen, Kapitalmarktvertretern und Top-Management Consultants zuzuschreiben. Das Geschäftsgebaren von McKinsey weist Merkmale des deformierten angelsächsischen Stils auf, der Kurzfristdenken begünstigt, manageristische Managementmoden fördert, Eigensucht und Narzissmus von Managern verstärkt, den Unternehmenszusammenhalt schwächt; kurz: manageristisch ist und über Beratung großer börsennotierten Gesellschaften auf Wirtschaft, Staat und Gesellschaft infizierend wirkt.
 

 

Ziel dieser Denkschrift ist, die interessensgeleitete Undurchschaubarkeit von McKinsey zu einem kleinen Teil zu beseitigen und zivilgesellschaftliches Interesse an diesem mächtigen Consulting-Unternehmen zu bekunden. Die Denkschrift ist eine Aufforderung an die Medien, mehr Transparenz herzustellen.

 

Anmerkungen

(1) Dieser Fall wurde in den amerikanischen Medien fast ausnahmslos als einmaliges Vergehen einer Person dargestellt. Den deutschen Medien war die „Story" nur eine oder zwei ausführlichere Agenturmeldungen wert. McKinsey hielt sich beständig bedeckt. Indes die wichtigsten Klienten wurden in vertraulichen Gesprächen beschwichtigt.
(2) Gupta bedeutet "Militärführer". Die Guptas waren eine indische Herrscherdynastie.
(3) Siehe v.a. Walter Kiechel III, früherer Editorial Director von Harvard Business Publishing und Managing Editor von Fortune, Autor von The Lords of Strategy: The Secret Intellectual History of the New Corporate World (2010), Harvard Business Press, einem Buch, das History & Hype der Strategieberatung detailreich aufzeichnet.
(4) Core Principles (1937): "A McKinsey consultant is supposed to put the interests of his client ahead of increasing The Firm's revenues; he should keep his mouth shut about his client's affairs; he should tell the truth and not be afraid to challenge a client's opinion; and he should only agree to perform work that he feels is both necessary and something McKinsey can do well".
(5) Marvin Bower (1903-2003), von der Ausbildung Jurist (Harvard Law School, dann Harvard Business School), orientierte sich an den professionellen Standards der angesehenen Rechtsanwaltskanzleien. Er galt als „Father of modern Management Consulting". Gegner des Expansionsstrebens war der durch den Bestseller In Search of Excellence bekannt gewordene Senior Partner Robert H. Waterman; er verließ das Unternehmen.
(6) Die weltweit geplanten Inkubatoren sollten McKinsey dazu verhelfen, zusätzlich zur Startup-Beratung Services (Recruiting, Legal, Financial, Marketing / PR) zu vermitteln und – was entscheidend war – an den im Schnellgang durchgezogenen IPO's kräftig mitzuverdienen.
(7) Die Parallelen zu Goldman Sachs sind auffallend: insbesondere im Zuge des Übergangs von der Partner-Investmentbank zum börsennotierten Finanzkonzern mit einem außerordentlich expansiven Handelsgeschäft einschließlich einem hohen Eigengeschäft.
(8) Ein ähnlicher Insiderfall ereignete sich bei Procter & Gamble.
(9) Darunter Alumni der Indian School of Business in Hyderabad. Anlässlich einer dortigen Inaugurationsfeier empfahl Gupta Selbstlosigkeit: „Try to make other people successful".
(10) Im Unterschied zu 11 Jahren von Rajaratnam
(11) Gupta bemühte sich bei McKinsey, Hedgefonds als potente Klienten zu gewinnen.
(12) Siehe dazu www.managerismus.com/ McKinsey_anklage
(13) Die These, dass Strategy Consultants ihren Anteil an der Deindustrialsierung der USA haben, ist begründet: Denkschrift-nr-8
(14) Festzustellen ist eine gewisse Verwandtschaft zu bestimmten Investmentbanken, die vorgeben, Analyse und Trading völlig voneinander getrennt zu halten. Jegliche Interessenskonflikte werden zurückgewiesen.
(15) Der exemplarische Fall in Deutschland war Jürgen Schrempp, den das Tandem McKinsey und Goldman Sachs betreute. Der frühere McKinsey-Partner Alexander Dibelius wurde durch den gloriosen Chrysler-Deal zum Partner von Goldman Sachs und gilt bis heute als der umtriebigste und bestvernetzte „Dealer" des deutschsprachigen Raums.
(16) In einschlägigen Kreisen heißt es bezeichnenderweise „pigging out".
(17) 25 der einkommensstärksten Hedgefonds-Manager „verdienten" in den letzten Jahren mehr als die CEO's der 500 größten US-Unternehmen zusammen. Führten vor einem Jahrhundert die „Realwirtschaftler" vom Schlage Rockefeller und Carnegie die Spitze der reichsten Amerikaner an, schoben sich in der jüngeren Vergangenheit die Finanzjongleure an deren Stelle.
(18) E.ON nahm von einer Beteiligungsabsicht Abstand, weil ein Gutachten von PWC u.a. diese „off-balance vehicles" als intransparent und kritisch wertete. Bei „mark to market" wird der angenommene zukünftige Gewinn eines Auftrages zum Gegenwartswert bilanziert (anstelle der aufgelaufenen Kosten).
(19) Vor dem Zusammenbruch stieg Enron sogar in den „Chip-trade" (Handel im zyklischen D-RAM-Segment) ein.
(20) Manche vermuteten, dass das McKinsey-Engagement vom Andersen-Debakel überschattet war.
(21) Das ist beispielsweise ins Verhältnis zu dem vom Berliner Bürgermeister kritisierten Tagessatz von zwei Tausend Euro plus Spesen für einen der raren Bauexperten für Großflughäfen zu setzen.
(22) Aus Gründen des Informationsschutzes wird auf die Angabe von Einzelaufträgen verzichtet.
(23) Die Übereinstimmung mit der überproportionalen Vergütung von Top-Managern ist nicht zu übersehen. Von McKinsey war bis dato keine Kritik an exzessiven Vergütungen zu vernehmen, wohl weil die Spitzenverdiener bei McKinsey auf gleicher Höhe wie viele CEOs stehen.
(24) Paradefall war der unerwartete, direkte Einstieg von Edward Krubasik bei Siemens unter der Ägide Hermann Franz als Aufsichtsratsvorsitzender und Herbert Henzler als McKinsey-Europa-Chef und vormaliger Siemens-Betreuer.
(25) Zu den behandelten „Metathemen" gehören: Ausbildung und Erziehung, Energie, Klima und der Euro.
(26) Nach diesem Muster wurden die Business Plan-Wettbewerbe zuerst aus Amerika importiert, dann zwei Mal an den Bayerischen Staat verkauft; man ließ sich als Sponsor führen, versuchte die Organisationen mit Ehemaligen zu besetzen und beanspruchte dazugehörende Sitze im Beirat.
(27) McKinsey greift zunehmend „soziale" und wirtschaftspolitische Themen auf: von der frühkindlichen Erziehung bis zu Rettungsprogrammen für den Euro / Griechenland.
(28) Beispiele: State Farm und Allstate Insurance Companies.
(29) Darunter fielen Projekte beispielsweise bei Daimler, Siemens, UBS.