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Erläuterung

Was man unter Managerismus versteht

Managerismus leitet sich selbstredend von Manager als Job/Funktion ab, verweist aber auf eine Deformation hin, die das Top-Management bzw. den Senior Executive Level betrifft. Es sind meist börsennotierte, Publikumsgesellschaften in westlichen Ökonomien. Die Deformation zeigt sich in der Art, wie geplant, gesteuert, mit Leuten umgegangen, Verantwortung gehandhabt, die Unternehmensspitze im Verhältnis zur Mitarbeiterschaft vergütet wird, Ressourcen gemanagt, Unternehmen kontrolliert, wie Vorschriften befolgt werden und wie Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausgeübt wird.

Eine pathologische Züge aufweisende Form des Managements wird im Verhalten Einzelner oder von Gruppierungen von Managern offenbar. Zugrunde liegen ein egozentrisches Verhalten, das Anbiedern an den Kapitalmarkt, planwirtschaftliche Prozesse und bürokratische Systeme, Scheinprofessionalität, Abhängigkeit von Beratern, Distanz zu Menschen, Gemeinschaft und Abwertung von Werten. Gefördert wird dies durch Gruppen-/ Kollegendruck und durch kurzfristige, einseitige Anreize in Verbindung mit starrer Budgetierung/Planung und Aktienrückkäufen.

Managerismus steht im Gegensatz zu Unternehmertum und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Für solche, die ihn praktizieren, eignet sich die Bezeichnung Manager, zur Unterscheidung zu guten Managern, die sich auch in einer gesellschaftlichen Rolle sehen und danach handeln.

Die wesentlichen Unterschiede sind nachfolgend gegenüber gestellt. Es versteht sich von selbst, dass es typische, auch überzeichnete Gegensatzpaare sind.

Managerismus   Unternehmertum
Mechanistisch, „Gewinnmaschine“ Theorie Soziales System
Transaktion Schwerpunkt Innovation
Kapitalmarkt
Hohes Wachstum / große Marktmacht
Kurzfristig
Orientierung Kunden/Mitarbeiter
Organisches Wachstum
Überlebensfähigkeit des Unternehmens, langfristig
Risikoscheu / extrem Risikofreudig
Geringes Job-Risiko (Abfindung)
Geringes Gehaltsrisiko
Risiko Risikobewusst
Angemessene Beteiligung
Totalverlust möglich
Gering /minimiert (D&O-Versicherung) Haftung Umfassend bis Totalverlust
Hohe, variable Bezüge Erfolgsbeteiligung Gewinnbeteiligung
Gering, opportunistisch Wertebezug Eng, dauerhaft
National/Transnational Engagement Lokal/regional
Bürokratisch, planwirtschaftlich, absichernd Stil Aktionsorientiert, pragmatisch
Hierarchisch Organisation Flach, Projekte
Austauschbar Mitarbeiter Loyal, familiäre Bindung
Insourcing/Parabusiness Expertise Im Unternehmen
Aufwendig (PR/Investor Relations) Öffentlichkeitsarbeit Reduziert, reserviert
Beschäftigungs-/ Karriereplattform Stellung des Unternehmens Gestaltungs- und Verantwortungsraum

 

Eine kurze Geschichte des Managerismus

Elemente des Managerismus lassen sich auf das wissenschaftliche Management von Frederick W. Taylor (1856-1915) zurückführen. Das sind in erster Linie das distanzierte Verhältnis zum Menschen - Menschen sind austauschbar - und der ausgeprägt bürokratisch-analytische Stil.

Kennzeichnend dafür war die Sicht und Behandlung der Arbeiter in der Produktion als anlernbare, multifunktionale Maschinen und der Versuch, mit wissenschaftlichen Methoden den bestmöglichen Weg zur Durchführung einer Aufgabe bis ins Detail festzulegen. Auswahl und Schulung der Arbeiter waren darauf abgestellt. Mit dem Akkordsystem sollte der Wettbewerb unter den Arbeitern angeregt und das Übertreffen der Leistungsnormen erreicht werden. Das Ergebnis dieses Ansatzes brachte hohe Produktivitätssteigerungen, wozu ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum beitrug. Das Akkordsystem funktionierte nur gut in stabilen Verhältnissen, es führte später zu mittelmäßigen Leistungen, war mit hohem Planungs- und Kontrollaufwand verbunden, zog eine Misstrauenskultur nach. Der Taylorismus verbreitete sich sowohl in marktwirtschaftlich als auch in zentral geleiteten Volkswirtschaften.

Das systemische Element des „Taylorismus“ war die Zweiteilung des Unternehmens/ Betriebes in Manager, die Planung, Steuerung und Kontrolle innehaben, und Arbeiter, die ungefragt die standardisierten Prozesse ausführen. Die Folgen waren komplexe Strukturen mit
vielen Hierarchieebenen, eine Fülle von starren Systemen, Regelwerken und Vorschriften, mangelnde persönliche Kommunikation

Eine breite Sicht des Managements, die leistungsorientiert war und den Menschen einbezog, von Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft getragen war, stammte von Peter F. Drucker (1909-2005), dem großen Managementtheoretiker, -lehrer. Seit den 1940er-Jahren hat er sich unnachahmlich mit dem Managements als Profession, dem Emporkommen der Manager als soziale Klasse und deren Wandlungen in der Industrie und Wissensgesellschaft beschäftigt.

Nach seinen Beobachtungen bildete sich Management als generische Funktion nach dem Ende des 2. Weltkriegs heraus. Management wurde zu einer Disziplin, vergleichbar einem anspruchsvollen Handwerk - nicht einer Wissenschaft -, das seinen Schwerpunkt in Planung, Entscheidungsfindung, Mitarbeiter-/Führungskräfteentwicklung, Kommunikation und Ergebniskontrolle hat.

Nach dem Verständnis von Drucker ist ein Manager mehr als der sogenannte Technokrat. Management ist kulturgebunden, unterliegt den Werten und Traditionen der Gesellschaft. Aufgrund des klaren gesellschaftlichen Bezugs von Unternehmen sind Manager sozial verantwortlich und sollen Führungsverantwortung über das Unternehmen hinaus übernehmen. Er sah schon früh voraus, dass die Anforderungen an das Management größer werden in Bezug auf Menschenführung, unternehmerisches Engagement, Wissensmanagement, Internationalisierung des Geschäfts.

Drucker’s kürzeste Formel von Management lautet: It’s about people: Das bedeutet, dass es Aufgabe des Managements ist, Menschen zu einer gemeinschaftlichen Leistung zu befähigen, indem ihre Stärken genutzt, gefördert und ihre Schwächen hinten angestellt werden. Weil Management auf die Integration von Leuten, auf ein gemeinsames Unterfangen hin ausgerichtet ist, wird es in seiner Art notwendigerweise stark von der jeweiligen Kultur geprägt. Der Zweck von Unternehmen ist nicht die maximale Gewinnerwirtschaftung. Gewinn ist weniger die Erklärung, Ursache und Ratio geschäftlicher Betätigung als zentrales Prüfkriterium für effektives und effizientes Wirtschaften.

Druckers Sicht des Managements war idealisierend, für die große Mehrheit von Managern bis in die 90er-Jahre prägend. Hohe Ansprüche waren gestellt an die Integrität und an das Selbstverständnis des Managers, das er in die Nähe von Unternehmertum rückte.

In den USA setzte in den letzten 40 Jahren immer stärker ein Kapitalmarkt-getriebenes Managementverhalten (Stichwort Shareholder Value) ein, dass bis heute anhält. Im Zuge des Börsenbooms der Jahrtausendwende kam es zu einer wahren Wachstumseuphorie und zu einer Inszenierung von CEOs zu „Business Heroes“, zu Vergütungsexzessen und Bilanzmanipulationen; Es häuften sich M&A-Transaktionen, rücksichtslose Entlassungen, eine Fülle von Management-Consultants gehypte Konzepte, von Investmentbankern arrangierte Megatransaktionen und eine ausufernde Selbstbedienung des Top-Managements, massive Aktienrückkäufe. Engagierter Unterstützer dieser Entwicklungen war der Parabusiness-Sektor: Das sind US- dominierte Beratungsunternehmen, Wirtschaftskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Investmentbanken, Stimmrechtsvertretungen – und nicht zu vergessen - trendige Wirtschaftsmedien.

Die große Mehrheit der Arbeiter und Angestellten blieb bei der Verteilung der Gewinne außen vor, ihr Realeinkommen schrumpfte, während die Bezüge der Top-Manager dank ausgeklügelter Vergütungssysteme und kollusiver Beziehungen von Boards und Executives unaufhaltsam stiegen. Die CEO-Vergütung erreicht nicht selten das Zweihundertfache und mehr eines Basisangestellten. Exponenten dieser Schattenseite der Wirtschaft waren vermeintlich angesehene, von den Medien hoch gelobte und an den Business Schools als mustergültig gelehrte Unternehmen wie Enron, WorldCom, Tyco, GE, Boeing in den USA und zahllose weniger prominente.

In Deutschland kam es - verstärkt ab Ende der 1990er-Jahre - mit der Angleichung an amerikanische Praktiken zu gravierenden Abweichungen von einem verantwortungsvollen Management. Unternehmen wie Arcandor, DaimlerChrysler, Hoechst, Mannesmann, Volkswagen, Deutsche Bank und zahlreiche Unternehmen des untergegangenen Neuen Marktes sind hinlängliche Beweise von Managerismus.

Eine augenfällige Facette waren die über Jahrzehnte andauernde Manipulation des Marktes durch verdeckte Kartellstrukturen, eine subtil betriebene Branchenkonzentration, die innovationshemmend, aber margenträchtig ist - und unterschwellige Korruption und Kollusion, begleitet von einem gewucherten Lobbying. Zur Imageaufwertung wurden immer neue Kampagnen aufgesetzt; die bekannteste war Corporate Social Responsibility (CSR).

Zahlreiche Untersuchungen belegen denn auch, dass in vielen Ländern, insbesondere in den USA, Großbritannien und Deutschland, das Ansehen des Top-Managements börsennotierter Unternehmen bei allen Teilen der Bevölkerung großen Schaden genommen hat; im Unterschied zu kleineren Ländern, insbesondere den skandinavischen.

Das positive Managerbild Druckers ist schwer wieder herstellbar.

Ein vehementer Kritiker der Auswüchse des Kapitalismus im Allgemeinen und dessen Urheber war John K. Galbraith (1908 – 2006), US-Volkswirtschaftler, Präsidentenberater und Botschafter. In seinem letzten Werk hat er sich eingehend mit dem Realitätsverlust der heutigen Gesellschaft, der Rolle der Großunternehmen und ihrer Leitung befasst. Nach seiner Beobachtung ist spätestens Ende des 20. Jahrhunderts eine breite Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse in Wirtschaft und Politik eingetreten, von ihm ironisierend als „unschuldiger Betrug“ bezeichnet. Man kann es sinngemäß auch als Verantwortungsschwund bezeichnen.

In den modernen Volkswirtschaften haben Konzerne eine beherrschende Stellung errungen. Die Macht in diesen börsennotierten Unternehmen ist von den Eigentümern auf das Topmanagement übergegangen. Ihm wohnt der Drang inne, Unternehmen ständig zu vergrößern - am schnellsten durch Übernahmen anderer Unternehmen - und die Marktmacht über eine Instrumentalisierung auszubauen; in anderen Fällen werden Konzerne in Abstimmung mit aktivistischen Investoren zerlegt, um schnelle Kapitalgewinne zu erzielen.

Harsche Kritik übte Galbraith an der vermeintlichen Corporate Governance, die seiner Ansicht nach einer institutionellen Täuschung unterliegt: Mitglieder des Board of Directors gelten als Interessensvertreter der Aktionäre, obgleich sie vom Vorstand ausgewählt und ihm faktisch unterstellt sind. Diese Kombination erlaubt eine legale Selbstbereicherung, in dem die vom Vorstand eingebrachten Vergütungsvorschläge als Formsache gebilligt werden.

Börsennotierte Großunternehmen, vor allem Publikumsgesellschaften, pflegen ein Management, das Überdehnung und Selbstbereicherung begünstigt, somit den Managerismus duldet.

 

  • Taylor, Frederick W, Scientific Management, New York: Harper & Row, 1911, Nachdruck New York: Harper and Brothers, 1947
  • Drucker Peter, F., Management, New York, Harper & Row, 1974 und The Essential Drucker, HarperCollins, 2000
  • Galbraith, Kenneth, J., Die Ökonomie des unschuldigen Betruges - Vom Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft, Siedler, Berlin 2005
  • Hoefle, M./ Marquart H./Schnopp R., Managerismus – Pathologien deutscher Unternehmen, Planwirtschaft, München, 2007, ISBN 978-3-00-020994-9