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Internet/ Industrie 4.0/ IT
Denkschrift Nr. 19
11.07.2016

Gründe und Wege zu einer "Charta Digitalis" - Über die notwendige gesellschaftliche und rechtliche Gestaltung der Digitalisierung.

von Klaus Demleitner, Manfred Hoefle, Andreas Seidel

 

 

„Freiheit existiert nur, wenn Ordnung da ist und nicht, wenn Ordnung zerstört ist.“
Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) Physiker und Philosoph

 

Zusammenfassung

Seit zwei Jahrzehnten durchdringt die Digitalisierung unsere Welt mit einer bislang unbekannten Wucht. Die Einzigartigkeit dieser Universaltechnologie zeigt sich zuvorderst in ihrer sich steigernden intrusiven Kraft: Alles was digitalisierbar ist, wird kurz über lang digitalisiert. Weil die Digitalisierung sanft, egalisierend, sozial erscheint, wurde sie lange unterschätzt. Durch sie werden nicht nur völlig neue Geschäftsprozesse- und Geschäftsmodelle realisierbar, über das Internet verändert sich nicht nur das Kommunikationsverhalten, vielmehr wirkt die Digitalisierung über Algorithmisierung, Big Data, Künstliche Intelligenz und globale Vernetzung lebensbestimmend und gesellschaftverändernd.

Die Digitalisierung ist in hohem Maße zweischneidig. Mit ihr hielten viele Annehmlichkeiten Einzug, die Effizienz vieler Vorgänge wurde verbessert, die Welt verkleinerte sich zum "digital village". Auf der anderen Seite sind vor Jahren noch nicht vorstellbare Ungleichgewichte eingetreten, die zur Zerreißprobe von Staat und Gesellschaft geworden sind. Namentlich die von den Akteuren, den großen Intermediären mit Macht eingeforderte Transparenz aller verfügbaren, insbesondere persönlichen Daten, bei gleichzeitiger Verweigerung des Einblicks in die eigene Datenwelt; dann die eigennützige Verwertung von Daten/Inhalten ohne adäquate Gegenleistung und Einspruchsmöglichkeiten mit der Folge einer fortschreitenden "informationellen Fremdbestimmung"; desweiteren, die angestrebte oder schon vollzogene Abschöpfung der gesamten materiellen Basis von Wirtschaft und Gesellschaft: der Produktion, des Verkehrs, des Wohnens, sogar des Individuums durch eine "Netzindustrie". Die aggressiven Player, im Wesentlichen "Fünf"- mit Sitz an der Westküste der USA, bilden bereits einen stabilen "monopolistischen" Cluster im globalen Maßstab. Die Eigentumskonzentration kommt einer "Internet-Plutokratie" gleich.

Die Taktfrequenz der Internetindustrie ist eine völlig andere als die Reaktionsgeschwindigkeit von Staaten bzw. der EU. Das Gefühl von Ohnmacht der Bürger und der nicht mehr ignorierbare Kontrollverlust des Staates bei der Gestaltung und Regulierung sind Faktum. Das Zerreißen von Branchen, Geschäften, Gemeinschaften mitsamt der über lange Zeiten gepflegten rechtlichen Grundlagen um jeden Preis ist nicht weniger als eine unvergleichliche zivilisatorische Herausforderung. Verantwortung und Haftung müssen das Scharnier des technischen Wandels und gesellschaftlicher Entwicklung bleiben.

Der Staat hat es bei einer Jahrhundert-Technologie verabsäumt, frühzeitig und ausreichend gestalterisch und regulatorisch einzugreifen und die Bürger, alle Betroffenen, gebührend einzubeziehen. Die Überlassung dieser Aufgabe an Experten und Lobbyisten untergräbt die notwendige demokratische Legitimierung. Gerade wenn ein Phänomen komplex und schwer fassbar ist, hinter ihm auch noch aggressive, machtvolle, smarte Player stehen, hat sich der Staat als Sachwalter von Recht und Freiheit zu erweisen. Unter dem historisch-assoziierten Begriff "Charta Digitalis" werden Wege dafür aufgezeigt.(1)

Digitalisierung – ein einzigartiges Phänomen

Im Wesentlichen ereignete sich die Verschiebung von der Jahrhunderte alten analogen Welt in eine digitale in den letzten zwei Jahrzehnten.(2) Als Rechenoperation begann sie schon in den 1950er-Jahren, wurde dann in den 1980er-Jahren als Signalmodus zum Standard der Kommunikationstechnik, schließlich zum generellen Code zur Erfassung, Verarbeitung und Speicherung von Daten, Bildern, Tönen. Mit dem Internet hat sich die Digitalisierung global zur neuen, hauptsächlich mobilen Kommunikationstechnologie entwickelt, deren Durchbruch sich, nach ursprünglich zögerlichen Anfängen im Wissenschaftsbetrieb, dann übergreifend auf Handel (B2B, B2C), Finanzen, Medien und weitere Anwendungsbereiche in der Industrie in den 1990er-Jahren vollzog.

Seit 15 Jahren kann von einer "Digitalen Welt" gesprochen werden, weil zum ersten Mal mehr Inhalte digital als analog gespeichert waren. Unter den Begriffen Industrie 4.0 (Industrial Internet) und weiteren 4.0-Welten(3), wie neue Mobilität, Internet der Dinge (IoT), Big Data, Ubiquitious Computing, Cloud, ist Digitalisierung zum beliebigen Schlagwort geworden. Kritisch im Sinne einer sozialen Verwandlung wurde das Internet durch die enge Verbindung von Mobiler Kommunikation, Social Networks und des Internets der Dinge zu grundlegend neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modellen; kurz und prägnant als "uberizing" gekennzeichnet.(4)

Intrusives Wesen

Bei der Digitalisierung handelt es sich im Unterschied zu bisherigen Basistechnologien wie die Mikroelektronik um eine "Universaltechnologie": allgegenwärtig, integral, expansiv, entmaterialisiert, transmedial, interoperabel, substituierend, emergent; dem Diktum folgend: "Alles was digitalisierbar ist, wird digitalisiert.„Damit ist gesagt, dass die Digitalisierung über die Möglichkeit, Menschen, (auch Tiere) und Dinge mit Sensoren und Devices auszustatten, die eingebettet in Systeme vernetzt und interaktiv in die meisten Bereiche der Wirtschaft und des Lebens eindringt und auf diese über Wertschöpfungsketten einwirkt.(5) Ein einziges Beispiel: Kinderspielzeug, das den Gebrauch einschließlich der Kindergespräche an den Provider weiterleitet und fremdbestimmte Beeinflussung auslöst.

Entmaterialisiert bedeutet, dass Software, Algorithmen, Programme, Modelle, Datenströme unsichtbar, nicht greifbar, der gewöhnlichen menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Dies hat zur Folge, dass Problembewusstsein und Risikoeinschätzungen anders sind als in der materiellen Welt, Bedrohungen nicht als solche oder nur indirekt empfunden werden.(6) Mit "emergent" sind völlig neue Eigenschaftskombinationen und Geschäftsmodelle gemeint. Durch die interdependente Verschränkung von Daten mit "Realien" entsteht ein Meta- (und virtueller) Kosmos. Möglich wird dieser durch die umfassende Algorithmisierung von Vorgängen und Entscheidungen, durch eine umfangreiche Verdatung (Datafication) und Einbettung in Systeme. Damit wird die digitale Erfassung bisher nicht zugänglicher Zustände sowie Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Vorgänge im Leben des Menschen eingeleitet.

Omnipräsenz besagt, dass die Digitalisierung über die professionellen und administrativen Anwendungen hinweg Eingang gefunden hat in das Alltags- / Privatleben und die Welt der Künste und Kultur. Die massenhafte Verknüpfung von persönlichen Daten durch Teilnahme im Internet und die gezielte Identifizierung über neue Methoden der Gesichtserkennung vor allem von Personen in Social Networks(7) eröffnet in seiner Wirkung einen noch nicht übersehbaren Grad an "privater Öffentlichkeit" und ständiger Verfolgbarkeit. Analyse und Prognose des wahrscheinlichen Verhaltens Einzelner und von Gemeinschaften jedweder Formation werden Realität. Über Mustererkennungsverfahren (Big Data) lassen sich massenhafte und scheinbar chaotische Phänomene analysieren, über "intelligente" Algorithmen sogar die Automatisierung automatisieren, Suchmaschinen als lernende Systeme perfektionieren und durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) Auskünfte und Vorgänge interaktiv, scheinbar personalisiert(8) abwickeln.

Den dadurch möglichen Geschäftsmodellen liegen in aller Regel offensichtliche Asymmetrien zugrunde, nämlich einerseits die kostenlose bzw. kostengünstige und unablässig erweiterte Zurverfügungstellung von Diensten und andererseits ihre Finanzierung durch Werbung und ungehemmte Weitervermarktung persönlicher und struktureller Daten. Der Einzelne ist durch seine Präsenz im Internet, durch die Nutzung vernetzter Produkte und Dienste wie "smarte" Fahrzeuge, Smart Home oder Wearables unausweichlich Teil der Abschöpfung von Daten, die nach Auffassung der Verwerter in ihr Eigentum übergehen.

Aggressive Akteure

In der Nachfolge der früheren Unternehmen der Rechen- /Informations- und Kommunikationstechnik, für die Namen wie IBM, Siemens, AT&T, NTT, Alcatel, Ericsson und British Telecom standen, wuchs in Kalifornien ein Cluster von Internet-Unternehmen heran, die die Digitalisierung mit aller Kraft und außergewöhnlicher Smartness vorantreiben. Der dortige „kreative“ Kern umfasst grob geschätzt rund zehntausend weltweit rekrutierte High-Performers.(9) Die Intermediäre(10) der Internetwelt setzen sich hauptsächlich aus der "Fünfergruppe" (Amazon, Alphabet/Google, Apple, Microsoft, Facebook) zusammen. Nach dem raschen Erreichen einer bisher in der Wirtschaftsgeschichte unvergleichlichen Kapitalisierung und Marktmacht, setzen sie ihre globale Beherrschungsstrategie ungebremst fort, bauen ihre inzwischen erreichte Gestaltungshoheit ungehemmt aus.

Die Digitalisierung brachte bereits eine neue Variante des Kapitalismus hervor, in deren Vorstellungwelt die Weltwirtschaft und sogar die Weltgesellschaft zur „digitalen Allmende“ werden sollen. Unter dem Vorwand, Nutzen zu stiften und das Wohl aller Menschen anheben zu wollen, werden möglichst viele von sehr wenigen abgeschöpft.(11) Eine solche Übervorteilung ist typisch für den Managerismus. Aber im Unterschied zum Management in den klassischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen setzt sich diese kleine Gruppe im wesentlichen aus Gründern, (Venture-) Capitalists, Fondsmanagern und hochbezahlten jungen IT-Spezialisten zusammen. Die Rede von einer „Internet-Plutokratie“ hat ihren substantiellen Kern. Auch wenn in einigen wenigen Fällen Teile des gigantischen Reichtums philanthropischen Zwecken zukommen (oder zugedacht) werden(12) , ist die außerordentliche Vermögenskonzentration an der Westküste der USA problematisch. Der Blick auf die bisherigen Geschäftspraktiken ergibt ein fragwürdiges Bild von Corporate Social Responsibility (CSR) - und gibt wenig Anlass, auf Besserung zu hoffen.

Ein erstes kennzeichnendes Element der Intermediäre ist der Drang, Datengeschäfte in allen möglichen skalier- und globalisierbaren Anwendungen aufzubauen, indem bislang typische Bereiche menschlichen Tuns "monetarisiert" werden: Facebook mit dem Austausch zwischen Bekannten /Freunden, Google mit der Datensuche(13) und Info-Abfrage, LinkedIn mit Berufs-und Kontaktprofilen und Amazon mit der Auswertung und Beeinflussung des Kaufverhaltens. Ein weiteres Element ist der Plattform-Ansatz, der auf eine möglichst umfassende Zahl der Teilnehmer /User zielt und sie dauerhaft an sich zu binden versucht(14). Das dritte Element: Intermediäre sind extrem kapitalmarktgetrieben. Das bedeutet die Verfolgung eines Hyperwachstums bzw. das Schreiben einer eindrucksvollen "Growth Story", das rasche Erreichen des Status eines Unicorn(15), die Maximierung der Kapitalisierung, um vor allem die Aktie später als Wachstumsbeschleuniger für Akquisitionen einsetzen zu können(16); der Logik exponentiellen Wachstums folgend sind sie skalierungsgetrieben und früh abschöpfend über ausgeklügelte Bezahlformen (Stichwort: Micro-Slicing) und psychologische Tricks wie das "Nudging".(17)

Die großen Intermediäre sind aufgrund ihrer Kapitalstärke in der Lage, (Internet-) Innovationen und nationale Anwendungen aufzukaufen und sich in nationale Märkte einzukaufen. Ihre Angreifbarkeit durch neue Wettbewerber nimmt zusehends ab - entgegen der reflexartigen Behauptung, dass solche Monopole von kurzer Dauer seien, und daher eine Zerschlagung marktbeherrschender Stellungen nicht zielführend sei.(18) In der Zwischenzeit haben mehrere Intermediäre (zuvorderst Alphabet) bis vor kurzem unvorstellbare marktbeherrschende Stellungen im globalen Maßstab erreicht(19). Ihr Tun im Ausland ist aus naheliegenden Gründen vom Wohlwollen der amerikanischen Politik und Wirtschaft getragen. Ausdruck des Sendungsbewusstseins und Machtwillens sind die Verheißung von Zukunftsgeschenken an Nationen und die Verkündung einer internetfreundlichen Ethik für die Welt.(20) Auseinandersetzungen mit nachgeordneten Behörden und Rechtfertigungen für ihre Aktivität werden über Kontakte mit ausländischen Regierungschefs entschärft oder gar umgangen.

Die überwiegend im Silicon Valley ansässigen Internet-Player haben sich vom Pioniergeist der früheren Technologie-Ikonen Hewlett-Packard (HP) oder Intel längst verabschiedet. Ging es früher darum, die Welt in gutem Sinne zu verändern, so dreht sich heute nahezu alles um das große Geld und um Macht(21). Ausdrucksstarker Ausfluss dieser Haltung ist der anmaßende Anspruch von Google, "to organize the world's information".(22) Das ständige - um nicht zu sagen paranoide - Streben nach "Disruption" (wörtlich: Auseinanderreißen, Zersprengen), alles kommerziell Lukrative und technisch Machbare, jedoch notwendigerweise nicht Beherrschbare - anzugreifen, zeigt sich besonders auffallend bei der "Initiative" Autonome Fahrzeuge. Mit missionarischem Eifer wird eine neue, technologie-ideologische Idee als unaufhaltsam und lebensrettend propagiert. Die eigene beschränkte Kompetenz, nämlich Programmierung und Datenmanagement, wird zum Schlüsselbaustein erklärt, der "Rest", also das Auto als Zukaufsteil deklassiert. Es hat nicht nur den Anschein, es ist der manische Glaube, eine etablierte Branche schnellstens zu "disruptieren", ob es Nutzer und Verbraucher wollen oder nicht.(23) Als nächstes Umwälzungsobjekt steht das Haus auf der Agenda, dann folgen Gesundheit, das Altern.

Wucht der Digitalisierung unterschätzt

Die „Unschuld des Netzes“ ist schon vor mehr als 10 Jahren verloren gegangen, als ursprünglich willkommene kostenlose Hilfen wie die Informationssuche gezielt kommerzialisiert wurden und unerlaubte Datenverwertung durch Dritte ihren Anfang nahm.(24) Die Antwort in Form einer adäquaten Gestaltung und Regulierung blieb aus. Erneut hat sich gezeigt, dass die Regulierung komplexer, schleichender Entwicklungen, vor allem wenn sie transnational sind, notorisch zu spät kommt und nur fragmentarisch erfolgt.(25) Doch den Akteuren solcher Entwicklungen ist von vorneherein bewusst, die Gunst der sprichwörtlichen Gunst der Stunde so zu nutzen, dass schwer korrigierbare oder unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden.

Kenner der Szene sehen darin und im Davonlaufen vor Regulierung eine ausgemachte Stärke des Silicon Valley. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob es einem Staat und seinen Bürgern zuzumuten ist, dass durch ein Startup-Unternehmen wie Uber über lange Zeit gewachsene, demokratisch legitimierte Regelungen des Arbeitsrechtes, der Beförderungsgesetze, des Steuerrechtes und weiterer Bereiche auf raffinierte, gewinnsüchtige Weise aus den Angeln gehoben werden, ohne dass dieses für irgendwelche Kollateralschäden grade stehen soll. Um es emphatisch ausdrücken: Warum soll eine Gesellschaft "digitale Verwüstungen" zulassen und ertragen, für die sie dann selbst aufkommen muss?

Ambivalente Wirkung

Durch die Digitalisierung wird die Wirtschaft zunehmend "entmaterialisiert". Neben der Realwirtschaft entsteht ein paralleles. bzw. übergeordnetes Universum. Eine Reihe von Dienstleistungen (Wohnen, Mobilität, Reparaturen etc.) werden in eine hochfragmentierte, individualisierte Shared Economy mit einem intermediären Zentrum verwandelt. Die Leistungserbringer sind Schein-Selbständige, die meist von einem Intermediär abhängig sind, der den Marktzugang kontrolliert und Preise und Margen diktiert. Das angestrebte Geschäftsmodell ist überzeugend: keine wesentlichen Investitionen, hoher Aufwand für Marketing und Werbung (nur um in Rekordzeit die Zahl der User zu maximieren), geringes Geschäfts-/Haftungsrisiko, sichere Lizenzgebühren und Werbeeinnahmen. Im Kern geht es darum, möglichst alle Vorstufen der Leistungserbringung abzuschöpfen. Eine gewisse Analogie zu pyramidalen Vertriebsstrukturen ist nicht von der Hand zu weisen.

Systembestimmend sind: permanentes Einsammeln möglichst vieler Daten, ständige Steigerung des Anteils an Zeit/Aufmerksamkeit im Alltag(26)/Beruf, ungebrochener Monopolisierungsdrang nach der Logik des "The winner take's it all - worldwide" und gezielte Nutzung von Netzwerk- und Synergie-Effekten.
Nicht nur einzelne Bereiche wie Medien und Finanzen werden tiefgreifend verändert, sondern im Ozean von Anwendungen und durch die bereits nahezu alternativlosen Plattformen der Digitalisierung kommt es zu gesellschaftlichen Umwälzungen, sogar zu Verwerfungen. Eine Technologie mit einer solchen Hebelwirkung gab es bisher nicht;(27) auch nicht eine solche Anbieterkonstellation mit Suprematansprüchen und Aversion gegen Regulierung.(28) Die erfolgte und wohl weiterhin geübte Nutzung von Datenbeständen durch US-Geheimdienste vervollständigt das unheilvolle Bild.

Beobachtungen der jüngsten Vergangenheit bestätigen den Eindruck, dass Staaten von der Digitalisierung überrollt werden. Kraftlose und verspätete Versuche der Regulierung waren die Themen Marktbeherrschende Stellung, für die die nationale Zuständigkeit mit großer Verzögerung auf die europäische Ebene gehoben wurde(29) und Safe Harbor(30). Die Passivität von Regulierungszuständigen wurde erstmals 2013 durch den Fall Snowden, die sogenannte NSA-Affäre offenkundig, die die deutsch-europäische Öffentlichkeit alarmierte. Bis dahin gab es keine bedeutsamen Anstrengungen, sich um die transnationale Datensicherheit im Netz zu kümmern. Europäische Konzerne ließen beispielsweise Personaldaten und Compliance-betreffende Vorkommnisse durch US-Dienstleister in den USA prozessieren. Nach Abklingen publizistischer und politischer Empörung verliefen so manche Ansätze einer Neuordnung im Dickicht diverser regulatorischer Bürokratien in Berlin und Brüssel. In Erinnerung blieb der rhetorische Zeigefinger: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht".

Ein krasses Ungleichgewicht besteht in der geringen staatlichen Gestaltungskompetenz und dem schwachen Regulierungswillen. Den sendungsbewussten, technisch weit überlegenen, finanziell üppig ausgestatteten und juristisch hochgerüsteten Digital Players stehen wenige auf der regulativen Seite gegenüber - und diese sind in aller Regel Mainstream-konform. Der Mangel an Fachleuten bzw. von Engagierten in der Politik ist eklatant: In den großen Parteien beschäftigen sich ein paar Sachverständige intensiver mit der Problematik der Digitalisierung. An übernationaler Koordination der fachkundigen Abgeordneten und Einbeziehung überparteilicher Experten fehlt es in Europa. Die EU-Passivität in diesen Regulierungsfragen - im Unterschied zum Übereifer bei Energie, Umwelt und Lebensmitteln - ist eine weitere besorgniserregende Asymmetrie.(31/32)

Dringende Gestaltungsnotwendigkeit

Der Staat hat die Verpflichtung zum Schutz seiner Bürger. Das bedeutet Sicherung der Freiheit vor Zwängen, der Ausnutzung und Manipulation und Ermöglichung der Entfaltung der Bürger. Der Staat ist gehalten, die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Wirtschaft und ein verträgliches Zusammenleben zu setzen. Das ist sein ureigener und unmittelbarer Auftrag, dem der Staat möglichst vorausschauend, stets wachsam, zumindest zeitig korrigierend nachkommen muss. Und die Bürger haben Anspruch auf wirkungsvolle Einbeziehung in diesen Prozess.

Bei der Digitalisierung sind die vielfältigen Entwicklungen vom Ende her und zu Ende zu denken(33). Das bedeutet wirklichkeitsnahe Annahmen über die Ergebnisse zu treffen und diese immer wieder zu überprüfen, schließlich Schlussfolgerungen für nächst- und fernliegende Gestaltung und Regulierung zu ziehen. Wie bisher auf das Unmittelbare - das sind aktuelle, auffallende, skandalträchtige Vorkommnisse - mit Verzögerung zu reagieren, ist selbstredend zu wenig. Denn es geht um nicht weniger als darum, die absehbaren Folgen der Digitalisierung endlich ernsthaft in den Blick zu nehmen. Was die Bürgerbeteiligung angeht, sind nicht zuletzt durch die in die Kritik geratene Entfremdung der Politik neue Formen der Teilhabe zu entwickeln. Anleihen dazu lassen sich am ehesten bei bekannt bürgerfreundlichen Staaten, wie man sie in Skandinavien und in der Schweiz antrifft, finden. Jedenfalls wäre es falsch, wegen der angeblichen Komplexität der Materie die Regulierungskompetenz allein Experten und Lobbyisten zu überlassen.

Regulierungsbedürftige Seiten

Die bereits sichtbaren und spürbaren Veränderungen sind an dieser Stelle - nur in Stichworten - aufgelistet. Diese sind bezogen auf

Bildung und Gemeinsinn:
Verlernen der Basisfähigkeiten des Schreibens und Lesens, früher Verlust (oder bereits der Nichterwerb) an Aufmerksamkeit und Disziplin und damit einer wesentlichen Voraussetzung für kreative und geistige Hochleistungen, Abnahme von Kritikfähigkeit und Sorgfalt bei programmierten Entscheidungen und bei der Wissensaneignung (Wikipedia-Syndrom), zunehmende Individualisierung und Anonymisierung, wachsende Bindungslosigkeit, häufige Empörungswellen mit gesellschaftlicher Spaltungswirkung.

Lebensführung des Einzelnen:
Einschränkung von Wahlmöglichkeiten durch Manipulation, Entmenschlichung, Überforderung durch ständigen Information-overload und situativ-manipulative Beeinflussung(34), Selbstoptimierung und -ausbeutung durch programmierte Dauerüberwachung, Schwächung der Wahrnehmungsfähigkeit vor allem für Natur und Künste, Entschwinden von Empathie, kein Entstehen emotionaler Bindung (im Vergleich zu klassischen Medien), Suchtverhalten (als Internet Addiction Disorder bezeichnet), verbreitete Jagd nach Billigstangeboten, häufiges Eintauchen in virtuelle/-irreale / Spiele-Welten, verstärkte Auktionierung ideeller und persönlicher Werte, Kommerzialisierung der Partnervermittlung, Überflutung mit ungebetener Werbung und Spam-Mails.
Wie weit der digitale Eingriff gedacht wird, zeigt sich beim Vorschlag, dass der Einzelne seine persönlichen Daten als "Ware" handeln soll, um so eine neue Einkommensquelle zu schaffen. Dass er dafür seine Wertigkeit ständig pflegen muss, ist eine Konsequenz.

Sicherheit und das Wohl der Gesellschaft:
Unsicherheit angesichts der Ausbreitung von Internet-Kriminalität vor allem wegen fehlender Sanktionierung; Übernutzung digitaler Gemeingüter (freie Inhalte); Aufweichung des Eigentumsbewusstseins und Diebstahl geistigen Eigentums, schleichender Verlust an Verantwortung bzw. dessen Heranbildung bei Jugendlichen für das eigene Handeln in Netzwerken. Bedenkenswert sind frühere Versprechungen einer „Liquid Democracy“ und digitalen Bürgerforen, die sich nahezu alle nicht erfüllt haben.

Diese Auflistung beziehungsweise Zusammenschau unheilvoller Entwicklungen lässt die Hobbsche Ahnung von einem "vereinsamten, armen, gemeinen und brutalen Leben" für die Meisten, wahr werden.

Auf der anderen Seite stehen der unmittelbare und umfassende Zugriff auf Wissen, Online-Bildungsangebote, rasche weltweite Kommunikation und vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung, unkomplizierter Überblick über allerlei Angebote, eine Fülle von Unterstützungsangeboten und die ständige Anreicherung mit Komfort. Für alte und behinderte Leute werden Hilfen verfügbar bei gleichzeitiger Abnahme der für das Wohlbefinden wichtigen persönlichen Kontakte und Bindungen. Autonomes und automatisiertes Fahren werden zunächst eine Option, die weitergedacht später in vielen Fällen vorgeschrieben werden könnte. Die Zusammenschau dieser widersprüchlichen Entwicklungen verlangt nach einem bedächtigen Abwägen sowohl der Vor- als auch Nachteile aus Sicht des Bürgers, der Kurzfristergebnisse und Langzeitfolgen für die Gesellschaft. Als Leitlinie sollte die Erfahrung erfolgreicher Gesellschaften dienen: Dem Neuen aufgeschlossen gegenüber stehen, das Bewährte schätzen, das Gute behalten und das Schädliche vermeiden.

Regulierung über Grundsätze – eine "Charta Digitalis"

Wegen der Breite und Vielfalt der Regelungsbereiche und -tatbestände sollte in einem ersten Schritt Klarheit über die Grundsätze hergestellt werden, die für die Digitalisierung von besonderem Belang sind.(35) Der Staat muss in einem Prozess der breiten Willensbildung klare Grundsätze (Charta) formulieren und verbindlich machen. Die in Berlin und Brüssel gleichermaßen verbreitete Praxis, erst aufgrund besonderer Vorkommnisse und angesichts eines unübersehbaren Reformbedarfs zu agieren und auf Betreiben von Sonderinteressengruppen Einzellösungen zu finden, offenbart staatliche Ohnmacht gegenüber der Digitalisierung. Die Legislative muss aus der gewohnten Spur bürokratischer Routine und opportunistischen Reaktionen heraustreten und den anspruchsvollen Weg zu guten "Regelungen im Grundsatz" beschreiten.

Sieben Grundsätze

Im Folgenden werden sieben Grundsätze vorgestellt, die der Ausgestaltung und breiten Diskussion bedürfen:

 

Erster Grundsatz: Die Digitalisierung verlangt eine Konkretisierung der Grundrechte.
Die Grundsätze sind auf dem bewährten Rechtsfundament des Grundgesetzes (weiter-) zu entwickeln. Aufgrund der Erfahrungen in jüngster Vergangenheit(36) in Deutschland und in den USA sollen eine Selbstregulierung (Kodex bzw. "Soft Law") und eine Mikrolegalisierung/-reglementierung ausgeschlossen werden, weil sie zur Schaffung von Ausnahmen und zur Umgehung einladen. Vermieden werden soll auch die Konstitutionalisierung durch europäische Behörden (EuGH).

Im Einzelnen ist auf eine bestandskräftige Bestimmung und eine der Digitalisierung angemessene Durchsetzung der folgenden Grundrechte zu achten:

  • Sicherung der körperlichen Unversehrtheit und Vermeidung psychischer Überforderung.
    Mit der on-demand-Ausrichtung, der dauernden Präsenz und Verfügbarkeit tritt eine ernsthafte Gefährdung der psychischen Befindlichkeit ein.(37) Darum ist der Schutz vor Sucht, Mobbing und extrem belastenden Arbeitsbedingungen in digitalen Sektoren als regelungsbedürftiger Sachverhalt aufzunehmen.

  • Schutz der Privatautonomie, Wahrung der Privatsphäre und Schutz der Eigentums- und Verfügungsrechte.
    Die "informationelle Selbstbestimmung" bzw. die Kenntnis der persönlichen Daten und die Zustimmung zu ihrem Gebrauch einschließlich des Rechtes auf Vergessen-werden ist der Eckstein des personalen Schutzraumes, der jedem Bürger gleichermaßen zusteht. Der Schutz muss weitergehend gefasst werden: Die Wohnung ist vor unerwünschtem digitalen Eindringen zu schützen, der "Brief" (stellvertretend für private Korrespondenz) muss, soweit dies gewünscht ist, vertraulich behandelt und Gespräche dürfen nicht abgehört werden.(38) Die Kommerzialisierung von Daten ist zu verhindern, wenn der Wert für den Leistungserbringer nicht nachvollziehbar ist oder keine Widerspruchsmöglichkeit über Art, Umfang oder Ausschluss von Leistungen besteht. Offenzulegen sind die für das User-Ranking verwendeten Algorithmen und Bewertungen durch andere Nutzer, die für den Ausschluss oder eine eingeschränkte wirtschaftliche Teilhabe ausschlaggebend sind. Eine Nicht- oder nur periodische Präsenz im Netz, die Nicht-Offenlegung persönlicher Daten dürfen nicht zu einer Verweigerung elementarer Teilhabe an wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Leistungen führen.
    Zu den Eigentums- und Verfügungsrechten zählen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Schutz vor Überwachung; Stichwort smart home), der Zugang bzw. Zutritt zur eigenen Immobilie, die selbstbestimmte Nutzung von eigenen Fahrzeugen (Stichwort autonomes Fahren); desweiteren Urheberrechte an eigenen geistigen und künstlerischen Werken.

  • Gewährleistung der Meinungsvielfalt.
    Sicherung des unverfälschten Zugangs zu Informationen und Meinungen sowie Verhinderung unfairer Praktiken der Meinungsgewichtung, beispielweise durch Click-Centers oder manipulatives Page Ranking, durch bevorzugte Berücksichtigung bezahlter Einträge. Erkenntlich zu machen ist, dass hinter den im Internet publizierten Informationen und Meinungen reale Personen und keine Bots stehen.

 

Zweiter Grundsatz: Das Recht steht über der Verwertung (im engeren Sinne über dem Internet).

Lebensbestimmende Systeme, das sind faktisch alle 4.0 Systeme mit Ausnahme der Industrie, müssen dem Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft dienen; sie dürfen nicht den Verwertungsinteressen gewinnorientierter Anbieter überlassen werden, deren Entscheidungszentrum außerhalb des nationalen/europäischen Rechtsraumes steht und wo eine andere staatliche bzw. gesellschaftliche Tradition im Umgang mit Daten vorherrscht. Als Ausfluss des Grundgesetzes und der europäischen Wertetradition müssen politische und geistige Führung die Rangordnung 'Mensch und Gesellschaft vor Technik und Geschäft' beständig und offensiv vertreten. Die Frage der Legitimation ist eine vorrangige. Das Verwertungsstreben muss sich in einem hinreichend definierten rechtlichen und gesellschaftlich verträglichen Rahmen abspielen.

Fragen der Rechtsfähigkeit autonomer Systeme und damit der Haftung sind sorgfältig, aber auch pragmatisch zu klären. Unzulässige Zugriffe sind beispielsweise Bots, die sich als vermeintlich echte Personen in die Meinungsbildung einmischen. Fragwürdig sind von Sonderinteressengruppen betriebene staatliche Eingriffe zum angeblichen Schutz des Bürgers oder wegen der Verbrauchsoptimierung.(39)

 

Dritter Grundsatz: Das Recht ist zuvorderst national, dann europäisch zu entwickeln und durchzusetzen.

Das Abwarten auf gemeinsame Regelungen in einem losen Verbund von 27 Mitgliedsstaaten ist angesichts der "Internet-Zeit" und ihrer machtbewussten Proponenten nicht zielführend. Es wird daher für ein Bandwagon-Verfahren plädiert, bei dem in einem Wettlauf nachahmenswerte Referenzlösungen übernommen und bedarfsweise verbessert werden. Sicherzustellen ist eine "Betriebstätten-Verordnung" für Server, die die Lokalisierung im jeweils gültigen Rechtsraum (z.B. in der EU bzw. in einem akzeptierten Drittland) vorsieht. Von Fall zu Fall sollen internationale Vereinbarungen (analog zur WTO) angestrebt werden. Das bisher praktizierte wohlwollende, bequeme Wegsehen, das Warten auf den langsamsten und teilnahmslosesten Staat und das Hoffen auf gemeinsame/konsensuale EU-Lösungen sind nicht hinnehmbar.

 

Vierter Grundsatz: Die Digitalisierung verlangt die Einbeziehung aller wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen bei der Erstellung eines Grundsatzkataloges.

Die Digitalisierung wurde vorwiegend der "Hinterzimmerpolitik" und dem Feld der Lobbyisten überlassen. Zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Politik und zum Wiedererstarken von Autonomie sind offene, deliberative Verfahren der Willensbildung unerlässlich. Über zielführende Formen bürgerlicher Partizipation besteht generell noch großer Bedarf an Mustern und praktischer Ausformung. Es müssen mehr Experimente her!

 

Fünfter Grundsatz: Hinwendung zu einer antizipativen Regulierung.

Im Zuge der Digitalisierung werden in absehbarer Zeit neue Formen der Mobilität, des Monitoring und Supports (Stichworte: autonomes Fahren, umfassende sensorgesteuerte Überwachungsmöglichkeiten, Drohnen, Roboter, neue Mensch-Maschinensysteme) potentiell große Bedeutung erhalten. Dafür lassen sich schon heute Szenarien entwickeln, die eine adaptive Gestaltung regulatorischer Erfordernisse ermöglichen und über eine ausgewogene Anwendungsfolgen-Abschätzung Entscheidungshilfen liefern. Die Szenarien dürfen jedoch nicht von den Proponenten einer grenzenlosen Digitalisierung erstellt werden. Hier sind Ansätze zu einer gesellschaftlich austarierten Beteiligung und die Berücksichtigung der Erfahrung früher Anwender im In- und Ausland angezeigt. Ein solches Vorgehen verkürzt die bisher überlangen reglementierungsfreien Perioden. Den regulierenden Stellen muss eine größere Offenheit und Aufmerksamkeit als bisher abverlangt werden.

Besondere Aufmerksamkeit ist der zunehmenden Verwendung von Algorithmen und von AI zu schenken, wenn Entscheidungen automatisiert werden, die rechtliche Bedeutung haben, wie die Annahme oder Ablehnung von Rechtsgeschäften und wenn eigenständig Regeln entwickelt werden, die geltendem Recht zuwiderlaufen. Das beinhaltet die umfassende Festlegung von Interventionsmöglichkeiten. Überlegungen dazu sind noch in den Anfängen; sie bedürfen großer gemeinsamer klärender Anstrengung von potentiell Betroffenen, Rechts- und Sachverständigen sowie Gesellschafts-/Bürgervertretern.

 

Sechster Grundsatz: Konsequente Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes.

Das demokratische Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz muss auch vor der Digitalisierung Bestand haben. Der von Intermediären geschaffene und ständig größer werdende de-facto rechtsfreie Raum muss ausgefüllt werden. Das entsprechende Recht muss gegen die Verursacher gleichermaßen gelten und angewendet werden wie für gewöhnliche Nutzer. Dass Sanktionen den jeweiligen Machtverhältnissen angemessen sein müssen, ist ein weiterer Aspekt der Gleichbehandlung.
Netzneutralität als gleicher Zugang ins Netz für alle(40) und steuerliche Gleichbehandlung sollten unstrittige normative Vorgaben sein. Das Netz als Infrastruktureinrichtung für Information- und Kommunikation soll keinen Unterschied zwischen verschiedenen Nutzerkategorien machen. Die Anforderungen an Zugangs- und Nutzengenehmigung sind einheitlich zu gestalten. Die Infrastrukturen müssen interoperabel und gleichermaßen zuverlässig sein. Eine de facto steuerliche Besserstellung der "Digitalanbieter" gegenüber solchen der Realwirtschaft muss unterbleiben.(41)

 

Siebter Grundsatz: Konzentration auf relevante Themen und Koordination

Aufgrund der Vielzahl von Tatbeständen und des diffusen Wesens der Digitalisierung ist eine von der Regierung orchestrierte Ausformung der Grundsätze durch die jeweiligen Ministerien notwendig. Dazu bedarf es einer koordinierenden Instanz. Sinnvoll ist zudem die Einrichtung einer Beschwerdeinstanz als gemeinsame Anlaufstelle, die den Überblick über Fehlentwicklungen behält und als Kontrollinstanz für die systematische Rückkopplung für Legislative und Exekutive sorgt. In der Judikative sollen analog zu anderen komplexen Verfahrenstatbeständen Schwerpunktgerichte eingerichtet werden. Nach der bisherigen "Performance" des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission in digitalen Belangen muss deren Rolle überprüft werden. Nicht zuletzt: Die zuständige EU-Kommission bedarf einer wesentlich größeren Schlagkraft in diesem zentralen Thema.(42)

Besondere Beachtung ist auf die Systemrelevanz der großen Intermediäre (Datenbroker) und Infrastrukturanbieter (insbesondere Cloud-Computing) zu richten. Von ihnen gehen bisher nicht kontrollierte Risiken technischer Art und bzgl. der Datensicherheit aus. Bekanntlich sind die Anforderungen an die Zuverlässigkeit digitaler Produkte und Systeme häufig unterdurchschnittlich erfüllt. Das liegt zum einen an der augenscheinlich fehlenden Einstellung mancher „Programmierer“;(43) zum anderen an der nachgelassenen Pflege einer „Kultur der Zuverlässigkeit“. Als Maßstab können bewährte Kriterien aus dem Ingenieurwesen herangezogen werden(44). Damit verbunden ist ein System der Produkthaftung, das auf die digitalen Systeme modifiziert angewendet werden sollte.

Aufmerksamkeit verdient die Durchsetzung fairer Wettbewerbsregeln. Unfaire Praktiken wie komplexe, einseitige Nutzungsbedingungen, undurchsichtiges Zustimmungsreglement für Datennutzung, extensive und unverständliche Haftungsausschlüsse, absichtsvoller Entzug vor Strafverfolgung durch entsprechende Standortwahl, sind zu unterbinden.
Desweiteren soll ein leicht aktualisierbarer Katalog internetbezogener strafwürdiger Vergehen erstellt werden. In großem Umfang soll das Prinzip einer nach Schadenshöhe und Leistungsfähigkeit des Verursachers angemessenen Entschädigung zum Zuge kommen.(45) Da mit der Digitalisierung strukturell kriminelle, flüchtige Machenschaften (Hacken, Manipulation, Datendiebstahl, Cyber crime im weitesten Sinne) sich enorm ausbreiten, ist die Exekutive für eine effektive Verfolgung angemessen auszurüsten.

Aufsetzen auf Bewährtem

Wie schon angeführt, sollten unter Bezugnahme auf Grundrechte, Grundgesetz und vorhandene gesetzliche Reglungen eine "Charta Digitalis" - ein lebendes Grundsatz- und Rechtskompendium, erstellt werden. Seine Rolle ist eine mehrfache: Zusammenfassung der für die Digitalisierung relevanten gesetzlichen Regelungen und Bezüge zueinander als Orientierungsrahmen, als Kommunikationsbasis für Bürger und Politik auch als umfassendes Regelungswerk, das allen Internet-/“Digitalanbietern“ explizit ausgehändigt werden soll. Im Rahmen einer "Charta Digitalis" soll die Regulierung grundsätzlich übersichtlicher, verständlicher (damit bürgerfreundlicher), konkreter werden.

In der aufgeklärten Öffentlichkeit besteht große Einigkeit darin, dass der Staat (bzw. die EU) durch die Digitalisierung einen unübersehbaren, nachlässig in Kauf genommenen Kontrollverlust erlitten hat. Gefordert ist eine ungewohnte Anstrengung auf Seite der Parlamentarier, Ministerien und der Exekutivbehörden für eine - wohlgemerkt - im Vergleich zu den in extenso diskutierten Fragen sozialer Gerechtigkeit und detaillierter Umweltauflagen eine schwierige und deshalb ungeliebte Materie.

Grundlegend ist die Ausgestaltung der "Charta Digitalis" ausgehend vom Gebot der "Achtung der Würde des Menschen" in ihrer grundrechtlichen Verbürgung. Dieses Gebot beinhaltet die Freiheit des Einzelnen, sein Leben selbst zu bestimmen. "Digitalen" Zwängen, die diese Freiheit infrage stellen und aufheben, sind Schranken zu setzen. Das eingangs aufgezeigte intrusive Wesen, dessen ungebremste Instrumentalisierung durch Intermediäre und andere Interessierte ist ernst zu nehmen und muss mit großer Verbindlichkeit eingefangen werden. Verstöße dagegen dürfen nicht milder als all die anderen geahndet werden.

Die Gestaltung bzw. Regulierung soll vom Konsens zu einer erträglichen, den Gemeinsinn fördernden Gesellschaft getragen sein. Grundrecht und Konsens über Zweck und Ziel sind die elementaren Elemente einer freiheitlichen und zukunftsfähigen Regulierung europäischen Formats. Damit ist sie die Gegenkraft zu der sich vordrängenden utilitaristischen Ethik und eine Absage an jede ideologisch eingefärbte Vision von Gesellschaft. Aus letzterer erwächst immer eine Nötigung der Gesellschaft.

Die Antwort auf die neue, ambivalente Freiheit des Internet liegt in der Verankerung institutioneller und persönlicher Verantwortung, die um eine kongruente Haftung zu ergänzen ist. Die Geschichte lehrt, dass noch so ausgeklügelte Reglementierungen keine gedeihliche Welt, keine von Vertrauen getragene Gesellschaft und keine bindungs- und leistungsstarken Gemeinschaften bewirken.(46) Darum ist eine Einstellung, die der des Ehrbaren Kaufmanns, des redlichen Bürgers und verantwortlichen Politikers(47) nahekommt, ein unverzichtbares Substrat für eine gedeihliche Gesellschaft. Ohne eine solche Einstellung wird jede Regulierung ihre Wirkung verfehlen. Wissend, dass damit ein großes Wort ausgesprochen ist, muss unablässig auf eine Wiederbelebung moralischer Gesinnung und Haltung hingearbeitet werden: angefangen im Elternhaus, in der Schule und im Berufsleben vor allem in den digitalen Berufen), überhaupt im gesellschaftlichen Miteinander. Eine „Charta Digitalis“ bleibt bloße Kodifizierung, wenn sie nicht von den Bürgern mit Leben erfüllt wird. Angesichts der aufgezählten starken Gegenkräfte wird die Digitalisierung zur gesellschaftlichen Bewährungsprobe der nahen Zukunft.

Jenseits jederzeit möglicher technischer Katastrophen, wie eines wahrscheinlichen Ausfalls des Internets in den nächsten Jahren, losgelöst von der nicht mehr lösbarer demografischer Schieflage und vorhersehbaren massiven Fluchtbewegungen, sich häufender Auflösungserscheinungen von Staaten (und der EU) und unerwarteten sonstigen Ereignissen bringt die Digitalisierung eine bisher unbekannt breite und tiefe Veränderung von Wirtschaft und der Gesellschaft mit sich. Ihre Unausweichlichkeit ist Faktum, ihre Gestaltung Auftrag für alle.

Klaus Demleitner, Manfred Hoefle, Andreas Seidel, Juli 2016

 

ANMERKUNGEN 

(1) Siehe dazu der Offene Brief von Stephen Hawking, Elon Musk und einer Reihe von Wissenschaftlern vom Jan. 2015, in dem vor unkalkulierbaren, existenziellen Risiken für die Menschheit gewarnt wird.

(2) Für das plötzliche Entstehen neuer Eigenschaften in einem komplexen System wurde von Konrad Lorenz der Begriff der Fulguration verwendet. Die Digitalisierung mit ihren umwälzenden Folgen war aufgrund der Eigenschaften der einzelnen Elemente des Systems Mensch-Maschine nicht vorhersehbar.

(3) In jüngster Zeit wurde „4.0“ in Deutschland zur modischen Bezeichnung aller möglichen digitalen Welten.
(4) Mit Bezug auf das Geschäftsmodell und Geschäftspraktiken des Startups Uber.

(5) Die Mission von Google in den Worten von Larry Page (Mitgründer und CEO): "Our job is to think of the things you haven't thought yet you really need". Gemeint ist, das bisher Unbekannte, Unvorstellbare in ein starkes Bedürfnis zu verwandeln, für dessen Befriedigung Google/Alphabet die entsprechende Lösung bereithält. Dem Umfang der Einwirkung sind kaum Grenzen gesetzt: anywhere, anytime, anyhow; on demand and by default.

(6) Nicht gefragte Nutzung von Kapazitäten in einem Netz (z.B. private Energiespeicher in Smart-Grid-Netzen) wird eher hingenommen als die Inanspruchnahme privater Flächen aufgrund überlasteter öffentlicher Parkplätze; Letzteres wird mit Sicherheit als unerlaubte Handlung gesehen, die strafwürdig ist.

(7) Zum Beispiel: Geo-Tagging (lokale Zuordnung von Bildern) oder Geo-Mapping.

(8) Zum Beispiel sogenannte Chatbots (textbasierte Dialogsysteme im Verbund mit Datenbanken).

(9) Die Gesamtbeschäftigtenzahl der großen Intermediäre liegt dato bei rund 500 Tausend weltweit, wobei der Großteil auf Amazon, Apple und Microsoft entfällt.

(10) Intermediäre sind "vermittelnd" und "abschöpfend" zwischen Infrastruktur-Unternehmen (v.a. Telekom-Provider), Geräteherstellern (Devices u.a.), Content-Produzenten (Media, Verlage, Künstler etc.) und den Milliarden von Nutzern von Internetdiensten tätig.

(11) Siehe dazu: Denkschrift Nr. 11 (http://www.managerismus.com/themen/wertschoepfung/denkschrift-nr-11); dafür eignet sich auch die Bezeichnung "Plutokratie".

(12) Mark Zuckerberg kündigte Ende 2015 an, 99 Prozent seiner Facebook-Beteiligung im Wert von zurzeit 45 Milliarden USD “im Laufe seines Lebens ” für gemeinnützige Zwecke abgeben zu wollen.

(13) Verwiesen sei auf die idealistischen und spielerischen Anfänge der studentischen Startups Google und Facebook.

(14) Dafür gibt es den symbolträchtigen amerikanischen Ausdruck von "captive".

(15) So wird das Erreichen einer Kapitalisierung von mindestens einer Milliarde USD in möglichst kurzer Zeit "gelabelt".

(16) Bekannte Beispiele sind die schwindelerregend teuren Akquisitionen des Thermostat-Herstellers Nest Labs durch Google (3,2 Mrd. USD) oder von WhatsApp durch Facebook (22 Mrd. USD bei einem Umsatz von 10 Mio. USD).

(17) Aus der Verhaltenswissenschaft gewonnene Erkenntnisse zum Anstoßen ("nudge") von Handlungen.

(18) Eine vom Bundeskartellamt gern gehegte Illusion liberaler Wirtschaftspolitik.

(19) Extremes Beispiel: Google mit rund 95 Prozent Anteil am "Suchvolumen" in Deutschland.

(20) Das augenfälligste Beispiel ist der 32 (2016) jährige Mark Zuckerberg mit seinem Treffen mit der Bundeskanzlerin, bei dem er ihren Wunsch nach Wohlverhalten Zustimmung bekundete ("Für Hass gibt es keinen Platz bei Facebook") und sogleich ihre Flüchtlingspolitik als vorbildlich für die ganze Welt lobte; oder seine Mission in Indien, wo er dem Ministerpräsidenten Modi versprach, das Land in der Abwehr von Terrorismus zu unterstützen und bei der Bildung (Internet Literacy) und Gesundheit ganz "in service of humanity" dienstbar zu sein. Zuckerberg wurde wiederum aufgefordert, für den Tourismus nach Indien zu werben und in der Initiative "Digital India" mitzumachen. Wie Steve
Jobs, Larry Page (Google) and Jeffrey Skoll (Mitbegründer von eBay) hat Zuckerberg "spirituelle" Reisen zum Ashram Kainchi Dham unternommen.

(21) Dazu die Aussage von Larry Page, dem Mitgründer und CEO von Google; "We are at a certain scale now, but I don't see any particular reason why we schouldn't be much bigger, more impactful then we are now." im Unterschied zum Schumpeterschen Unternehmer, der echt Neues schafft, wertschöpfend ist und seine Leistung über Generationen weiterführen will.

(22) Eine Facette: Google Books ist die weltweit mit Abstand größte Sammlung retro-digitalisierter Bücher.

(23) Dass Medien diesen Hype anheizen und die deutsche Politik insbesondere wegen des hohen Gewichts der Autoindustrie verunsichert ist, lässt sich als Mangel an solidem, ganzheitlichen Denken deuten.

(24) Eine Ausnahme und zugleich ein gutes Beispiel für eine besondere digitale Allmende ist Wikipedia.

(25) In jüngster Zeit traf dies auf den Komplex der Finanzkrise im Zuge der Lehman-Pleite zu.

(26) So will Google seinen Zeitanteil mit allen Mitteln über die derzeit rund 50 Minuten pro Tag (in USA) erhöhen.
(27) Relativ zur Mikroelektronik und Gen-Technik.

(28) Vgl. Rolle des Königs und die Hervorbringung der Magna Charta (Erstreitung von Freiheitsrechten)

(29) Abgabe der Kartellüberwachung vom BKA an die Europäische Kommission (Kommissar für Wettbewerb)

(30) Bezeichnung einer EU-Kommissionsentscheidung den Datenschutz betreffend, nach der personenbezogene Daten von Unternehmen in Übereinstimmung mit den entsprechenden Datenschutzbestimmungen aus einem Land der Europäischen Union in die USA übermittelt werden können. Anstoß zur Beschäftigung mit der Fragwürdigkeit von Selbstzertifizierung in Sachen Datenschutz und Eingriffen der US-Geheimdienste lieferte der aufregende Fall Snowden. Seltsamerweise brachte ein österreichsicher Student, nicht eine staatliche Stelle oder ein Unternehmen, die Safe-Harbor-Vereinbarung ins Wanken. Schließlich kam es zu einer neuen Vereinbarung mit dem Namen EU-US Privacy Shield.

(31) Entgegen dem Google-Kodex: "Don't be evil" ; siehe Veröffentlichungen zu den Uber-Geschäftspraktiken und Rechtstreitigkeiten.

(32) Das nachlassende Vertrauen in die Ordnungskompetenz der EU zeigt sich auch in diesem der Bevölkerung nicht so vertrautem Gebiet wie dem der Flüchtlingspolitik und der anstehenden Handelsvereinbarungen (Ceta und TTIP).

(33) Ein naheliegender Fall: Das ungehemmte Expansionsstreben von Amazon kann dazu führen, dass in Europa gigantische Lager- und Logistikflächen für ein Riesenspektrum von Waren in konzernfreundlichen Ländern entstehen, von wo gebührenfrei Waren auf steuerfinanzierten Straßen der Zielländer an den Kunden ausgeliefert werden. Der hohe Zentralisierungsgrad führt wahrscheinlich zu einer Verödung der Städte und zu einer Erhöhung der Verkehrs- und Umweltbelastung.

(34) Zum Beispiel unterschiedliche Preise in Abhängigkeit des verwendeten Devices ((iPhone, Tablet, Notbook) und der Art der Abfrage/Buchung (erstmalig, wiederholt, u.a.).

(35) Ungleich zur Umweltschutzgesetzgebung mit dem Übergewicht unzähliger Einzelfallregelungen ohne Zugrundelegung konsensualer Grundsätze.

(36) Verwiesen sei auf die Geschichte des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) und die datenschutzbestimmte Selbstzertifizierung von US-Daten-Providern.

(37) Beispielsweise die 24 Stunden/ -7 -Tage-Erreichbarkeit für Fahrer, um nicht ausgelistet oder zurückgestuft zu werden.

(38) Der Schutz der Privatsphäre ist nicht diskussionsfähig, sondern feststehend. Bedenklich sind dazu die Äußerungen der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager: "Der Schutz der Privatsphäre wird eine der entscheidenden Diskussionen der kommenden Jahre sein." (brand eins: Juli 2016, S. 101).

(39) Ein Beispiel dafür ist die digitale Energieverbrauchsmessung.

(40) Infrastrukturanbieter versuchen über abgestufte Zugänge eine Preisdifferenzierung durchzusetzen. Dahinter steht das Kalkül größerer Margen und somit einer gezielten Abschöpfung.

(41) Hinlänglich bekannt und zum Ärgernis sind die Steuervermeidungspraktiken der großen Intermediäre geworden. Ironischerweise ausgerechnet vom amtierenden EU Kommissionspräsidenten Juncker in seiner Zeit als Luxemburgischer Ministerpräsident wohlwollend gestaltet.

(42) EU-Kommissar Oettinger (seit 2014 EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft): „Die Digitalisierung ist das entscheidende Thema, wenn Europa in Zukunft seine Wettbewerbsfähigkeit behalten und noch ausbauen will. Deswegen bearbeite ich dieses Thema mit voller Überzeugung“.

(43) Untersuchungen zeigen, dass von diesen "viele ein Verantwortungsproblem haben". (Sarah Spiekermann, Prof. für BWL und Wirtschaftsinformatik in Wien; brand eins, Juli 2016, S.127).

(44) Zum Beispiel: auf Stufe 1 die Gefährdung von Menschenleben/ schwere gesundheitliche Schäden, der Totalverlust/ Totalausfall eines Systems: hier ergänzt um die (informationelle) Selbstbestimmung. Die EU Maschinenrichtlinie ist ein Instrument, das sich auf diese Kriterien beziehen und analog auch auf entsprechende digitale Aggregate, Systeme und Modelle anwenden lässt.

(45) Hierzu können auch Anleihen aus bewährter Rechtsverfolgungspraxis anderer Länder erfolgen, z.B. der Security Exchange Commission (SEC) in den USA.

(46) Erinnert sei an das Diktum von Ernst-Wolfgang Bockenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert.

(47) http://www.managerismus.com/themen/wertschoepfung/denkschrift-nr-11

 

Literatur

  • Di Fabio, Udo: Grundrechtsgeltung in digitalen Systemen, München, 2016.
  • Lanier, Jaron: You are not a Gadget. A Manifesto; New-York, 2010.
  • Irrgang, Bernhard: Technische Kultur: Instrumentelles Verstehen und technisches Handeln (Philosophie der Technik; Bd. 1), Paderborn 2001; Technische Praxis: Gestaltungsperspektiven technischer Entwicklung (Philosophie der Technik; Bd. 2), Paderborn 2002; Technischer Fortschritt: Legitimitätsprobleme innovativer Technik (Philosophie der Technik; Bd. 3), Paderborn 2002.

Zeitschriften / Zeitungen / Internet

  • Di Fabio, Udo: Die algorithmische Person; in: FAZ, 31.05.2016.
  • Morozov, Evgeny: Silicon valley likes to promise 'digital socialism' - but it is selling a fairytale; in: the guardian, 1 March 2015.
  • Morozov, Evgeny: Tech titans are busy privatising our data; in: the guardian, 24 April 2016.
  • Gershenfeld, Neil; Vassseur, JP: As Objects go online - The Promise (and Pitfalls) of the Internet of Things; in: Foreign Affairs, March/April 2014.
  • Cukier, Kenneth Neil; Mayer-Schoenberger, Viktor: The Rise of Big Data¸ in: Foreign Affairs, May/June, 2013.

Weitere Quellen: brand eins, Economist, Fortune, FAZ, New York Times, Wirtschaftswoche, Wikipedia.
Ausgewählte Studien und Positionspapiere zum gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichem Rahmen der Digitalisierung

Managerismus-Denkzettel zu Digitalisierung

1. Digitale Transformation und Arbeitswelt Teil 1, Nr. 37 (Siebenhüter)
2. Digitale Transformation und Arbeitswelt Teil 2, Nr. 40 (Siebenhüter)
3. Ozean von Anwendungen, Nr. 41 (Hoefle)
4. Industrie 4.0 – Ein Blick hinter den Hype, Nr. 45 (Seidel)
5. Orwell 4.0? Nr. 47 (Demleitner)

 

Ausgewählte Studien und Positionspapiere zum gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichem Rahmen der Digitalisierung

(1) Haucap, Justus (2015) : Ordnungspolitik und Kartellrecht im Zeitalter der Digitalisierung, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 77.

(2) Haucap, Justus (2015) : Ökonomie des Teilens - nachhaltig und innovativ?
Die Chancen der Sharing Economy und ihre möglichen Risiken und Nebenwirkungen, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 69.

(3) Hamelmann, Lisa; Haucap, Justus (2015) : Kartellrecht und Wettbewerbspolitik für Online-Plattformen, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 78.
Haucap leitet das Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich Heine Universität. In diesen jüngeren Beiträgen wird die Frage nach einem neuen Rechtsrahmen, behandelt, z.B. die Überlegung, ob »große Infrastrukturbetreiber, sowohl bei Netzen als auch von IT-Infrastruktur (etwa für das Cloud Computing) Banken vergleichbar Systemrelevanz erlangen können und deshalb einer besonderen Aufsicht bedürfen.

(4) Global Commission on Internet Governance (2016): One Internet
Die GCIG ist eine internationale Think Tank -NGO unter Leitung des früheren schwedischen Premierminister Carl Bildt. Kern ist die Forderung »A New Social Compact for a Safe, Open and Secure Internet«. Dabei geht es um »Ensuring Human Rights for Digital Citizens«, Regelungen für die Sicherung und Resilienz des Internet und für die auf dem Internet basierende (globale) Wirtschaft; dazu auch:

(5) Carl Bildt: Digitalisierung Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag, FAZ Online, 22.06.2016

(6) Daniel Buhr: Soziale Innovationspolitik für die Industrie 4.0 (2016)
Positionspapier der Friedrich Ebert Stiftung, Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Schwerpunktthesen für eine zukünftige Ordnungspolitik.

(7) Eike Kühl: Hacker behalten die Oberhand, Vortrag vor der Entwicklerkonferenz Black Hat, Zeit Online 07. Juni 2016
Fazit: Das Hacken von Benutzer-und Industriedaten, etc., der manipulative Zugriff auf Rechnersysteme ist Normalzustand, nicht Ausnahme.

 (8) Yvonne Hofstetter, Algorithmen schaffen ein neues Recht, Stern online, 15.06.2016.
Über Fragen der Haftung, Implementierung rechtlicher Regel in Algorithmen/Künstliche Intelligenz (KI) und Probleme der Rechtsprechung hinsichtlich digitaler Kompetenz der Gerichte. Fazit: »Die Demokratie muss für die digitale Ära ganz neu errungen werden, sonst steht sie ernstlich auf dem Spiel.«

(9) Patrick Beuth: Ein Königreich für eine KI-Ethik, Zeit Online 02. Mai 2016.
Zum Vortrag von Kate Crawford, auf der re:publika über Risiken und Regelungsnotwendigkeiten bei der Entwicklung von Algorithmen und KI.

(10) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016): Grünbuch Digitale Plattformen.
Hier geht es um die rechtliche Bewertung der Plattformökonomie. Als Perspektive wird von einem Rechtssystem 4.0 gesprochen.

(11) Stefan Krempl: Der Datenmensch: Vom schleichenden Schwinden der Autonomie, heise online 12.05.2016.
Über den Vortrag des Staatsrechtlers Alexander Roßnagel, Leiter einer Projektgruppe am Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung an der Universität Kassel anlässlich 20. Berliner Kolloquiums der Daimler und Benz Stiftung zum Thema "Datenmensch" in Berlin. Neben der Kritik hinsichtlich der Datensicherheitssituation (die neue EU-Datenschutzverordnung ignoriert z.B. eine Risikogewichtung: Der Bäcker um die Ecke und ein Internetkonzert sind so rechtlich gleich gestellt, fordert Roßnagel u.a. ein Grundprinzip der »Privacy by Design und Default«, d.h. Datenschutzaspekte müssen schon bei der Konstruktion berücksichtigt und als Produktmerkmal Bestand haben.

(12) Roberto V. Zicari, Andrej Zwitter: Data for Humanity. An Open Letter (2016) Offener Brief des Frankfurt Big Data Lab der Goethe Universität Frankfurt/M..
Gegenwärtig über 1.000 Unterzeichnern weltweit (Wissenschaftler und Unternehmensvertreter); http://www.bigdata.uni-frankfurt.de/dataforhumanity Prinzipien:1. Do not harm. 2. Use data to help create peaceful coexistence, 3. Use data to help vulnerable people and people in need. 4. Use data to preserve and improve natural environment. 5. Use data to help create a fair world without discrimination.

(13) Hans Bechtolf, Thomas Mathias Zöllner: Industrie 4.0 – Zeit für ein Arbeitsschutzrecht 2.0?, juwiss.de/45-2016/.

(14) Wolfgang Huber, Ethik und Bildung Digitalisierung als Naturereignis, FAZ Online 01.05.2016.
Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, tritt für »klare rechtliche Regelungen und Verhaltenskodizes« hinsichtlich der Digitalisierung ein.

(15) TAUCIS - Technikfolgenabschätzung. Ubiquitäres Computing und Informationelle Selbstbestimmung. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) / Institut für Wirtschaftsinformatik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), [2006].
Mit Blick auf die technologische Entwicklung der letzten 10 Jahre ist diese Studie nicht mehr aktuell, enthält aber wesentliche Elemente einer Bewertung der Digitaltechnik, sowohl aus Sicht der Anwendung wie auch hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen; sie eignet sich insofern als Referenzmaterial. Dem Instrument der Technologiefolgenabschätzung kommt hinsichtlich der Bestimmung eines verbindlichen Rechtsrahmens große Bedeutung zu.

 

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