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Gute Unternehmensführung
Denkzettel Nr. 76
10.11.2022

Helmut F. Schreiner – Familienunternehmer – Förderer – Lebenslehrer

von Manfred Hoefle

 

 

Um es gleich zu sagen: Es handelt von der Geschichte eines durch und durch überzeugten, erfolgreichen Familienunternehmers.

Aufgewachsen in schwerer Zeit

Zu Kriegsbeginn wurde Helmut Schreiner in eine Familie hinein geboren, mit dem Vater als Offizier für Waffen und Gerät im Russlandfeldzug. Nach dem Krieg und Gefangenschaft ging es ums Überleben. Hunger war gegenwärtig. Kartoffeln und Äpfel waren die Grundnahrungsmittel. Die Mutter mit drei kleinen Kindern managte nach der Flucht den Mangel. Unterkunft fand die Familie im Haus der Tante. Helmut und seine zwei Schwestern fanden neue Freunde, die alle Essbares suchten. Barfuß auf dem Schulweg fand bei Helmut ein großer Betrieb und das Treiben dort sein besonderes Interesse. Von seinen Freunden wurde er scherzhaft als Direktor tituliert. Damals begann sich eine Vorstellung von etwas beruflich Erstrebenswertem zu bilden. 1951 erfolgte die Gründung der Firma Margarete Schreiner, Spezialfabrik für geprägte Siegelmarken und Etiketten. In einer 45 Quadratmeter großen Garage, die für diesen Zweck gebaut wurde, begann die Produktion auf einer Einfarben-Siegelmarken-Prägepresse. Die Etikettenherstellung war kein Handwerk und unterlag nicht der entsprechenden Handwerksordnung. Die Gewerbefreiheit machte also den Anfang möglich. Helmut war nach seiner Schwester Helga der zweite Mitarbeiter des elterlichen Betriebs.

Lehrjahre

Obwohl industriekaufmännischer Lehrling, war die Hauptaufgabe von Helmut das Drucken, Prägen und Stanzen. Trotzdem wurde die Ausbildung als Industriekaufmann erfolgreich abgeschlossen. Eine große Bereicherung war die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Pfadfinder. Mut, Kameradschaft, Durchhaltevermögen, führte weiter zum Sippenführer der selbstgegründeten Sippe der weißen Schwalben. Für den Jugendlichen lag darin das Suchen nach Unabhängigkeit. Über die Weiterbildung an der Abendschule war es möglich, die Qualifikation für das spätere Studium nachzuholen. Eine zweite Lehrzeit als Buchdrucker, einige Jahre Berufserfahrung und der Wille frei und unabhängig zu sein, führten schließlich zum Studium der Druck- und Betriebstechnik an der Akademie für das Graphische Gewerbe. Das Studium wurde verdient durch Nachhilfe geben, Nachtschichten fahren, Urlaubsvertretungen übernehmen und dabei überall lernen. Die unbändige Lernfreude führte zu weiteren Ausbildungen und Scheinen als REFA-Fachmann und geprüfter Organisator. Ziel war die Übernahme des elterlichen Unternehmens. Nachdem dies nicht so kam, begann die lehrreiche Zeit als Angestellter in graphischen Großbetrieben.

Hier wurde die Meisterprüfung als Buchdrucklehrmeister wie die praktischen Erfahrungen aus einem kleinen Betrieb geschätzt. Weniger geschätzt die eigenständige Agilität. Die erwartete Unterordnung, auch bei unsinnigen Beschlüssen, brachte den Wunsch nach Veränderung. Sein Erleben bei der Etikettenherstellung führte zum Entschluss, auch in Zukunft Maschinen für sich arbeiten zu lassen. Der angesehene Bruckmann Verlag in München verfügte über alle Druckverfahren und bot eine abwechslungsreiche Aufgabe für besonders anspruchsvolle Kunden. Erneut lernte er die Gepflogenheiten eines Großbetriebes zu akzeptieren – dazu gehörten Statussymbole, Eifersüchteleien und Intrigen, was für den Mittelständler schwer hinzunehmen war. So kam der Ruf des elterlichen Unternehmens gerade recht.

Seine Ehefrau Ulrike hat einen ähnlichen familiären, mittelständischen Hintergrund und den gleichen Willen, ein Unternehmen aufzubauen. Das war die Grundlage eines nachhaltigen Strebens bei „Etiketten Schreiner“. Die Beobachtung, dass glückliche Ehen und Familien und dazugehörige Unternehmen sich in Vielem gleichen, wird in diesem Falle auffallend bestätigt.

Die selbstgewählten Lehrer von Helmut Schreiner waren Albert Schweitzer (1875-1965), der „Die Ehrfurcht vor dem Leben“ vertrat; Oscar Schellbach (1901-1970) wurde zum wirkungsvollen Förderer über seine Selephonie-Schallplatten mit der Möglichkeit der Selbstbeeinflussung durch wiederholtes Abspielen. Nachfolger wurde der Motivationstrainer Nikolaus B. Engelmann (1936-2017), der in Anlehnung an die Logotherapie von Viktor Frankl Selbstbildung lehrte: „Wer bist du, was willst du?“ Die Folgerung war für Helmut Schreiner ein ständiges Arbeiten an sich unter dem Lebensmotto „nütze die Zeit, werde zum Segen und freue dich“.

Generationswechsel

Wie in vielen Familienunternehmen brauchte die Übergabe an die nächste Generation Jahre der Vorbereitung und Jahre des Vollzugs. Nach Stationen vom Mitarbeiter, Werkstattleiter, Leiter von Verkauf und Prokurist, wurde dann ein Pachtvertrag angeboten. Daraus wurde nichts. So folgen weitere Jahre in leitenden Positionen bei anderen Unternehmen. Die Rückkehr in das elterliche Unternehmen gelang über einem Kauf mit Leibrente. Dreiundzwanzig Jahre nach Gründung, im Jahr 1974, war die Übergabe an die zweite Generation vollzogen. Mit einem Stamm von 16 Mitarbeitern, einem Sack voller Ideen und der Bereitschaft sich voll einzusetzen starteten Helmut und Ulrike Schreiner. 38 Jahre später gelang dann die Übergabe an Roland Schreiner als 3. Generation. Als Alleingeschäftsführer verantwortet er seitdem die Schreiner Group mit 1.200 Mitarbeitern. Helmut Schreiner hält nur eine Sperrminorität und einen Sitz im Beirat des Familienunternehmens.

Von der kleinen Fabrik zum Hidden Champion

Heute ist die Schreiner Group mit Produktionsstandorten in Oberschleißheim und Dorfen, USA und China weltweit präsent. Das Unternehmen mit der Mission Innovative Labels – smart Solutions erzielt rund 200 Mio. Euro Umsatz. Die vier Produktbereiche sind: Healthcare (multifunktionale Sicherheitsetiketten, Nadelschutzsysteme); Mobility (Airbag-Fixierungen, Nummernschilder), General Industry (Gedruckte Elektronik, Laserfolien) und Government Security (Parkausweise mit RFiD, Geheimnummernschutz, Klebekennzeichen). Hervorzuheben sind das integrierte Managementsystem mit umfassenden Zertifizierungen, mit dem Ziel der Kundenbegeisterung mit Nullfehler-Anspruch. Die Schreiner Group hat sich einen exzellenten Ruf in Nachhaltigkeitsmanagement (2016 CO2-neutrales Green Building, ab 2026 ohne Öl und Gas) erarbeitet. Dazu gehört auch ein umfassendes Arbeits- und Umweltschutz-Management.

Das Ziel ist es für die Kunden strategischer Partner zu sein, Top-Performance zu liefern, engagierte Mitarbeiter zu halten als begehrter Arbeitgeber und schließlich Verantwortung für Mensch und Umwelt zu tragen. Prägend und einprägsam sind die vier Grundwerte: Innovation (als Freiheit des Denkens verstanden), Qualität (umfassend einschließlich des Umgangs), Leistungskraft (als Willen dazu), Freude (als Grundgesetz des Lebens). Die vielen erhaltenen Preise und Auszeichnungen (v.a. Arbeitgeber des Jahres, Großer Preis des Mittelstandes, Top-Innovator, zahlreiche Umweltpreise), machen ‚Schreiner‘ mehr und mehr zu einem „Hidden Champion“.

Unternehmer 2.0 und Förderer

Nach der Übergabe der Geschäftsführung gründete der planmäßig „Loslassende“ die Schreiner Innovation als Family Office mit Schwerpunkt Immobilien (nunmehr mit über 80 Wohn-/ Gewerbeobjekten). Zusätzlich fördert er direkt soziale und karitative Engagements v. a. in der Ukraine in der Stadt Cherson, und ist in der Bereitstellung von Unterkünften aktiv. Darüber hinaus bekleidet er mehrere Ehrenämter, darunter Ehrenprofessuren. Groß an Zahl sind die Ehrungen für sein Lebenswerk. Helmut Schreiner ist Vermittler seiner Lebens- und Unternehmererfahrung an die jüngere Generation, wirkt als Coach und Mediator. Eine Eigenheit ist seine Freude am Schreiben, Dichten, die er schon früher in Gedichtform an Kunden und Mitarbeiter weiterreichte. Zuletzt ist eine reiche Aphorismen-Sammlung entstanden – und wächst weiter; sie gibt viel von seiner Lebenseinstellung preis, in der Art: „Wer sich überall als Lehrling fühlt, hat die beste Chance, Meister zu werden.“

Vor allem: eine positive Lebenseinstellung

Die für ihn, den Unternehmer - man möchte sagen - von Jugend an gültige Haltung drückt Helmut Schreiner so aus: „Gestalte selber – werde nicht zum Opfer“. Für ihn muss der Gestaltungwille gepaart sein mit Augenmaß, Identität und unablässigem Lernen – und überdies über sich selbst hinausführen („Jesus Christus als Coach und Lehrer“).

Seine Bausteine bei der Suche nach dem Erfolg sind stichwortartig zusammengefasst: Selbstentfaltung (verbunden mit dem Magnet der Vorfreude); Wünsche formen die Persönlichkeit; flexibel denken, nach Niederschlag, Misserfolg aufstehen; positiv denken; „Schätze dich so wie du bist“; Anspruch haben, sich höher zu entwickeln; aus negativen Fällen lernen; Pläne aufschreiben und dranbleiben bis zum Ergebnis. Das soll auch andere glücklich machen gemäß dem Lebensmotto, nütze die Zeit, werde zum Segen und freue dich. Dazu gesund bleiben; „was den inneren Frieden stört, ziehen lassen“. Die Nähe zum Herrgott/Schöpfer als Band erleben, das hält und trägt.

Zur Vorstellung von Selbstführung gehört die Einsicht: „Jeder ist seine eigene Führungskraft“. Aber das geschieht im Zusammenhang mit positiven Kraftfeldern. Führen bedeutet in seinem Verständnis dienen. „Dienen macht groß“, nicht das Herrschen.

Eine weitere, selten gehörte, aber umso beachtlichere Einsicht: „Gut führen kann man nur, wenn man Menschen mag.“ Man fragt sich, wozu es all die Führungstheorien (X-Y-Theorie von McGregor, von Kurt Lewin u.v.a.) braucht, wenn solche Einsichten genügen. Für Führung ist der Faktor Zeit eine sehr kostbare Gabe - muss auf das Wesentliche verwendet werden, Zersplitterung ist immer von Übel. Noch eine, seiner Meinung nach häufig verdrängte Einsicht, ehrlich sein ist eine solide Grundlage und macht das Leben um vieles leichter. Lügen entspricht einer Selbstfesselung. Lügengebäude krachen früher oder später zusammen.

Ein unterschätzter Aspekt von Organisation bzw. Führung sind Bindung und Beziehung. Ein Unternehmen, in dem und für das ein Großteil der Alltagszeit verbracht wird, soll „Heimat“ sein, ein Ort, dem man sich zugehörig und in dem man sich wohl fühlt. Beziehungen haben einen großen Wert, wenn sie persönlich sind. Aber in der Internetzeit und mit der Globalisierung sind sie ein rares Gut geworden. Für den Zusammenhalt und somit Bestand von Unternehmen sind Beziehungen zusammen mit Freundlichkeit unerlässlich. Für das Betriebsklima hängt viel davon ab „wie übereinander geredet“ wird. „Wertschätzung ist der Sauerstoff“, Dankbarkeit der richtige Abschluss.

Für Helmut Schreiner ist noch eine ganz andere Zugehörigkeit wichtig, nämlich das Gefühl zu haben: „Ich bin ein geliebtes Kind Gottes“. Ein solches Gefühl verschaffe Freude und spirituelle Kraft. Für ihn ist die Bewahrung der Schöpfung grundlegender Auftrag. Daraus folgt das Gebot der Nachhaltigkeit, die mehr ist als nur der ökologische Fußabdruck; sie verlangt eine menschliche und soziale Fundamentierung.
Häufig übersehene Gelegenheiten, Wertschätzung konkret zu machen, sind gute Arbeitsplätze, ordentliche Baustellen, ansprechende Gemeinschaftsräume.

Helmut Schreiner sieht sich als „Glückskind“. Dazu hat er sich gemacht, mit einem kämpferischen Anfang in schwerer Zeit und mit vielen kleinen und großen Schritten, unentwegt bis heute..