Größe & Komplexität
Denkschrift Nr. 32
19.12.2018

The Break-up of Big Corporations

von Manfred Hoefle

 

 

Es ist eine aufgeregte Zeit für börsennotierte deutsche Großunternehmen. Reuters und andere Wirtschaftsinformationsdienste vermelden - in Anlehnung an CNN - unter „Breaking News“: Ankündigungen und Abschlüsse von Übernahmen, Ausgliederungen, Börseneinführungen, Auftauchen von Activist Investors; als ob Wirtschaft aus Ereignissen bestünde.

Welle von Umstrukturierungen

In jüngerer Vergangenheit kam es insbesondere hierzulande zu einem Schwall solcher Nachrichten, im Folgenden aufgelistet: E.ON spaltet die Energieerzeugungssparten Wasser, Kohle und Gas zur Uniper SE ab, RWE überträgt auf die Innogy SE den Betrieb der Energienetze, die Energieverteilung und die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. In der Chemiebranche gliedert die Bayer AG die Spezialchemie und Teile des Polymer-Geschäftes in die Lanxess AG ein, die Kunststoffsparte in die Covestro AG, die börsengelistet werden. Die BASF fusioniert das Ölgeschäft, die Wintershall AG, mit der Dea-Gruppe. Daimler kündigt die Bildung einer Holding mit drei selbstständigen Tochtergesellschaften (PKW, LKW, Finanzdienstleistungen) an. Die Continental AG, kurz Conti, formiert sich 2019 ebenso zu einer Holding, der Continental Group mit den drei börsenfähigen Gesellschaften Rubber, Automotive und Powertrain. VW bündelt die LKW-Aktivitäten (MAN, Scania, RIO, eigene Sparte) in der Traton Group. Die Deutsche Bank bringt die Vermögensverwaltung DWS im Frühjahr 2018 an die Börse. Die Metro AG spaltet sich auf und firmiert um in eine Gesellschaft für Lebensmittel und die Elektronikhandelskette Ceconomy, mit der Hauptbeteiligung Saturn-Media Markt. thyssenkrupp (alte Schreibweise Thyssen-Krupp) teilt sich auf in eine Industrials AG und eine Materials AG, in der die werkstoffbezogenen Aktivitäten zusammengefasst sind. Siemens, das ehemals diversifizierteste Elektrounternehmen der Welt hat inzwischen eine mehr als zwanzig Jahre anhaltende Serie von Abspaltungen/Verkäufen/Fusionen/ Verselbstständigungen hinter sich. Die letzten Aktionen waren der Spin-off von Osram (2013) und die Börsenplatzierung des Medizingeschäftes unter dem merkwürdigen Namen Healthineers (2018).

Was an dieser Stelle noch erwähnt werden sollte, ist die auffallende Zunahme der damit in losem Zusammenhang stehenden Aktienrückkaufprogramme nach amerikanischem Vorbild, die in ihrem Wesen nichts anderes sind als eine vom Aufsichtsrat abgesegnete, vom Management forcierte und von Kapitalmarktvertretern wohlwollend aufgenommene Kursmanipulation.(1)

Grob überschlagen ist ein Drittel der DAX-Unternehmen von solchen Umstrukturierungen, selbst initiierten oder aufgedrängten, betroffen. Noch vor wenigen Jahren war schwer vorstellbar, dass diese relativ breit aufgestellten Großunternehmen in einen solchen Kapitalmarkt-Strudel geraten.

Auf der anderen Seite waren große Stiftungs- und Familienunternehmen von derlei Umgestaltungseifer ausgenommen. Als Beispiel zu nennen sind: BMW (Autos und Motorräder), die Industriegruppe Bosch (neben Automobiltechnik Elektrowerkzeuge, Hydraulik, Hausgeräte, Sensor-Komponenten und anderes), und das Feinmechanik-Optik-Unternehmen Zeiss. Der Unterschied zu den Publikumsgesellschaften ist augenscheinlich und vielsagend.

Treiber und Getriebene

Vor allem seit der Finanzkrise sind auf der Kapitalmarktseite „Spieler“ in Erscheinung getreten, die sich zusehends und in die Führung großer Publikumsgesellschaften einmischen, diese sogar rigoros korrigieren wollen. Die engagierteste, um nicht zu sagen aggressivste Gruppe sind die milliardenschweren Hedgefunds US-amerikanischer Herkunft.(2)

Für die Governance von Unternehmen erlangten die beiden Langfrist-Anleger BlackRock und Vanguard großen Einfluss. Namentlich die BlackRock Inc., der inzwischen größte Vermögensverwalter der Welt mit seinem Mitgründer, Chairman und CEO Laurence Douglas („Larry“) Fink, agiert diskret, überaus bestimmend in einer Reihe von Richtungs- und Personalentscheidungen deutscher Konzerne.(3) In seinem breit bekannten „Annual Letter to CEOs“ mahnte er zum Jahreswechsel 2018 unter der Überschrift „A Sense of Purpose“ eine Langfristperspektive des Aufsichtsrates/Boards an und verwies auf den zu leistenden langfristigen Beitrag an die Aktionäre („Long-term Value for Shareholders“).(4)

Das Gewicht von BlackRock für den deutschen Börsenplatz lässt sich daran ermessen, dass rund 4,5 Prozent des Aktienwertes aller DAX-Unternehmen von ihm gehalten werden. Damit ist der US-Vermögensverwalter der mit Abstand größte Anteilseigner aller börsengehandelten deutschen Unternehmen. Um den Einfluss zu verdeutlichen: Der Anteil bei Merck liegt aktuell bei 7,2 Prozent, bei Bayer 7,1 Prozent, bei der Deutschen Post 7 Prozent, der Allianz 6,9 Prozent, bei E.ON 6,7 Prozent und 6,6 Prozent bei der BASF. Mit rund 5 Prozent Anteil ist BlackRock neben dem Familienkonsortium mit 6 Prozent seit 2010 der größte Anteilseigner von Siemens - und hat dieses als (mit-)bestimmenden Aktionär(5) abgelöst.

Was in Zeiten der „Deutschland AG“, in der Zeit vor der Entflechtung und steuerfreien Veräußerungsmöglichkeit von Beteiligungen unter der Rot-Grün-Regierung im Jahre 2001, die Allianz und die Deutsche Bank darstellten, ist ein amerikanischer Vermögensverwalter. Innerhalb von gut 10 Jahren ist es zu einer Totalverschiebung der Eigentumsverhältnisse gekommen.(6)

Im Unterschied zu vermögensverwaltenden Fonds treten Activist Investors massiv und öffentlichkeitssuchend auf und beanspruchen in der Regel Aufsichtsratssitze.(7) Der in Deutschland gefürchtete Elliott-Fonds nahm neben thyssenkrupp bei einer Reihe von Umstrukturierungen und Managementwechseln in Deutschland Einfluss: bei Uniper, Stada, Gea, Kabel Deutschland, Celesio, Wella und wie neulich gemeldet, bei Bayer.(8)

Bleibenden Eindruck hinterlässt die „smarte“Art, Gelegenheiten für kurzfristige Engagements mit großer Hebelwirkung zu nutzen. In vielen Fällen hält ein solcher Fonds vorübergehend, das heißt häufig innerhalb eines Jahres bisweilen einen Anteil von nur einem Prozent des Aktienkapitals, verhält sich aber, als ob er das Zehnfache vertrete.(9) Die alleinige Motivation dazu ist die meist erzwungene „Prämie“ für den kurzzeitigen Ein- und Ausstieg. Man hat es mit der aggressiven Form des sogenannten Investor Capitalism zu tun.

Umstrukturierungen/M&A betreiben traditionell Investmentbanken und M&A Advisory-Firmen, die Corporate Restructuring d.h. auch Spin-offs, Carve-outs. Von den rund 50 Anbietern sind in Deutschland hauptsächlich Morgan Stanley, Goldman-Sachs, Deutsche Bank, Credit Suisse, Lazard, Rothschild und Perella Weinberg Partners aktiv. Über regelmäßige persönliche Kontakte zu CEOs legen sie Vorschläge vor, an deren eventueller Ausführung sie üppig verdienen wollen. In einigen Fällen werden Investmentbanken im Rahmen eines Beauty Contest mandatiert.(10)

Nach den USA(11) und Großbritannien, neben den Niederlanden und der Schweiz(12) wurde in letzter Zeit Deutschland in den vom Kapitalmarkt ausgehenden Strudel von Firmenumstrukturierungen hineingezogen. Das begleitende Sentiment lautet: Der Kapitalmarkt „liebt“ keine diversifizierten, demzufolge meist trägen Unternehmen, schon gar nicht solche, die im Ruf des von den damaligen drei Großbanken vertretenen „Rheinischen Kapitalismus“ stehen. Demzufolge ist es nicht überraschend, dass - wie eingangs ausgeführt - ein kollektives „Copy & Paste“ von Auf- und Abspaltungen eingesetzt hat.(13)

Dass es dazu gekommen ist, hat handfeste Gründe. Zum Einen gibt es seit geraumer Zeit eine Fülle billigen Geldes, somit herrscht ein Notstand, die Überliquidität gewinnbringend anzulegen. Ausgerechnet amerikanische Pensionsfonds für Lehrer und Beamte sind höchst anspruchsvoll, ungeduldig und unstet geworden; sie suchen sogar nichtkonventionelle Anlageklassen wie Hedge-Fonds und Private Equity (PE). Targets sind Großunternehmen in Streubesitz, deren Börsenwert sich deren Dafürhalten nach rasch steigern lässt.

In Deutschland hat sich leider keine Aktienkultur entwickelt, die eine Beteiligung breiter Kreise am Produktivkapital „eigener“ Unternehmen begünstigt hätte. Politik, Gewerkschaften, Banken und Versicherungen haben sich im seltenen Einklang von dieser Art der Vermögensbildung ferngehalten. Angelsächsische Fonds haben sich dagegen immer stärker mit deutschen Aktien eingedeckt. Auch die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme erlebten im Großen und Ganzen keinen Aufschwung – Ausnahme Siemens-, obwohl es auf der Hand liegt, dass dadurch die Bindung der Mitarbeiter gefördert wird und auch kleine, organisierte Aktienpakete in Mitarbeiterhand auf spekulative Investoren abschreckend wirken.(14) Mit gutem Grund darf in puncto Vermögensbildung von einem kollektiven, kaum mehr revidierbaren Versäumnis gesprochen werden – und das im Land der Marktwirtschaft Ludwig Erhard’s mit der Betonung auf „sozial“!(15) Im Wohlfahrtsstaat wird sozial nicht im Sinne breiter Vermögensbildung verstanden als ein berechtigter Anspruch auf staatliche Leistungen.

Interessen und Vorgehen

Das Standardargument ist leicht zu verstehen und findet bei Außenstehenden sogleich eine gewisse Akzeptanz. Es heißt Zielunternehmen sollen „fokussierter und flexibler“ werden, damit „werthaltiger“ - sprich höher kapitalisiert sein. Die Auffassung, dass Unternehmen robust und resilient und damit nicht schmal zu aufgestellt sein sollen, um einen internen Risikoausgleich schaffen zu können und eine Ausbalancierung der Geldströme zu ermöglichen, wird von typischen Kapitalmarktvertretern als überholt hingestellt. CEOs mit dieser Einstellung gelten als uneinsichtig, selbstzufrieden und sollen freiwillig gehen oder gehen müssen.

Der doktrinären Haltung auf Investorenseite liegt ein hohes Maß an Selbstgewissheit zugrunde, dass der von ihnen vorgeschlagene Kurs erfolgreich sein wird. Die Anmaßung höherer Einsicht bezüglich strategischer Optionen ist auffallend gepaart von grober Vernachlässigung kultureller, operativer Fragen und einer nachgeraden Ignoranz gegenüber sozialen Belangen.

Das Vorgehen ist aggressiv bis erpresserisch. Die kriegerische Sprache verrät, worum es geht: um Assaults und Targets, also um strategisch geplante, siegreiche Operationen. Das öffentlich Machen der Absichten im vorgeblichen Interesse aller Aktionäre dient vor allem dem Zweck, andere Aktionäre für die eigenen Belange einzuspannen. Die Interventionen laufen in aller Regel nach folgendem Muster ab: Aufbau einer Minderheitsbeteiligung von wenigen Prozent, Androhung, die Forderungen bei mangelnder Fügsamkeit des Managements bekannt zu machen. Die raffinierte Lösung ist die stille Unterwerfung des Managements unter das Diktat des angreifenden Investors.(16) Die Vorschläge sind meist radikaler Natur: Auf-/Abspaltungen, Asset-Verkäufe, Schließung von Standorten, Verlagerung, Cost Cutting (Overhead) einschließlich der Verringerung des Zukunftsaufwandes (FuE, Ausbildung).

Die Interessen sind offensichtlich. Die „Kapital-Aktivisten“ zielen auf kurzfristige (6 Monate bis 2 Jahre) Börsenwertmaximierung, meist verbunden mit einer Vorzugsregelung beim Ausstieg. Im Einklag dazu ist die Interessenslage des Parabusiness.(17) Zu dieser Gruppe zählen alle diesbezüglichen Dienstleister: Beratungsfirmen, Rechtsanwaltskanzleien und Investmenthäuser. Die bei solchen Maßnahmen erzielten Honorare sind beachtlich, werden aber selten bekannt. Als Anhaltspunkt für deren Umfang kann der Bayer-Monsanto-Deal dienen. Die Gesamtsumme der Honorare und Provisionen für die Finanzierung wurde mit 690 Mio USD beziffert, wobei der Chief Deal Strategist Morgan Stanley allein 120 Mio USD kassierte. Solche Mega-Deals erzeugen naturgemäß eine Suchtwirkung. Das Management des Zielunternehmens wiederum ist interessiert, seinen Job zu behalten, außerordentliche Boni einzustreichen oder eine außerordentliche Abfindung abzugreifen. Alles in allem geht es um das rasche Geld in wenigen Taschen.

Seit Langem ist die Mehrzahl der Business Schools der Welt des Kapitalmarktes zuzurechnen. Es überwiegen die transaktions- und finanzorientierten Lehrstühle, häufig bezeichnenderweise zusammengefasst in Schools of Finance. Dort werden die Denkmuster einer „monetarisierten“ Wirtschaft vermittelt und Unternehmen zu Investorenobjekten reduziert.(18) Auch der Großteil der Business Media bzw. Wirtschaftspresse ist immer mehr auf Unternehmenstransaktionen und -umstrukturierungen gepolt.(19)

Nach eingehender Beschäftigung mit dem Management börsennotierter Großunternehmen liegt die Schlussfolgerung nahe, dass sich eine Kollusion der Shareholder-Interessen zulasten der Stakeholder eingeschlichen hat, in vielen Fällen unter Mitwirkung des Managements/von Manageristen. Wohin eine solche Entwicklung letzten Endes führt, ist Thema des folgenden Kapitels.

Albtraum: zerschlagene Unternehmen

Wenn gewachsene Strukturen mutwillig zerstört werden, sind sie in aller Regel unwiderruflich verschwunden und Kollateralschäden angerichtet. In fast allen Fällen liegt keine „schöpferische“ Zerstörung im Schumpeterschen Sinne von Wertschöpfung vor, sondern eine Wertvernichtung - oder anders ausgedrückt eine eigennützige Abschöpfung.

Das häufig gehörte Plädoyer für schlankere Strukturen meint nicht selten lediglich kostengünstigere Einheiten. Immer wieder zeigt sich, dass bei bloßen Verschlankungen Qualitätsprobleme entstehen, es zu Ausfällen kommt und sogar die Gefahr von Zusammenbrüchen besteht. Schlank ist eben nicht lean. Lean bedeutet nämlich ständig verbesserte Prozesse, abgestimmte Systeme und robuste Strukturen.(20)

Die von Kapital-Aktivisten oktroyierten Renditeerwartungen orientieren sich in der Regel am jeweiligen Branchenprimus. Unilever hat sich nach der gescheiterten Übernahme durch Kraft-Heinz darauf eingelassen, seine Umsatzrendite von 17 Prozent auf 20 Prozent anheben zu wollen, was nur möglich erscheint, wenn entweder Lieferanten und/oder Mitarbeiter in günstigere Konditionen hineingezwungen und Standorte abgebaut werden. Der Nestlé angreifende Investor Third Point verweist andererseits auf die höhere Umsatzrendite von Unilever und Danone, Wettbewerber die sich an Kraft-Heinz messen lassen müssen. Die Vermutung, dass es sich um einen gezielten Angriff der Kapitalmarkt-Aktivisten auf Konsumgüterhersteller handelt, ist begründet.(23)

Die Folgen für eine vom Kapitalmarkt getriebene Marktwirtschaft sind nicht einfach zu prognostizieren, dennoch hinreichend absehbar. Die seit längerem im Gange befindliche Konzentration in einer Vielzahl von Branchen wird aller Voraussicht weiter zunehmen, zumal aufgrund der vor allem in den USA bis auf die Reagan-Zeit zurückreichenden laschen Wettbewerbskontrollen. Die wirtschaftlichen Folgen lässt sich auf den kurzen Nenner bringen: Lohnabsenkung/-stagnation, Preisanhebung, nachlassende Innovationsdynamik. Profiteur ist auf kurze und mittlere Sicht allein die Kapitalseite. Die Folgen wachsender Ungleichheit und sozialer Unmut sind vielfach gegenwärtig,

Die Tendenz zu „Big Playern“ wird zudem von Plattformunternehmen bzw. Internet-Domänen verstärkt Weiter in die Zukunft gedacht, wird es voraussichtlich zu einer wachsenden Abhängigkeit der vielen an der Kundenschnittstelle nachrangigen Lieferanten kommen. Die in der Lieferpyramide an der Spitze stehenden legen unter den Augen der Wettbewerbshüter schon seit mehr als 10 Jahren alles daran, möglichst viele Lieferanten und Dienstleister zu Unterlieferanten (sub-contracters, sub-suppliers) zu machen. Zu Ende gedacht bedeutet dies eine Wirtschaft mit einer kleinen Zahl kapitalmarktdominanter Unternehmen.

Eines ist klar: Die Vorausschau ist spekulativ, aber der Mühe wert, wenn es darauf ankommt, unheilvolle Entwicklungen zu bremsen, umzukehren. Die in Jubiläumsveranstaltungen und Firmenbroschüren/-webseiten als wichtigste „Ressource“ bezeichnete Belegschaft ist durch aufgezwungene Auf- und Abspaltungen irritiert, fühlt sich vernachlässigt. Unternehmen, die einmal oder in der Nachfolge mehrere Male auf diese Weise zerlegt werden, sind lange Zeit mit sich beschäftigt, von Misstrauen befallen und veranlassen ehedem motivierte und zufriedene Mitarbeiter zu innerer Kündigung. Mit größter Wahrscheinlichkeit entsteht ein Verlust an Unternehmensqualität. Diesen Verlust tragen nicht die Gewinner, die jetzigen Investoren, sondern in erster Linie die Mitarbeiter – und die Gesellschaft.

Fall USA

Seit dem Einzug des Sharholder Value (SHV) in den 1990er-Jahren und den darauf folgenden Listings mehrer deutscher Konzerne(25) an der NYSE sind die USA maßgebend für die Entwicklung des Kapitalmarktes und das Verhalten börsennotierter Unternehmen in Deutschland.

Die USA waren schon immer Schrittmacher in finanztechnischen Praktiken, Unternehmen betreffend. In den 1960er-Jahren kam es dort dank günstiger Zinsen zur Bildung von Multi-Industry Corporations (Konglomeraten), angeführt von finanzorientierten, machtbewussten CEOs, in einigen Fällen von regelrechten Finanzjongleuren. Deren Überlegung war, Kredite über steigende Kurse abzusichern, ein höheres Wachstum der einzelnen Geschäfte unter dem Dach der Quasi-Finanz-/Managementholding zu erreichen, den Cash-flow der verschiedenen Unternehmen/Geschäfte auszubalancieren und damit angeblich das Gesamtrisiko zu begrenzen. Doch nach nur einem Jahrzehnt waren die gehypten Konzerne Ling-Temco-Vaught, Litton Industries, Gulf & Western, Textron, Teledyne und ITT zum Großteil gescheitert; es kam zu einem großen Sell-off.

Zwanzig Jahre später kamen die Leveraged Buy-outs (LBOs) auf. Urheber und Vertreter dieser Übernahmekonstruktion waren vormalige Investmentbanker.(26) Die Ausgangslage war erneut günstig: billiges Geld, weiche Ausleihkonditionen und eine lasche Regulierung. Highlight war die legendäre Übernahme von RJR Nabisco,(27) bis dahin und für weitere 17 Jahre der größte Firmenkauf. Der Fall nahm kein gutes Ende. Zuvor eingekaufte Geschäfte mussten zur Entschuldung sukzessive verkauft werden. 1985 wurde Nabisco von der Tabakfirma Reynolds American aufgekauft, landete 2007 bei Kraft Foods, der Nahrungsmittelsparte von Altria (vormals Phillip Morris), die 2015 mit Heinz fusionierte. Leittragende dieser Transaktionsserie waren die Beschäftigten und mit ihnen die zugehörigen Kommunen. Nach dem LBO-Muster wurde eine Reihe von Großunternehmen, darunter illustre wie Hilton Hotels, Hertz, Georgia Pacific, Freescale Semiconductors neu sortiert. Die fünftgrößte Investmentbank, Drexel Burnham Lambert, wichtigste Vermittlerin der für LBOs benötigten Junk-Bonds, ging nicht zuletzt wegen betrügerischen Machenschaften in den Konkurs.

Bereits um 2005 erlebte das LBO-Geschäft einen erneuten Aufschwung mit einer beachtlichen Zahl an hochpreisigen und stark gehebelten Mega-Deals (jeweils größer 20 Mrd. USD), doch nach zwei Jahren von der Finanzkrise abrupt gestoppt. Die Performance war durchwachsen. Aufgrund ausgeklügelter Konditionen ging die Sache meist zu Lasten der Kreditgeber aus. In jüngerer Vergangenheit wurden weniger LBOs aufgelegt.

Der US-Private Equity-Komplex hat sich seit der Finanzkrise weiter diversifiziert, internationalisiert und ist, wie der wachsende Anteil von Hedgefonds zeigt, kurzfristiger geworden; er ist von US-Unternehmen total beherrscht. Aktuell warten viele hunderte Milliarden USD spekulativer Qualität auf Veranlagung. Deutsche Konzerne wurden – wie bereits gezeigt – in letzter Zeit auffallend häufig zu Zielobjekten der vollmundig in Aussicht gestellten Wertsteigerung. Die Frage des Nutzens für den Wirtschaftsstandort stellt sich in der Tat.

Fall China

An diesem grundlegend anderen Mitspieler im globalen Kampf um Wettbewerbspositionen geht kein Weg mehr vorbei. China wird in der Wirtschaftskraft voraussichtlich in fünf Jahren mit den USA gleichziehen. Seit längerem folgt diese Volkswirtschaft scheinbar Marktregeln. Manifest ist eine neue Kategorie von Unternehmen, nämlich Branchenkonzerne mit enormen Economies of Scale, staatlich gelenkt und finanziert. Ihnen ist der bevölkerungsreichste Markt der Welt(29) vorbehalten und sie schicken sich an, offene Märkte über Projekt-/Systemgeschäfte und die Schaffung von Abhängigkeiten auf unauffällige Weise zu erobern.

Die Bahntechnik (CRRC ) oder die Telekommunikation (Huawei, ZTE) sind Beispiele für Branchengiganten, National Champions, an deren Marktverhalten das Muster ablesbar ist. Das Aufzwingen von Größe und das staatlich koordinierte Dominanzstreben im Wettbewerb und in der Rohstoffbeschaffung sind nicht mehr zu übersehen. Mit Verweis auf die Macht chinesischer Anbieter wird vor allem in Europa für weitere Firmenzusammenschlüsse plädiert.

China wehrt sich geschickt gegen eine nicht gewollte Globalisierung, nutzt sie aber auf unnachahmliche Weise konsequent gegenüber dem „Rest der Welt“.

Zentrale Forderung: Abkehr von Abschöpfung

Wie kann man angesichts dieser in der Unternehmenswelt schon eingetretenen oder sich abzeichnenden Entwicklung gegensteuern? Dazu ist ein ganzes Paket von Maßnahmen notwendig. Um mit dem Naheliegenden zu beginnen:

1. Managementmoden widerstehen
Bis zur Jahrtausendwende wurde bei M&A bevorzugt auf die zu erzielenden Synergien (Technik, Markt) abgestellt, in deren Folge Kosten eingespart werden sollten. Ein bereits historisches Beispiel waren die großen deutschen Banken, die nacheinander Investmentbanken in Großbritannien kauften (die Deutsche Bank auch noch in den USA), um sich nach der Finanzkrise von 2008 allmählich zurückzuziehen und zum Konzept der Universalbank zurückzukehren, was nicht gelang. (30)Der hoffnungsvolle Ausflug in das Investmentbanking erwies sich als Beginn des Niedergangs von Deutscher, Dresdner und Commerzbank.

Ein anders geartetes Beispiel für Group-think ist der bereits erwähnte Konsolidierungsprozess in einer Reihe von Branchen. In jüngster Vergangenheit kam es in der Agrarchemie zu entsprechenden Übernahmen und Abspaltungen, deren größte der Bayer- Monsanto Deal ist. Und die Energieturbinenbranche wurde in Folge des Kaufs von Alstom durch GE noch oligopolistischer. (31)

 Nach all den Erfahrungen mit Managementkonzepten (Portfolio-Management, Scale- bzw. Erfahrungskurveneffekte, Five Forces) ist mehr Abgeklärtheit, wieder mehr gesunder Menschenverstand gefragt.

2. Abbau von Übergröße und Oligopolen
Das Management ist gehalten, für übersichtliche Strukturen zu sorgen, um damit die Beherrschbarkeit von Unternehmen sicherzustellen. Weder Größe noch Komplexität sind Qualitätskriterien. Dezentrale Strukturen ermöglichen eine geeignete Übertragung von Verantwortung, die in vielen Unternehmen unzulänglich ist, weil die „Zentrale“ sich zu viele Zuständigkeiten vorbehält und sich häufig in das laufende Geschäft einschaltet und Schlusspunkt setzen.

Wie in der Baumpflege sind immer wieder - um in der Analogie zu bleiben - ein Kronenschnitt und eine Astausdünnung notwendig, nebst der Pflege des Wurzelbereiches und fälliger Maßnahmen zur Bodenverbesserung. Starkschnitte, eine Kappung ohne Notwendigkeit, falsche Schnittführung und Verletzungen des Stammes schaden dem Baum. Auf das Management übertragen bedeuten diese Gebote, die Strukturänderungen selbst und rechtzeitig in Angriff zu nehmen und mit Bedacht auf das Ganze durchzuführen; jedenfalls nicht von Dritten, vom Kapitalmarkt auferlegen lassen.

Übergröße ist ein relativer Begriff.(32) Damit ist gemeint, dass Unternehmen bzw. Unternehmensteile das richtige Maß überschritten haben, sei es aus Unachtsamkeit oder aus Machtstreben. In diesem Zusammenhang sei an die Feststellung von Joseph Schumpeter, des Ökonomen des Unternehmertums, erinnert: „Bigness is fundamentally bad when it comes to capitalism." Walter Eucken, der Konzeptionalist der Marktwirtschaft deutschen Musters, legte größten Wert auf das Funktionieren des Wettbewerbs. Größe zu begrenzen bzw. das Wachstum großer Unternehmen zu bremsen, ist ein überfälliger pragmatischer Beitrag, die Wirtschaft robuster zu machen und die Wettbewerbskonzentration einzuschränken. Exzellenz statt Größe muss die Leitlinie sein.

3. Staat als aktiver Spielregelüberwacher
Dem Staat bzw. der EU kommt die Aufgabe zu, über strikte Fusionskontrolle, durch Einschränkung haftungsfreier Engagements von „Kapital-Aktivisten“ und Inanspruchnahme der Unternehmensverantwortlichen sicherzustellen, dass Schaden von der Wirtschaft und Gesellschaft abgewendet wird. Es geht nicht an, dass sogenannte Kartellverstöße im Kleinen geahndet werden, im Großen außer Sichtweite bleiben. Die vorgeblich exterritorialen Plattform-Unternehmen sind ein überfälliger Regulierungsfall.

4. Belebung von Innovation und mehr Raum für Unternehmertum
Über den Zweck von Unternehmen sollte eigentlich Eindeutigkeit bestehen. Gewinne sind als Ergebnis unternehmerischer Tätigkeit zu betrachten. Das Primärziel ist Kunden zu gewinnen und zufrieden zu stellen, Probleme zu lösen – zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben beizutragen, Mitarbeiter so zu behandeln, dass sie ihre Fähigkeiten einbringen und entfalten können. Weit ausgeholt heißt das: Einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und zum Wohlergehen zu leisten. Mit dieser Maßgabe wird die Bedeutung von Unternehmen für die Gesellschaft klar. Dann fühlen sich Mitarbeiter einem gemeinsamen Auftrag verpflichtet.

Es geht darum, Exzellenz anzustreben, gute Praxis zu üben, an die nächste Generation zu denken und ihr das Unternehmen in besserem Zustand zu übergeben. Das bedeutet ständiges Innovieren, Verbessern, Verändern, jedoch nicht auf Transaktionen und Umstrukturierungen zu setzen. Großer Wert ist auf die eigene Innovationskraft zu legen, was eine ausreichend und dauerhafte Pflege von Forschung und Entwicklung voraussetzt – sich keinesfalls auf den Aufkauf von Innovationen/Start-ups zu beschränken, wie es Kapitalmarktvertreter für richtig halten.

Wichtig ist die Pflege einer soliden Eigentümerkultur, indem der Einzelne Verantwortung für das Unternehmen auf sich nimmt, ein Wir-Gefühl erzeugt wird. Eine diesbezügliche, bislang zu wenig genutzte und geförderte Maßnahme ist die Einrichtung von Beteiligungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter (Belegschaftsaktien).(33) Die Erfahrung zeigt, dass Vermögen aufbauende Programme die Verantwortung der Belegschaft fördern und Vertrauen schaffen. Schließlich ist die abwehrende Wirkung auf spekulative Anleger zu bedenken. Strukturen sollen sich am Kunden ausrichten und Mitarbeitern ein „Zuhause“ bieten. Es braucht keine tiefe Einsicht, um zu erkennen, dass die Herausnahme bzw. die Lockerung von Bindungselementen ein System fragil machen und in schwierigen Zeiten zum Kollabieren bringen. An Beispielen fehlte es nicht: AEG und Mannesmann, Daimler, Deutsche Bank und Commerzbank.

5. Bildung von Holdings ist kontraproduktiv
Es kommt immer mehr darauf an, „unternehmerische“ Strukturen und Systeme einzurichten, die ausreichend Handlungsräume zulassen und Mikro-Controlling sowie einen Überhang an Formalismen verhindern. Holdings sind wenig geeignet, überbereichliche Aufgaben wahrzunehmen, weil allein der Renditebeitrag der jeweiligen Gesellschaft/ Unternehmenseinheit zählt. Gemeinsame Aufgaben wie FuE für Querschnitttechnologien – man denke an KI und Computational Engineering – sind dagegen zweit-/drittrangig.(34)

Die in letzter Zeit in Deutschland favorisierte Holdinglösung ist eine finanzmarktkompatible Struktur und kein unternehmerisches Führungskonzept. Es verlangt auch kein vertieftes Verständnis von Grundlagen und von technischen Synergien. Die Unternehmenshistorie zeigt, dass Holdingkonstruktionen Vorschub für eine allmähliche, meistens beschleunigte Zerlegung leisten. Unter langlebigen Unternehmen finden sich nicht von ungefähr keine Holding-Unternehmen.

Ein Blick auf die I.G.-Farben-Nachfolgeunternehmen BASF, Bayer, Hoechst ist lehrreich. Die Hoechst AG, 1992 noch weltgrößter Pharmakonzern und breit diversifiziertes Chemieunternehmen, gab sich eine Holdingstruktur, die ab 1994 (mit dem Motto „Hoechst Aufbruch“) den Beginn des Konzernabbruchs einleitete. Der damals in Deutschland in Mode gekommene Shareholder-Value-Ansatz, mit Nachdruck durch den ersten Nicht-Chemiker-Vorstandsvorsitzenden befolgt, war der Treibsatz für eine Vielzahl von Transaktionen (Fusionen, Verkäufe). Von der Total-Zerlegung profitierten Private Equity-Gesellschaften, der Parabusiness-Komplex und die Konkurrenz. Die BASF verfolgte das Geschäftsmodell eines integrierten Chemiebetriebes hauptsächlich über Standort-Synergien. Die Bayer AG setzte in den letzen Jahren eine Strategie der Konzentration um, die v.a. mit der Mega-Akquisition von Monsanto und den erwähnten Verselbständigungen verbunden war. Man hat es also - grob klassifiziert - mit einem unternehmerischen Ansatz bei BASF, einem manageristischen von Hoechst und einer Mischform bei Bayer zu tun.

Das Management von Großunternehmen soll ein gutes Verständnis von komplexen Systemen haben und eine realistische Sicht auf Synergien vorweisen können. Unternehmerische Persönlichkeiten, ausgewiesene Geschäftskenner und Techniker sind in der Regel dafür im besonderen Maße geeignet; sie sind dem Kapitalmarkt gegenüber weniger empfänglich als MBAs. Ein solches Management nutzt M&A zu selektiver Arrondierung des Unternehmens im Sinne von Business Enlargement & Enrichment, nicht zur Cash-Flow-Stabilisierung und Marktbeherrschung.

6. Besinnung auf gesellschaftlichen Auftrag und nationale-kulturelle Stärken
Das Bewusstsein, einen nicht nur gewinn-/geschäftsorientierten Auftrag zu haben, ist bei vielen Familien- und Stiftungsunternehmen selbstverständlich; bei börsennotierten Unternehmen eher selten und oft substanzlos. Das scheint sich zu ändern. So erklärte jüngst Siemens-CEO Joe Kaeser: „The business of business is not business. The business of business is to create value for society.“ Diese Einstellung, deren Basis der Public Value-Ansatz bildet(35), wird von immer mehr CEOs geteilt.(36)

Die Pflege besonderer kultureller Fähigkeiten ist auch für Unternehmen von Belang. Schließlich bauen sie im Regelfall auf diesem Potential auf und nutzen es als einen Schlüsselfaktor für ihre Weiterentwicklung. Deutschen Unternehmen kommt neben dem tradierten Qualitätsbewusstsein die hochgeschätzte Ingenieurkunst zugute, die in vielerlei Ausprägung zur Anwendung gelangt: in der Kombinationstechnik (Optik-Mechanik-Elektronik), bei Embedded Systems, bei komplexer, sicherheitssensibler Software bis zur Prozesstechnologie in der Chemie. Unternehmen, die diese Früchte der Ausbildung und des Miteinanders für ihre Fortentwicklung zu ihrer heutigen Größe und Internationalität nutzen, haben die unausgesprochene Pflicht, dieses Erbe zu pflegen, indem sie in dieses investieren und der Gesellschaft einen – auch kulturellen - Mehrwert wiedergeben.

7. Wertschöpfung kontra Abschöpfung
Unternehmerisch denken und handeln ist grundverschieden zu „manageristisch“. Letzteres ist nichts anderes als eine auf Abschöpfung bedachte, kurzfristige Haltung. Sie ist einseitig auf den eigenen Vorteil und damit verknüpft die Erfüllung der Erwartungen des zum Großteil anonymen Kapitalmarktes angelegt, vertreten durch Analysten, in zunehmender Zahl von PE- und Hedge-Fonds-Managern, begleitet von neuigkeitsfixierten Medien. Manageristisch geleitete Unternehmen sind in hohem Maße außengeleitet und sind dem Gruppeninteresse des incentivierten Managements ausgeliefert. Die Fremdbestimmung leitet einen Circulus vitiosus ein, der sich in weiten Teilen der Belegschaft in Demotivation, Krankwerden, Abwanderung, interner Beschäftigung und Kompetenzverlust niederschlägt; was Anlass gibt, den Druck zu erhöhen, was noch mehr Angst und Misstrauen verursacht.

Allen Ernstes geht es darum, diesen Teufelskreis zu unterbrechen. Die Marktwirtschaft darf nicht zu einem hypertrophen System verkommen, in dem die Nominalwirtschaft sich des Realsektors, der wertschöpfenden Teile der Volkswirtschaft, bemächtigt. Opportunistischer Abschöpfung in Form spekulativer Beteiligungen und von Sonderinteressen getriebenen Interventionen in Richtung Aufspaltung und Abspaltung ist Einhalt zu gebieten.

Notwendig ist erstens:
Die Einsicht, dass Unternehmen „soziale Systeme“/Gemeinschaften sind und deshalb Soft Factors (Unternehmenskultur) eine entscheidende Rolle spielen. Von Peter Drucker stammt die Feststellung: “Culture eats strategy for breakfast.”(37) Diese Reihenfolge von Subjekt und Objekt bedeutet nichts weniger als eine Umkehrung des ein halbes Jahrhundert von vielen Business Schools und Managementberatern verbreiteten Mantras vom Primat der Strategie. Ist es nicht hoch an der Zeit, sich an diese Einsichten zu halten und dem Common Sense Auftrieb zu verschaffen; folglich den Management-Moden aus dem Weg zu gehen?

Notwendig ist zweitens:
Unternehmen als wertschöpfende Organisationen zu verstehen und zu führen. Das bedeutet, alles Nichtwertschöpfende zu meiden, angefangen bei bürokratischen, scheinprofessionellen Prozeduren (beispielsweise komplizierte Perfomance Management Systeme) bis zu regelrechter Verschwendung von Ressourcen, aber viel mehr noch von Erfahrung und Fähigkeiten der (älteren) Mitarbeiter. Wertschöpfung setzt Vertrauen in das Können und Wollen aller Beteiligten voraus. Vertrauen aufzubauen verlangt Mühen und Zeit, ist jedoch – sattsam erfahren - durch manageristische Maßnahmen unversehens zerstört. Vertrauen ist als wertvolles Gut eines Unternehmens zu hüten. Wie schwierig es ist, Vertrauen wieder zu gewinnen, zeigen die Fälle Bayer, Deutsche Bank, VW und Daimler.

Notwendig ist drittens:
Ernst zu nehmen, dass der Turbo-Kapitalismus gemeinschaftszerstörend und gesellschaftsschädlich ist. Diese apodiktisch klingende Aussage ist durch die Wirtschaftsgeschichte hinreichend belegt. Der Nachweis, dass die hauptsächlich die Unternehmen betreffende Spielart des Managerismus von Übel ist, wurde in Denkzetteln und Denkschriften www.managerismus.com erbracht. Mehr als ein Hauch von Tragik liegt darin, dass die größten Profiteure des von ihnen propagierten Kapitalismus, den nachhaltigsten Beitrag zu seiner Zerstörung leisten.

Break-ups of Big Corporations nach der Logik des Kapitalmarktes sind für die Stakeholder höchst fragwürdig.

Manfred Hoefle, 19. Dezember 2018

 

ANMERKUNGEN

(1) Die bis dato größte Firmenübernahme eines deutschen Unternehmens ist der Kauf von Monsanto für 62,5 Mrd. USD. Dieser von der Presse als historisch gefeierte Deal macht Bayer zum weltweit größten Pflanzenschutz- und Saatguthersteller. Am Tag der Ankündigung (7. 6.2018) stieg die Bayer-Aktie um 4 Prozent. Anfang Dezember 2018 steht sie bei minus 40 Prozent.

(2) Hinter bzw. vor diesen Fonds stehen in der Zwischenzeit öffentlich gewordene „Investoren“: Dan Loeb, Keith Meister, Bill Ackman, David Einhorn, David Winter, David Millstone, der in Deutschland berüchtigte Paul Singer, der in den USA bekannte Nelson Peltz und der legendäre Carl Icahn. Die Vitae dieser Personen sind aufschlussreich für die Handlungsweise ihrer Fonds. Das Investment-Volumen der fünf größten Activist-Investor-Portfolios bewegt sich zwischen jeweils 10 und 30 Mrd. USD.

(3) Erwähnt seien sein kolportiertes Eintreten für Anshu Jain als Co-CEO der Deutschen Bank oder die Empfehlungen an die Adresse des CEO von Siemens.

(4) Das große Erstaunen über diese Mahnung verwundert, wenn man sich daran erinnert, dass der vormalige Chef von McKinsey, Dominic Barton, 2013, und Roger Martin von der Rotman School of Management, 2017, die Schädlichkeit des „Short-termism“ beklagt haben - abgesehen von ebensolcher Kritik von Managementlehrern 20 Jahre davor. Unternehmer haben diese Meinung ohne Abstriche schon immer vertreten.

(5) Die Familie hielt bis 1998 über die Kombination von Stamm- und Vorzugsaktien (mit sechsfachem Stimmrecht) eine de-facto Sperrminorität. Die Abschaffung dieser Aktienstruktur mit einem Ankeraktionär erfolgte im Vorfeld der Börsenplatzierung an der NYSE im Jahre 2001. Diese Maßnahme sollte neben dem leichteren Zugang zum US-Kapitalmarkt den Einsatz der Aktie als Währung für Firmenkäufe ermöglichen. Im Zuge dieses Vorgangs kam es zu meldungspflichtigen Beteiligungen von BlackRock und Katar. Siemens hat sich mit der Abschaffung der Vorzugsaktien ohne Not angreifbar gemacht.

(6) Das Gewicht von BlackRock in der deutschen Wirtschaft manifestiert sich auch in der Person Friedrich Merz, Vorsitzender Atlantik-Brücke und jüngst Kandidat für den CDU-Parteivorsitz. Seit 2016 steht er dem Aufsichtsrat von BlackRock Deutschland vor.

(7) Der neben der Krupp-Stiftung größte Anteilseigner ist die aktivistische schwedische Cevian, die einzige große, nicht angelsächsische „Investor“-Fondsgesellschaft.

(8) Dieser als „Vulture Fonds“ klassifizierte Vermögensverwalter erzielte seit seiner Gründung eine jährliche „Wertsteigerung“ von rund 15 Prozent und bescherte seinem Gründer und CEO ein Vermögen von 3,2 (2018) Milliarden USD. Namhafte nicht-deutsche Elliott-Fälle waren: Alcoa (zur Zeit des CEO Klaus Kleinfeld), Adecco, Azko-Nobel, Telecom Italia, Mentor Graphics, Samsung. Andere aktivistische Investoren sind die Hedgefonds : TCI, White Tale, Third Point.

(9) Der Third Point Fund hielt 1,5 Prozent bei Nestlé, Corvex war mit 400 Mio. SFR bei Danone beteiligt.

(10) Große Bekanntheit erreichte der Goldman Sachs-Deutschlandchef Alexander Dibelius als „Rainmaker“. Unter anderem führte er den Verkauf des Automotive Geschäftes von Siemens an Conti/Schaeffler an.

(11) Aufteilungen von US-Konzernen betrafen v.a. Alcoa (Alcoa, Arconic), Honeywell mit den Spin-offs Turbocharger (Garrett), Thermostat- und Haussysteme (Resideo) und Chemieprodukten (AdvanSix);
zuletzt kündigte United Technology an, die Aufzugsparte Otis und die Klimatechnik Carrier abzuspalten.

(12) Namhafte Angriffe galten Unilever, Akzo-Nobel (Aufspaltung in Paints & Coating und Speciality Chemicals) und Nestlé.

(13) Bernd Ziesemer sprach in der Welt/Bilanz (4.8.2018) von einer regelrechten „Aufspalteritis“.

(14) Das 2018 aufgelegte Gratisaktienprogramm für die 100.000 Mitarbeiter von Danone mit dem aussagekräftigen Slogan „One Person, One Voice, One Action“ hat Modellcharakter. Generell sollten Spin-offs von Beginn an, dauerhafte Belegschaftsaktionärsprogramme auf den Weg bringen.

(15) Das Versäumnis wird von vielen Meinungsführern bis heute nicht eingesehen. Man denke nur an die heftige Kritik an dem Vorschlag von Friedrich Merz, für die Altersversorgung stärker auf Aktien zu setzen.

(16) Man denkt dabei an Sun Tzu/Sinzi (gest. um 496, chinesischer Militärstratege und Philosoph): „Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“ (aus: Die Kunst des Krieges, Kap. III).

(17) Dazu Denkschrift Nr. 21 und 23.

(18) Es verwundert nicht, dass die Activist Investors und die Parabusines-Vertreter ihre Ausbildung an solchen Einrichtungen erhalten haben.

(19) Das Manager-Magazin ist die beste Referenz.

(20) Ein bekanntes Beispiel ist das Toyota-Produktionsmodell.

(21) Auf den Protest der Arbeitnehmerseite hin versprach das Unilever-Management, keine Arbeitsplätze abzubauen. Gespräche mit den Arbeitnehmern sollen ergebnisoffen geführt werden.

(22) Die Schwankungsbreite der Umsatzrendite der letzten drei Jahre lag bei Heinz-Kraft zwischen 5,7 Prozent - 41,9 Prozent!  und bei Procter & Gamble bei 9,2 – 23,6 Prozent.

(23) Die Konsumgüterbranche ist in hohem Maße international und vergleichbar; sie zeichnet sich durch eine hohe Konzentration, relativ hohe Margen und einen verhältnismäßig stabilen Cash-flow aus – alles Gründe für ein erfolgversprechendes Engagement bei eher „underperformenden“ Konzernen.

(24) Für die USA hat das Open Market Institute eine seit 15 Jahren (Beginn der Erhebung) andauernde Konzentration in vielen Branchen festgestellt (Airlines, Car-rental, Credit-rating, Meat-processing, Rail-roads, Shipbuilding, etc.). Als evidente Folgen werden Einkommensstagnation und die Abnahme von Unternehmertum und Innovation ausgemacht. Die Konzentration lässt sich in einer Reihe großer Länder nachweisen.

(25) Allianz, Deutsche Telekom, Daimler, BASF, Bayer, E.On, Siemens und weitere.

(26) Jerome Kohlberg, Jr., Henry Kravis und George R. Roberts, die 1976 KKR gründeten.

(27) RJB Nabisco war ein Produkt mehrerer Fusionen und Aufkäufe. Die monströse Schlacht um diesen Konzern wird in dem Business Thriller „Barbarians at the Gate: The Fall of RJR Nabisco“ im Detail geschildert. Die Hauptfigur, CEO F. Ross Johnson, wird so charakterisiert: „Never tell the truth, never pay in cash and never play by the rules.“

(28) Die 20 größten PE-Firmen sind mit Ausnahme von EQT (Schweden) US-amerikanisch, angeführt von Blackstone und Carlyle.

(29) Bezogen auf die Marktteilnahme. Was die Bevölkerungszahl angeht, ist Indien zurzeit gleich groß.

(30) Bemerkenswert ist die Begleitung durch die Strategieberatung McKinsey auf der ganzen Strecke.

(31) Die Logik stammt aus der Frühzeit der Strategischen Planung mit den Konzepten der Erfahrungskurve mit den implizierten Größenvorteilen und dem Portfolio-Konzept, einem im Kern von der Harvard Business School und den Strategieberatern vermittelten finanzorientierten Ansatz, erweitert um die Strategiekonzepte eines Michael Porter.

(32) Siehe dazu: Managerismus Unternehmensführung in Not (Kapitel 14, Wege zur Robustheit, S. 187-195), Wiley, Weinheim 2010 und Denkschrift Nummer 5: Too Big To Fail versus Rechtes Maß – Zum Dilemma übergroßer Unternehmen, Juli 2011. In der The New York Times wurde erst im November 2018 über das Problem der Unternehmensgröße unter den Headlines „Corporate Giants, Hurting the Economy“ und „The Monopolization of America“ geschrieben.

(33) Bei Siemens beteiligten sich 2017 rund 80 Prozent (300.000) der Mitarbeiter am Programm für Belegschaftsaktien.

(34) Zu empfehlen ist das Gedankenexperiment im Falle von Siemens: Hätte das Unternehmen seine spätere Größe und Breite erreicht, wenn die Betätigung nur auf bestimmte Produktbereiche bzw. Branchenanwendungen beschränkt worden wäre? Wären Spin-offs und Verkäufe wie v.a. von Infineon, Osram) wahrscheinlich gewesen? Was wäre ohne die zentrale Forschung und Entwicklung an Innovationen unterblieben?

(35) Public Value soll eine Antwort darauf geben, was eine Organisation (und somit ein Unternehmen) für eine Gesellschaft macht. Das neue Verständnis von "Wert"-Schöpfung hebt insbesondere ab auf Wertschätzung und gesellschaftliche Akzeptanz. Public Value soll Anleitung dafür liefern, wie durch unternehmerisches Handeln das Gemeinwohl gefördert werden kann.
Siehe auch: https://www.gemeinwohlatlas.de/hintergrund

(36) Marc Benioff, Chef von Salesforce, fast gleichlautend: “The Business Of Business Is Improving The State Of The World”. (Purpose is not a cause, it is a way of operating your business. ... Purpose is truly the secret sauce between financial success, business longevity and "doing good" in society. )

(37) Neulich hat Joe Kaeser von Siemens sich dieses Zitat zu eigen gemacht.

LINKS

Denkschrift Nr. 25: Holding - Ein vordergründig einfaches Führungskonzept (7/ 2017)
Denkschrift Nr. 18: Transaktion oder Innovation – das ist die Frage (1/ 2016)
Denkschrift Nr. 8: Der industrielle Niedergang der USA – Lehren für Europa (12/2012)
Denkschrift Nr. 5: Too Big To Fail versus Rechtes Maß – Zum Dilemma übergroßer Unternehmen (7/ 2011)