Erfinderisch, schöpferisch, ingeniös, diese ehemaligen Prädikatsmerkmale erfolgreicher Großunternehmen verlieren an Bedeutung. Heutige Unternehmen verstehen sich zunehmend als produktivitätssteigernde und effizienzorientierte Systeme. Diesem Selbstverständnis folgend treiben sie technische, soziale und organisatorische Veränderungen mit Hochdruck voran.
Sei es durch ein sehr hohes Maß an standardisierten Geschäftsprozessen, durch IT-Programme(1), welche nun die Taktgeber von Abläufen und das Framework für die Organisation sind; sie lassen Unternehmen immer ähnlicher und standardisierter werden. Sei es durch eine Steuerung von Gruppen(2), indem diese ihren Focus - im Rahmen der für sie „konstruierten Welt“ - auf die Erfüllung einzelner Key Performance Indicators (KPI) richten und damit die unternehmerische Verantwortung auf die Erreichung bloßer Profitabilitätsziele beschränken. Sei es durch die aktuell sehr verbreiteten „agilen“ Arbeitsmethoden, mit denen „Arbeit“ nicht nur komprimierter und schneller, sondern auch transparenter gemacht werden soll.
Wettbewerb zwischen Kollegen
Dieser umfängliche Einsatz von Technik und Sozialtechniken hat ein Ziel: Die Beschäftigten sollen an ihre physischen und psychischen Grenzen gehen. Durch Benchmarking und Vergleiche mit Nachbarabteilungen, Niederlassungen oder Konkurrenten sollen sie sich gegenseitig „antreiben“ und so die Produktivität erhöhen. Dies geschieht auf Kosten der Überschaubarkeit gegenüber dem System als Ganzes. Der umfassende Einsatz von Techniksystemen führt zu einer immer engeren und damit ausschließlich effizienzgetriebenen Steuerung von Beschäftigten und des Managements.(3)
Digitale unternehmensinterne Kommunikationsmittel (Blogs, Social Media) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Menschen zunehmend gestaltungsschwach und alleingelassen fühlen - und was noch schwerer wiegt: Ihre Arbeit nicht mehr als sinnvoll erfahren. Sie sehen sich wahlweise als funktionierende Datenoperateure und Kompetenzmaschinen, die ihr Wissen abzurufen und in die von Sachzwängen eingeengten Teams und Abteilungen einzubringen haben.
Nützlich, mechanistisch und immer mehr auf sich gestellt
Intelligent designte Benutzeroberflächen – zum Teil mit sog. Gaming-Elementen angereichert, um die Aufmerksamkeit und Konzentration des Benutzers auf hohem Niveau zu halten - tragen dazu bei, dass die immer komplexer werdenden Prozesse, die sich hinter den Programmen verbergen, nicht mehr nachvollziehbar sind und so zu einer „Entfremdung“ der Arbeit führen. Viele Beschäftigte haben keine Vorstellung mehr, was mit den Daten, die sie eingeben, passiert bzw. wofür die Daten ,die sie eingeben, wirklich benötigt werden. Die enge digitale Prozessführung, die ausführliche Beschreibung von Teilprozessschritten und die noch weitergehende Zerlegung in Teilaktivitäten nach Zeit- und Kosteneinheiten durch Workflow-Management-Systeme führen dazu, dass den Beschäftigten jeder Aufgabenschritt vorgegeben ist und umgehend alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Der ehemals analoge Taylorsimus in den Fabrikhallen, hat sich in einen mächtigen digitalen für die meisten Beschäftigten verwandelt.
Die enge digitale Anbindung, mag auf den ersten Blick prozesssicher im Sinne des Unternehmens erscheinen, aber es führt auch zu einer Zementierung der Arbeitsabläufe, zur Entmündigung der Beschäftigten und letztlich zu einer Abwertung ihres Arbeitsvermögens. Ein Gefühl des „Funktionieren Müssens“ um die gesteckten Ziele zu erreichen und „nie fertig zu sein“ macht sich breit. Zudem fehlt die Wertschätzung für die Tätigkeit und persönliche Ideen. Engagement sowie das jahrelang entwickelte Erfahrungswissen sind nur noch im Rahmen der Systemlogik erwünscht. Dies lässt viele Beschäftigte erschöpft zurück.
Aber haben wir es hier nicht sogar mit einem volkswirtschaftlichen Widerspruch zu tun? Zum einen stehen die Menschen immer mehr unter psychischem Druck und erkranken, zum anderen sollen die Menschen immer länger arbeiten.
Individualisierung schwächt ein Gruppenbewusstsein
Die multiple Zugehörigkeit zu mehreren Projektteams richtet sich vornehmlich nach dem mit Hilfe einer modernen Personalsoftware herausgefilterten Kompetenzen und dem Leistungsvermögen des Einzelnen (recuruiting on demand), die für nützlich oder nicht nutzbar erklärt werden. Im Vordergrund steht das Matching zu den Arbeitsaufgaben. Die organisationale Zughörigkeit („meine“ Abteilung) wird fluid, eine funktionale Spezialisierung greift um sich. Innerhalb eines zeitlich befristeten Projektteams führen (Social-) Engineering-Techniken dazu, dass aufgrund völliger Leistungstransparenz die Vereinzelung der Beschäftigten zunimmt. Diese Isolierung ist zugleich der Schlüssel dazu, dem gefürchteten Widerstand der Beschäftigten gegen unerreichbare Ziele entgegenzuwirken. Es kommt zu einer Neuregulierung des Verhältnisses von Individuum und Gruppe und führt dazu, dass sich vorübergehend zusammengesetzte Arbeitsteams weit mehr vornehmen, als sie bei kritischer Betrachtung bewältigen können. Den Unternehmen hingegen gelingt es dadurch immer besser, unternehmerische Risiken auf die Beschäftigten abzuwälzen.
Wachsende Geringschätzung des Sozialkapitals
Was aus dem Blick gerät ist zweierlei: Zum einen die Bedeutung einer „Selbstwirksamkeit“ für die Gesundheit des Einzelnen und der Wert des Sozialkapitals für die Leistungsfähigkeit und den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Sozialkapital ist jegliche Form von Vertrauen, Zusammengehörigkeit, Wertschätzung, Kooperationswilligkeit und die Belastbarkeit von Beziehungen zwischen all jenen Menschen (Kollegen, Vorgesetzten, Lieferanten, Kunden usw.), die sich im betrieblichen Umfeld begegnen und miteinander zu tun haben. Der Sinn von Arbeit, hier im Sinne von Erwerbsarbeit, bemisst sich nicht nur an der notwendigen Finanzierung des täglichen Lebens, sondern auch an der Bedeutung des eigenen Tuns, dem Mitwirken an „etwas Größerem“ (vgl. Kurt Lewin, Viktor Frankl(4), dem Grad der Selbstverwirklichung, der sozialen Anerkennung und der Einbindung in ein Team und dessen solidarische Gestaltungsprinzipien und Handlungsgrundsätze.
Die Sachlogik und die Nützlichkeitsmoral führen zu Rissen: Indem der Einzelne auf sein bloßes Potential reduziert und das Ziel des Unternehmens eingeengt wird „nur an das Gold in den Köpfen“ zum Zwecke der Steigerung der Profitabilität zu kommen, bleiben sowohl Sinn wie auch Sozialkapital auf der Strecke. Wir laufen Gefahr, dass die technologischen (insbesondere die digitalen) Innovationen zu einer Abwertung des psychologischen und sozialen Mindeststandards führen, die wir als „Gute Arbeit“(5) definieren.
Studien(6) zeigen, dass die Stressbelastung mit steigendem Digitalisierungsgrad vielfach zunimmt; hingegen würden eine wirkliche Partizipation der Beschäftigten und damit eine Gestaltungsmächtigkeit zu geringeren Belastungen führen. Es sind die Ohnmachtsgefühle gegenüber den technikgestützten Prozessen , die die Menschen krank machen; dies betrifft auch viele Experten, etwa Ingenieure, Ärzte oder Lehrer, die sich immer mehr gezwungen sehen, eine Vielzahl von Dokumentationspflichten und administrative Nebentätigkeiten (employee self services) zu erledigen, wogegen ihre berufliche Expertise und ihr Berufsethos immer weiter in den Hintergrund rücken.
Mehr soziale Innovation, mehr Miteinander, weniger Technizismus
Viele Unternehmen befinden sich bis heute auf einer Einbahnstraße, die heißt: „Immer noch mehr auf vom Gleichen“. Damit gemeint ist noch mehr Mikro-Management anhand von Kennzahlen und immer noch effizientere Prozesse in der Hoffnung, damit Ländern, Regionen und Unternehmen, die aufgrund von Missachtung sozialer und ökologischer Standards billiger produzieren können, aber ihrer Bevölkerung letztlich keine echte Zukunftsperspektive bieten können, Paroli zu bieten.
Was wir in unseren Konzernen wirklich benötigen, sind neue gemeinsame Wege, neue von allen Beschäftigten und Führungskräften entwickelte Ideen, die Unternehmen profitabel und die Menschen gesund bleiben lassen. Wir benötigen soziale Innovationen, die Unternehmen zukunftsfähig, modern und nachhaltig machen und zu einem neuen Miteinander in den Betrieben führen. Erste Schritte in den Unternehmen wären die Abkehr von einer einseitigen effizienzsteigernden Unternehmenspolitik, eine Ausweitung der Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten, eine Aufwertung von Aufgabenumfängen bei gleichzeitiger Zunahmen von Autonomie, größere Wertschätzung für Erfahrungswissen, die soziale Einbettung und Anerkennung von Vorgesetzten und Kollegen, sowie die Miteinbeziehung der Stakeholder.
Es kommt darauf an, die Digitalisierung zu „vermenschlichen“ und nicht die Menschen zu „digitalisieren“.
Dr. Sandra Siebenhüter, 23. Oktober 2017
Anmerkungen
(1) Hier zu nennen sind insbesondere ERP Programme (Enterprise Ressource Planning Systems), von dem auch Führungskräfte sagen, dass sie weder Einfluss und noch Einblick in die dahinterliegende Technik und die dahinterliegenden Algorithmen haben, die aber mit dem Hinweis auf noch weitergehende Effizienzgewinne nicht diskutierbar sind.
(2) Vgl. Stephan Siemens/Martina Frenzel (2014): Das unternehmerische Wir. Formen der indirekten Steuerung in Unternehmen.
(3) Vgl. Raffetseder, Eva-Maria; Schaupp, Simon; Staab, Phillip (2017): Kybernetik und Kontrolle. Algorithmische Arbeitssteuerung und betriebliche Herrschaft. In: PROKLA 187 Arbeit und Wertschöpfung im digitalen Kapitalismus, S. 229 – 247, Münster.
(4) Siehe dazu: Relecture Nr. 2
(5) Vgl. DGB-Index Gute Arbeit "Arbeitshetze und Arbeitsintensivierung" index-gute-arbeit.dgb.de
(6) Vgl. Sonderauswertung »Digitalisierung und Arbeitsintensivierung« des DGB-Index Gute Arbeit (2017): Die Arbeitsbelastung (45%), die Arbeitsmenge (54%) und der Zeitdruck (60%) nimmt mit steigendem Digitalisierung zu. habe. 54 % berichteten, ihre Arbeitsmenge sei größer geworden.