Individuelle Entfaltungsmöglichkeit und gemeinschaftsförderndes Entgelt sind wichtige Elemente einer gesunden Leistungskultur. Es ist an der Zeit, dafür flexible, einfache, auf das jeweilige Unternehmen abgestimmte Lösungen zu finden und die Gemeinschaftsleistung stärker zu würdigen. Denn die Attraktivität des Arbeitsplatzes wird in hohem Maße von der Stimmigkeit dieser Führungselemente bestimmt.
"Compensation must always try to balance recognition of the individual with stability and maintenance of the group."
Peter F. Drucker, 1909-2005
In Bewegung geraten
In den USA vermehrten sich 2016 auffallend Berichte über Umstellungen des Performance-Managements. In der Harvard Business Review(1) war in dramatisierender Form gar von "Revolution" die Rede. Bis anhin war die 1964 von GE eingeführte Praxis der Auftrennung in "Accountability" und " Development" der Standard. Zu Beginn der 1980er-Jahre unter dem damaligen CEO, J. Welch, hatte das Performance Management einen dezidiert "kompetitiven" Drall erhalten. Dieser seinerzeitige Mischkonzern war über Jahrzehnte das Referenzmodell für Großunternehmen in den USA, später auch in Deutschland.(2)
Als erste namhafte Firma hat bereits 2012 das Softwareunternehmen Adobe das Verfahren der jährlichen Leistungsbeurteilung abgeschafft.(3) Aus dem Kreis der globalen Beratungs- und Professional Service-Unternehmen machte Accenture(4) den von großer Publizität begleiteten Anfang damit. Es folgten die High-Tech-Unternehmen Netflix, Juniper, Dell, Microsoft, IBM; die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte und PricewaterhouseCoopers (PwC) und so verschiedene Unternehmen wie Gap, Lear, Merck, Cargill, Cigna. Es wird geschätzt, dass mittlerweise in den USA 15 % der Großunternehmen die jährliche Beurteilungsgespräche aufgegeben haben. Der Trend zur Totalabschaffung der jährlichen Appraisales hält an.
2015 machte Bosch mit der Abschaffung der individuellen Bonifizierung von sich reden.(5) Unauffällig hat sich dieses Stiftungsunternehmen vom Komponentenhersteller zum integrierten, global tätigen Technologieunternehmen gewandelt. Im Mittelpunkt steht nun die Vernetzung sensorisch ausgestatteter Komponenten und Geräte im Auto und im Haushalt, "Industrie 4.0", die mit einem stark zunehmendem Softwareanteil mit entsprechenden Verschiebungen in der Mitarbeiterstruktur und in enger Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche an gemeinsamen Projekten Erfolge aufweist.
Hinweise: In dieser Denkschrift werden Leistungsbeurteilung und Leistungsentgelt betrachtet. Die andere Seite des Performance-Managements, nämlich die persönliche Weiterentwicklung im Unternehmen, . Unter Leistungsentgelt wird die Vergütung des Managements subsumiert.
Der Begriff Performance-Management erscheinttautologisch, weil Management stets Leistung, Mehrwert, Wertschöpfung bezweckt.
Das Motto heißt jetzt: vernetzt arbeiten - und langfristig denken. Beim Leistungsentgelt fortan zählen deshalb die Ergebnisse der Sparte und des Gesamtunternehmens; der individuelle Teil ist herausgefallen mit der Begründung: "Motivieren Sie Menschen nur über monetär bewertete Ziele, erhalten sie am Ende nicht bessere, sondern sogar schlechtere Leistungen." ; so die Erfahrung und Beobachtung des Leiters der Bosch Geschäftsführung, Volkmar Denner.
Auch andere deutsche Unternehmen haben sich vom individualisierten Leistungsentgelt abgewandt: Boehringer, Commerzbank, Infineon, Lufthansa, SAP, sogar die Deutsche Bahn, die das traditionelle Silodenken aufbrechen und Kaminkarrieren beenden will.
Siemens hat die Entgeltmodalitäten in den letzten Jahren zwar flexibilisiert, hielt aber noch an der Dreiteilung von Individuell, Bereich, Unternehmen fest.(6) Doch es bahnt sich ein Wechsel an: Die bisherige Untergliederung der Senior-Positionen soll aufgehoben, die Zahl incentivierter Ziele erheblich reduziert werden und einige Ausdifferenzierungen entfallen. In Summe laufen diese Änderungen auf eine starke Vereinfachung hinaus und sind ein großer Schritt in Richtung "Ownership Culture".
Wie diese kurze Tour d' horizon zeigt, ist der Anfang der Umstellung gemacht. Aller Voraussicht nach werden in naher Zukunft viele Unternehmen dieser Richtung folgen.
Warum eine Neuorientierung
Viele große Unternehmen sind bis heute von einem mechanistischen Führungsverständnis geprägt. Die Stichworte dazu sind: Command & Control-System, Muster von Belohnung und Bestrafung, strenge Systematik und strikte Einheitlichkeit. In der Grundstruktur sind es Ausläufer des Scientific Managements von Frederick Winslow Taylor. Das Akkordlohn-Modell, bei dem die Mengenleistung sich unmittelbar im Lohn niederschlug, hat wegen der schwierigen Handhabung seit mehr als zwanzig Jahren weitgehend ausgedient.(7)
Beim Management erfuhr dieses mechanistische Modell mit der Ausbreitung des Shareholder-Value-Ansatzes an anderer Stelle neuen Auftrieb. Das eindimensionale, auf Kapitalisierungsgewinne fixierte System der Unternehmenssteuerung ist nämlich dem Akkordsystem verwandt, stark incentive-getrieben. Unterstellt wird, dass eine starke Kausalität zwischen Managementleistung und der eindimensionalen Zielsetzung der "Wertsteigerung" besteht und folgerichtig die Zielübereinstimmung des Managements mit der der Eigentümer/Aktionäre monetär untermauert werden soll. Zu dieser Prämisse stellte sich fast von selbst großes Einvernehmen zwischen Management, Aufsichtsorganen, Kapitalmarktvertretern ein, mit kräftiger Nachhilfe durch Business Schools und einschlägige Beratungsunternehmen.(8) Faktum ist, dass das Eigeninteresse des Managements an einer hohen variablen Entlohnung unaufhaltsam gewachsen ist. Die Möglichkeit, diese v. a. über niedrige Hürden vorteilhaft zu gestalten, und das kollektive Einverständnis der Managementwelt, waren günstige Voraussetzungen dafür.(9)
Ein wenig beachteter Auslöser für die überproportionale Steigerung der Vergütungen von Unternehmensleitungen war die 1993 in den USA eingeführte beschränkte steuerliche Abzugsfähigkeit der Festvergütung, die unverzüglich das Ausweichen auf große leistungsabhängige Anteile auslöste. In der Folge wurde der Leistungsbezug zu einem Grundmuster für das gesamte Management bis hin zu allen Angestellten/Arbeitern. Die zum Standard gewordene, hierarchiewärts stark ansteigende Variabilisierung vergrößerte den Bedarf an Nachweisen der Anspruchsberechtigung und beförderte das Geschäft der Compensation Specialists. Dass diese dem Auftrag vergebenden Top-Management besonders großzügige Begründungen und Lösungen lieferten, soll nicht unerwähnt bleiben.
Ein Blick zurück: Bis in die 1980er-Jahre war es zum Beispiel bei Siemens noch normal, jährliche "Gehaltslesungen" durchzuführen. Gehaltsraster und Rangstrukturen waren normiert, die Abstände relativ gering. Besondere Leistungen wurden über Sonderzahlungen anerkannt, Beförderungen in der Regel ein Mal jährlich vorgenommen. Die Vergütung des Managements (vom "Abteilungsbevollmächtigten bis zum Generalbevollmächtigten") spiegelte in mancher Hinsicht die Tarifwelt wider.(10) Es war ein einfaches, leicht verstehbares System.
Doch die Arbeitswelt mit ihrer stark produktionsorientierten Ausrichtung veränderte sich stark. In der jüngeren Vergangenheit wuchsen die wissensbasierten Funktionen, Geschäfte, Branchen überdurchschnittlich. Damit verbunden war die starke Zunahme an „Knowledge Workern“.(11) Auch der Dienstleistungssektor wuchs überproportional. Über das Ganze gesehen differenzierte sich die Arbeitswelt zusehends; sie wurde relativ agil, fluid, selbstbestimmter. Das Schlagwort dafür ist „Arbeitswelt 4.0“.
Die Arbeitswelt ist nunmehr wesentlich stärker differenziert. Angebot und Nachfrage sind, was die Qualifikation der Beschäftigten angeht, immer weniger ausgeglichen: In der zunehmend digitalisierten Welt mangelt es vor allem an IT-/Softwarespezialisten und Ingenieuren, was deren Wahlmöglichkeiten und die Mobilität bereits erheblich erhöht hat. Insbesondere in den USA wuchs der Anteil von Managementpositionen, die extern besetzt werden. Und nicht zuletzt, die jetzige "Generation Z" - das ist die Generation, die aktuell auf den Arbeitsmarkt strebt - wünscht mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeit, legt nachdrücklich mehr Wert auf Privatsphäre und Lebensqualität(12). Alle diese Entwicklungen zusammen drängen auf Anpassungen der Führungskultur. Ausgenommen von dieser Entwicklung sind indes viele Dienstleistungsgeschäfte, große Teile der Logistik, des Einzelhandels und anderer Bereiche. Die Aufspaltung in parallele Arbeitswelten zeichnet sich ab mit noch nicht absehbaren gesellschaftlichen Folgen. Das ist aber ein anders Thema.
Unbelastet von vergangener Praxis verfolgen die allesamt keine zwanzig Jahre alten Internet-Unternehmen, an erster Stelle die großen Player Google/Alphabet und Facebook, neue Wege der (Hochleistungs-)Kultur. Und diese Intermediäre werden immer mehr zu Referenzmodellen für verwandte, aber auch andere Unternehmen.
Bereits jetzt kann, plastisch ausgedrückt, von einem Übergang vom mechanischen Modell zu einem "organischen" Modell gesprochen werden. Dabei ist die Bandbreite der Lösungen erheblich; sie bewegen sich zwischen einer stark differenzierenden (Google) bis zu einer betont gemeinschaftlichen (Bosch).
Unstimmiges Performance-Management
Vor dem Hintergrund einer geänderten Arbeitswelt ist der traditionelle Performance-Management-Ansatz zu einem großen Teil dysfunktional. Da ist zuerst das Bewertungsgespräch (Appraisal), das die Leistung des Einzelnen in den Blick nimmt.
Als dysfunktional erweist sich auch die starke Betonung der Einzelleistung, die wie bereits erwähnt, im Zuge des Shareholder-Value an Bedeutung gewann. Ausgehend von dem mechanistischen Modell des Geschäftswertbeitrages wird mit mehr oder weniger Akribie versucht, die Leistung des Einzelnen zu isolieren und zu bewerten. Dass ein solches Unterfangen nicht einfach ist, erklärt sich selbst. Auch die persönliche Voreingenommenheit lässt sich nicht auf einfach rationale Weise ausschalten.
Ein weiteres dysfunktionales Element ist der bisherige jährliche Rhythmus. In einer schnelllebigen Geschäfts- und Arbeitswelt hat ein solches, zum außerordentlichen Ereignis stilisiertes Jahresgespräch etwas Anachronistisches an sich; es erinnert an die Vergabe von Schulzeugnissen. Mit den Bewertungsgesprächen ist jedoch für unwillige Manager der heilsame Zwang eingeführt, sich wenigstens einmal im Jahr ausführlicher mit den zugeordneten Managern/Mitarbeitern zu befassen, was einer Alibi- Lösung gleichkommt; das Führungsproblem ist nicht an der Wurzel angepackt.
Als problematisch hat sich das Finden und Einhalten einer Gleichverteilung gemäß der zugrundeliegenden "Glockenkurve" bzw. Gaußschen Verteilung erwiesen. Mit dem zu Beginn der 1980er-Jahre bei GE eingeführten Forced Rankings, also die Einteilung der Manager/Mitarbeiter in ein numerisches Raster bzw. in Leistungsklassen (übrigens in den USA noch von der Hälfte der Fortune 500 Unternehmen praktiziert), wurde eine starke Leistungsdifferenzierung der Mitarbeiter beabsichtigt.(13)
Die Erfahrung zeigt aber, dass die dafür notwendige Kalibrierung unzureichend gelungen ist. In Unternehmen wie Bosch und Siemens verschob sich die Glockenkurve in Richtung von 150% der Normalleistung, und dies sogar in geschäftlich wenig erfolgreichen Jahren.(14) De facto wird hier eine wohlwollende Bewertung sichtbar, die Rückschlüsse auf die Führungskultur zulässt.
Als schwerwiegender Nachteil hat sich der Aufwand herausgestellt, der mit dem Prozess mit seinen Schleifen und Abstimmungen anhaftet.(15) Beispielsweise liefen bei Adobe 40 Stunden pro Manager und Jahr auf, bei Deloitte summierte sich (in den USA) der jährliche Aufwand auf zwei Millionen Stunden. Was schwer wiegt: Die Hälfte der Manager war mit dem Nutzen höchst unzufrieden. Weitere damit zusammenhängende Kritikpunkte waren die Komplexität mit 10 und mehr Kriterien und der hohe Formalisierungsgrad. Im Allgemeinen wurde das Verfahren schlicht als zu bürokratisch empfunden.
Wie auch bei anderen Management-Prozessen und Tools kam es in jüngster Vergangenheit zu einer ständigen Perfektionierung. Daran hatten die anscheinend der Professionalisierung verpflichteten Performance-Beratungsfirmen großen Anteil. Die propagierten und implementierten Lösungen glichen sich immer mehr. Entwickelten die namhaften Unternehmen früher eigene Lösungen, so werden heutzutage in großer Regelmäßigkeit Beratungsunternehmen mit ihrem Tool-Portfolio beigezogen. Die angeblichen Vorteile von deren Standardlösungen, nämlich Professionalität, Einheitlichkeit und Systematik, werden aber den Ansprüchen an ein funktionstüchtiges, identitätsstärkendes System immer weniger gerecht. In den meisten Fällen fand eine Verkomplizierung statt.
Drei fragwürdige Konzepte
Instrumentelles Menschenbild
Dem Muster von Belohnen und Bestrafen bzw. von "Zuckerbrot und Peitsche" liegt ein Dressur-Schema zugrunde. Dieses übernimmt das Performance Management implizit. In der Theorie X(16) wird davon ausgegangen, dass der Mensch von Natur aus Arbeit vermeidet - zumindest ungern macht. Im Wesentlichen ist dies ein tayloristischer und ein für Mitglieder einer "Wissensgesellschaft" ungeeigneter Ansatz. Aber auch der Shareholder Value-Ansatz läuft im Kern auf ein einseitig monetäres individualistisches Anreiz-System hinaus, das sich mit einer Innovationskultur und dem dafür notwendigen Kooperationsverhalten schlecht verträgt. Anders gesagt: Starke Individualisierung von Leistung und eine "Carrot and Stick"-Einstellung sind in einer "Unternehmensgemeinschaft" in aller Regel kontraproduktiv.
Unternehmen bevorzugen Menschen vom Typ X: Dieser ist intrinsisch motiviert und folglich bereit, sich für sinnvolle Aufgaben einzusetzen. Arbeit wird von ihm als Quelle der Zufriedenheit empfunden, für die Qualität seiner Arbeit fühlt er sich verantwortlich und hat Freude an eigener Leistung. Für diesen erwünschten Typus ist eine Führungshaltung geeignet, die auf Anerkennung und vor allem auf die Entfaltung der Fähigkeiten baut - und nicht primär auf monetäre Belohnung zielt. Dieser selbstmotivierte Typus hat eine natürliche Distanz zur traditionellen Führungskultur. Wer Verantwortung übernimmt - im Unterschied zu einer übertragenen - ist am gemeinsamen Erfolg interessiert. Ausgeprägt individualistische Schemata sind dafür wenig geeignet.
"War for Talents"
Diese Anfang der 1990er-Jahre von McKinsey gehypte Praxis der Auswahl von Führungspersönlichkeiten nach Eigenschaften stellte sich bald als wenig nützlich heraus (übrigens wie das Tom Peters und Robert H. Waterman in "Search of Excellence" auf Basis von Interviews elaborierte Management-Modell). Im Wesentlichen wurde eine scheinbare Evidenz zur Handlungsanleitung gemacht und zur Erfolgsformel stilisiert. Vor allem von Strategieberatungen wurde das Prinzip "Leadership" anstelle von Management und von "Leaders" anstelle von Managern favorisiert.(17) Übrigens: Peter Drucker vertrat wohlbegründet den Standpunkt, dass der Manager als Individuum ein Mitarbeiter ist und nur als Leiter von Unternehmen/Insititutionen/Organisationen einer Leadership Group angehören.(18)
In dem 1997 im Observer erschienen Artikel "The War for Talent was a War on Common Sense"(19) wurde dieser Ansatz als eigennützig und gescheitert abgetan. Der renommierte Professor for Leadership, Jeffrey Pfeffer, schätzte den Ansatz so ein: "Hazardous to Your Organization. Competitive, zero-sum dynamics that make internal learning and knowledge transfer difficult and create an attitude of arrogance instead of wisdom".
Normalverteilung und Pareto-Verhältnis
In den 1980er-Jahren kam die These auf, dass Leistungsvermögen und -bereitschaft von Beschäftigten der Normalverteilung unterliegen (nach Carl Friedrich Gauß); das Abbild dafür ist die bekannte Glockenkurve mit der großen Mitte und beidseitig auslaufend. Um zu einer Klassifizierung zu kommen, wurde die Kurve in der Regel in fünf Sektoren aufgeteilt, auf die Belegschaft angewandt: Minder-, Spitzenleister und mehr oder weniger durchschnittliche Leistungserbringer. Das Ergebnis führt vordergründig zu einer moderaten Differenzierung, hat aber einschneidende Konsequenzen für die Erstgenannten.
Entsprechend dem Schema des "Forced Rankings" sollen Manager ihre schwachen Mitarbeiter (in der Regel 10-15%) "loswerden" und die ausgezeichneten fördern. Das Trügerische ist, dass diese dem Management aufgezwungene Klassifizierung scheinbar objektiv und über das gesamte Unternehmen vergleichbar ist. Doch es kann zu ungleichgewichtigen Bewertungen kommen, weil alle organisatorischen Einheiten - unabhängig ob mehr oder weniger erfolgreich - dem gleichen Schema folgen. Schwer zu verstehen ist, dass erst nach zwanzig und mehr Jahren die schädlichen Langzeitwirkungen dieses Verfahrens offenbar wurden: der ständige innerbetriebliche Wettbewerb, die unterschätzte Subjektivität der Einteilung, die verdeckte "Peitsche" des Managements, die höhere, erzwungene Fluktuation und nicht zuletzt eine verbreitete Angst. Dass eine solche Atmosphäre Kooperation unterbindet und Kreativität schwächt, ist evident. Was folgt daraus? Wettbewerb ist nach außen angesagt, nicht auch noch intern zu fördern.(20)
Die schon lange in der Software-Entwicklung gemachte Beobachtung, dass die Leistungsfähigkeit zwischen exzellenten und durchschnittlichen Programmierern weit auseinander liegt (z.B. beim Vier- bis Zehnfachen), legte nahe, dass die Pareto-Kurve die tatsächliche Leistungsverteilung am besten abbildet. Je weniger manuell und repetitiv Tätigkeiten sind, desto größer können die Unterschiede beim Können sein. Unternehmen, die solche Leistungsunterschiede belohnen, bezahlen für gleichwertige Tätigkeit Spitzenkräften ein Mehrfaches der Durchschnittsvergütung; auch junge Mitarbeiter können in dieser Welt der Vergütung auch mehr verdienen als Senior Manager. Alphabet/Google hat diese außerordentliche Differenzierung schon früh praktiziert, um Spitzenkräfte (Lock-in) an sich zu binden. Es liegt auf der Hand, dass ein solches "darwinistisches" Leistungsprinzip nur von besonders attraktiven Unternehmern in einem besonders wettbewerblichen, globalen Umfeld auf Zeit aufrecht erhalten werden kann. Inwieweit dieses, auf viele ehrgeizige Jugendliche anziehende und von Konkurrenten gefürchtete Modell, gemeinwohlfördernd ist, ist fraglich.
Worauf es ankommt
Unternehmen sind Leistungsgemeinschaften; anders ausgedrückt "produktive, soziale Systeme".(22) Der Einzelne ist Mitglied einer Funktionsgemeinschaft. Bei der Führung (bzw. jedweder Form von Performance-Management) ist von dieser Vorstellung auszugehen und die Stimmigkeit der abgeleiteten Führungssysteme/-elemente für das jeweilige Unternehmen anzustreben.
Zu den Grundsätzen für die Gestaltung von "Entlohnung und Entfaltung" im Einzelnen.
Erstens: Manager/Mitarbeiter sind mehr als nur Funktionsträger.
Der Mensch ist nicht beliebig nach Rollen aufteilbar. Die Einengung auf seine unmittelbare Funktion im Unternehmen ist nicht wesensgemäß. In diesem Zusammenhang ist vielsagend, wie von Menschen in Unternehmen gesprochen wird: "Humanressourcen" und x-beliebige "Köpfe" oder Personen oder eben von Mitarbeitern oder von People Resources (im Unterschied zu dem bedenklichen Begriff Human Resources).(23) In der Sprache kommen Würde und Wert der Mitarbeiter zum Ausdruck. Darum ist auf den Sprachgebrauch außerhalb von Broschüren, Webauftritten und Events zu achten. Auch eine gewisse Personalisierung im Umgang ist angebracht, weil auf diese Weise die Wertschätzung des Einzelnen zum Ausdruck kommt.
Nicht nur für Unternehmen gilt die grundlegende Einsicht, dass zum „guten“ Erreichen der Ziele auf Dauer Vertrauen nötig ist. "Leute soll man machen lassen", vorausgesetzt, dass man gute Leute hat. Mikromanagement und dauerndes Messen und Bewerten unterminieren Engagement, Kreativität und Verantwortung. Stets sinnvoll ist die Beschränkung auf wenige anspruchsvolle Ziele und wenige, fundierte Führungsgrößen. Um die Kräfte des Einzelnen zur Entfaltung zu bringen, ist eine optimistische Einstellung zum Zweck und zur Zukunft des Unternehmens notwendig. Wer den Sinn seiner Arbeit im Unternehmen internalisiert hat, ist nach vielen Untersuchungen im Besitz der sprichwörtlichen größeren Hälfte dessen, was Motivation ausmacht; dieser bedarf keiner komplizierten Anreiz-Systeme. Weil es natürlich auch wenig motivierte Leute gibt, ist ein angemessener Anreiz für diese Personen notwendig. Problematisch ist allerdings, wenn die Schwachmotivierten und Unzufriedenen zum Ausgangspunkt für die Gestaltung der Führungselemente genommen werden.
Zweitens: Das Grundbedürfnis nach Anerkennung, Entwicklung und Zusammenarbeit angemessen erfüllen.
Von Ausnahmen abgesehen wollen Mitarbeiter Leistungen gewürdigt wissen, nicht nur mit Geld, sondern durch Anerkennung im direkten Kontakt und Lob vor anderen. Die sichtbare Anerkennung z.B. bei der Übergabe von Urkunden und der Aushändigung von Prämien, durch lobende Erwähnung in internen und externen Journalen/Blogs zählt viel. Dass außergewöhnliche Leistungen - aber nur solche - besonders belohnt gehören, ist eine Selbstverständlichkeit. Sonderzahlungen sind dafür das geeignete Mittel. Große und nachhaltige Wirkung haben alle die Leistungsbereitschaft stützenden Maßnahmen, indem der Betreffende merkt, dass seine besonderen Fähigkeiten erkannt, genutzt und gefördert werden.
Traditionsunternehmen, zunehmend auch junge Unternehmen, die im Wettbewerb um „gute Leute“ auf dem Arbeitsmarkt stehen, wissen um den Wert von Verbundenheit des Einzelnen mit dem Unternehmen, insbesondere den der Zugehörigkeit zu Gruppen, Abteilungen und Bereichen. Erinnert sei an den Stolz für ein angesehenes Unternehmen zu arbeiten, der im "ich arbeite beim Bosch/für Siemens" ausgedrückt wurde. Auch in Kalifornien trifft man auf den berechtigten Stolz, für ein Best Place to Work- Unternehmen zu arbeiten.
Drittens: Gerechtigkeit als "Hygiene-Faktor" beachten.
Empfundene Ungerechtigkeit ist auf Dauer für die Motivation schädlich. Anerkannt gut geführte Unternehmen legen großen Wert auf austarierte Unterschiede bei der Vergütung. Der große Managementlehrer Peter Drucker hat schon zu Beginn der 1970er-Jahre auf den kritischen Faktor der richtigen und gerechten Entlohnung hingewiesen. Er vermerkte dazu, dass es keine allseits zufriedenstellenden Lösungen geben kann; in seinen Worten: "The best possible compensation plan is of necessity a compromise among the various functions and meanings of compensation":(24) In diesem Zusammenhang wies Drucker auf einen wesentlichen Aspekt hin, dass nämlich die Unterschiede zwischen Ebenen und innerhalb der Ebenen nicht zu groß sein sollten; nach den damaligen Vorstellungen nicht mehr als 30%, weil sonst der innere Zusammenhalt der Betriebsgemeinschaft beeinträchtigt sei.(25) Auch wenn in der individualistischen Gesellschaft von heute das Maß ein anderes ist, hat der Grundsatz der angemessenen Proportionalität weiterhin Bestand. Das Vergütungssystem im Lot zu halten ist eine wichtige Aufgabe der Unternehmensleitung, zumal in global operierenden Unternehmen auf kulturelle Befindlichkeiten, Branchen- und regionale Unterschiede Rücksicht zu nehmen ist.
In jüngerer Vergangenheit kommt dem Success sharing, der Beteiligung aller am Erfolg (und am Misserfolg) des Unternehmens, wieder eine größere Bedeutung zu. Die überschießende Individualisierung wird voraussichtlich eine notwendige Korrektur erfahren. Ein Beispiel dafür ist Porsche, wo jüngst alle Unternehmensangehörige dieselbe Prämie erhielten.
Viertens: Leistungskultur umfassend pflegen.
Das Führungsverständnis muss vom Grundgedanken geleitet sein: Wie lassen sich Leute gewinnen und versammeln, um den gemeinsamen herausfordernden Auftrag, die Mission, zu erfüllen. Da geht es darum, dass der Einzelne sich mit den Unternehmens-/Geschäftszielen identifiziert und dass das "Wir"-Gefühl bewahrt ist. In einer dauerhaften Form kann der Auftrag heißen, sich wie ein Eigentümer an der Weiterentwicklung des Unternehmens zu beteiligen, sich um seine Gegenwart und Zukunft zu sorgen - und eben nicht nur eigennützig handeln.
Förderung bzw. Entwicklung verlangt eine intensivere Beschäftigung mit den einzelnen Managern/Mitarbeitern. Dazu gehören ein auf die Person abgestimmtes Feedback und vermehrtes Coaching; kurz: coaching over ratings and rankings. Für diese Aufgabe müssen Manager auf ihre Eignung ausgewählt und befähigt werden. Das ist selbstredend eine Daueraufgabe und lässt sich nicht mit Kursen und ein paar Workshops erledigen.
Aus der vielfältigen Erfahrung mit Entlohnungs-und Fördergesprächen ergibt sich, dass jeder der beiden Prozesse einen spezifischen Zweck erfüllt und daher unbedingt voneinander getrennt werden sollte, schlägt doch das Pendel sonst Richtung Entlohnung aus. Bei häufigen begleitenden Feedbacks erledigt sich das frühere Jahresgespräch weitgehend.
Unternehmen in wissensbasierten bzw. anspruchsvollen Branchen befinden sich in einer Arbeitswelt, die mehr "Werkstatt“-Charakter hat, denn der einer "Fabrik" entspricht. Das bedeutet, dass die Strukturen flacher sind, die Arbeitsweise mehr projektorientiert und abwechslungsreicher, der Umgang direkter und informeller ist.(26) Die Einrichtung kleiner, gemischter, überschaubarer Einheiten erleichtert die Arbeit in Gruppen und schafft eine bessere Transparenz der Leistung.
Gefragt ist mehr denn je das Vorbild des "vorgesetzten" Coaches und Managers, der jeden Tag sein Bestes gibt, ohne ständige Rückversicherung und Seitenblicke. Großer Wert sollte darauf gelegt werden, dass Manager dieser Aufgabe bereitwillig nachkommen und Leistung richtig würdigen können. Je besser Manager dazu fähig und willig sind, desto weniger sind Ersatzprozesse und spezielle Tools notwendig. Überhaupt geht darum, mehr in die "führenden" bzw. coachenden Personen zu investieren, sie für ihre Aufgabe vorzubereiten und bei Bedarf unkomplizierte Hilfsstellung zu geben.(27)
Fünftens: Systeme einfach gestalten.
Akzeptanz ist der Schlüsselfaktor. Akzeptanz hängt eng mit Einfachheit und Kommunikation zusammen. Weil eine "arithmetische" Gerechtigkeit illusorisch ist, geht es darum, für die Unternehmensgemeinschaft akzeptable Lösungen zu finden und diese fallweise neu zu justieren. Eine wichtige Voraussetzung sind einfache Führungsprozesse, was wiederum eine leicht überschaubare Zahl von Programmen und Projekten bedingt. Die vielfach gewucherten, modischen Einzelansätze und -disziplinen (beispielweise Management von "Talent, Competence, Performance") können getrost übergangen werden. In jedem Fall hat das Management eine gestalterische, integrative Rolle wahrzunehmen.
Schließlich noch eine provokative Forderung: Auf "Performance"-Berater(28,29) sollte weitgehend verzichtet werden, weil sie häufig Komplexität und Konformität erzeugen; und in der Mehrzahl bisher in ihrer eigenen Leistungs-/ Führungskultur wenig überzeugend und nicht richtungsweisend waren. Anderswo entwickelte Prozesse und Tools werden von Business Schools und Referenzunternehmen übernommen, abgewandelt, verfeinert, neu verpackt und teuer vermarktet. Überdies ist die verwendete Sprache meist synthetisch-professionell und nicht eine für den Umgang mit Menschen.(30,31,32)
Unternehmensleitungen sind Im Sinne des strapazierten Begriffes Nachhaltigkeit gut beraten, auf diesem langfristig wirksamen Teil der Führungs-/Leistungskultur große Aufmerksamkeit zu verwenden. Dagegen kann die stetig gewachsene Kapitalmarktkommunikation mit weniger Beflissenheit und Zeit auskommen. CEOs sollten im Widerspruch zum Gerede von der "wichtigsten Ressource" nicht dauernd das Kapital den Mitarbeitern vorziehen.
Statt über Tools und Apps(33) zu verkehren, muss wieder mehr geredet werden. Face to Face –Kommunikation muss dringend wiederbelebt zu werden. Aufschlussreich ist, dass Adobe in diesem personalen Bereich keine technisch smarten Apps verwendet. Neuerungsbewusste Unternehmen wie Google und Adobe entwickeln die zu ihnen passenden Entgeltsysteme und Prozesse der Führungskräfteentwicklung selbst. Deshalb erscheinen solche Unternehmen profilierter und selbstbewusster in der Anwerbung von Personal/Managern.
Abschliessend
Die Vergütung des Managements ist eine diffizile Angelegenheit, weil es um mehr als um Geld geht. Im Entgelt ist vieles kondensiert: die fundamentale Ausrichtung des Managements, seine Wertschätzung und die seiner Mitglieder - und das im Verhältnis zueinander und auch im Rahmen aller Mitarbeiter eines Unternehmens. Mit dem Entgelt wird zu einem maßgeblichen Teil die Stellung des einzelnen Managers und Anerkennung vermittelt. Und damit sind Vorstellungen und Gefühle von Fairness, Gerechtigkeit und Teilhabe im Spiel, worauf es keine rationalen, allgemein gültigen Antworten gibt. Gefragt ist die Unternehmensleitung, eine gute Lösung zu finden.
Was immer gilt und deshalb wiederholt gesagt sein soll: Leistungsentgelt und persönliche Entwicklung müssen mit der Führungs-/Leistungskultur eines Unternehmens stimmig sein. Diese Einsicht impliziert maßgeschneiderte Lösungen. Ein Beispiel: Die bei Siemens propagierte Eigentümerkultur verlangt danach, die Verantwortung des Einzelnen zu stärken und die Bindung an das Unternehmen zu fördern. Daher ist es nur konsequent, die Manager-/ Mitarbeiterbeteiligung in jeder Hinsicht zu stärken und die komplizierten Prozesse zu vereinfachen.(34) Auch die Aufforderung, selbstbewusst Vorschläge zu machen und berechtigte Kritik zu üben, gehört zu einem ehrlichen Eigentümer-Verständnis. Ein anderer Fall: In einer Holdingstruktur werden im Allgemeinen Geschäfte nach finanziellen Kennzahlen zumeist kurzfristig gesteuert, im Unterschied zu einem integrierten Technologieunternehmen, das längerfristig mit einem klaren Schwerpunkt auf Innovation geführt wird. Daraus ergeben sich unterschiedliche Lösungen bei Entgelt und Weiterentwicklung. Von hybriden Modellen, also einem Mix verschiedener Ausrichtungen, ist abzusehen.
Mit Bezug auf Gruppen- und Situationsgerechtigkeit hat die Entgeltregelung eine große Wirkung.(35) Entsteht der Vorwurf fehlender Glaubwürdigkeit, weil man das Eine predigt und was anderes macht, ist das fatal, wie die jüngsten Vorkommnisse von VW zeigen.
Zu beachten ist, dass die Wirkung von Geld auf die Motivation von Managern notorisch, um nicht zu sagen sträflich überschätzt wird; die Wirkung von Geld lässt nachweislich rasch nach. Die lange Erfahrung, dass man Mitarbeiter zwar mit Geld locken kann, sie aber nicht mit Gehaltssteigerungen und Boni dauerhaft zufrieden stellen kann, hat immer noch seine Gültigkeit.
Es hat sich auch gezeigt, dass der Aufwand für hypertrophe Leistungsmodelle und eine Vielzahl von Tools nicht lohnt; sie verlangen einen großen Einführungsaufwand und die Anwender setzen diese Werkzeuge in der Regel wenig überzeugt ein. Vielmehr sollte in die Manager "investiert" werden, sie befähigen und motivieren, einen guten Umgang mit ihren Mitarbeitern und untereinander zu pflegen. Schließlich gilt immer, dass Prozesse und Tools den Menschen dienen sollen und nicht umgekehrt.
Wichtig ist und bleibt der Anspruch, "gute" Arbeit" zu bieten. Die als beste Arbeitgeber, als Best Places to Work gelobten Unternehmen beweisen, dass es auf ein stimmiges und natürlich auch lukratives Paket von Entfaltungsmöglichkeiten, Entgelt, Leistungen und ein gutes Arbeitsklima ankommt. Vor dem Hintergrund des eingetretenen und sich vergrößernden Mangels an qualifiziertem Personal und der Dynamik fortschreitender Digitalisierung ist es im eigenen Interesse, eine durchdachte firmenspezifische Lösung zu haben, die alleinstellig ist. Versatzstücke oder Kopien sind immer eine zweitbeste oder gar schlechte Lösung. Bei einer Umstellung der Führungs-/Leistungskultur ist ein behutsames Vorgehen angeraten. Denn Menschen lassen sich nun mal nicht einfach umschalten.
Nach der ausgeprägten Kultivierung individueller Leistung in den letzten dreißig Jahren zeichnet sich die Hinwendung zu einer, das Gemeinsame betonenden Führungskultur ab.
Manfred Hoefle, 14. Mai 2017
LITERATUR
- Brynjolfsson, Eric: McAffe, Andrew: The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird; Plassen Verlag, 2014.
- Drucker, Peter, F.: Management Tasks-Responsibilites-Practices, Harper & row, New York, et.a., 1974.
- Hoefle, Manfred: Managerismus; Unternehmensführung in Not, Wiley-VCH, Weinheim, 2010.
- Pfeffer, Jeffrey; Sutton, Robert I: Hard Facts, Dangerous Half-Truths And Total Nonsense: Profiting From Evidence-Based Management; Harvard Business Review; March 1, 2006.
- O’Reilly, Charles A.; Pfeffer, Jeffrey: Hidden Value: How Great Companies Achieve Extraordinary Results with Ordinary People; Harvard Business School Press, Boston, August 1, 2000.
Zeitschriften /Zeitungen/Links
Economist, FAZ, Forbes, Fortune, Harvard Business Review, Manager Magazin, McKinsey Quarterly, Observer, Quartz (https://qz.com), Washington Post, WorldatWork, Comp&Ben.
Der Verfasser dankt Klaus Demleitner und Armin Sorg für wertvolle Anregungen.
ANHANG Firmenbeispiele
Adobe
Das 1982 in Kalifornien gegründete Softwareunternehmen mit 16 Tausend Mitarbeitern hat 2012 sein Geschäft von einem Kauf- auf ein Abonnement-Modell umgestellt. Der Produktzyklus von 18-24 Monaten wurde auf eine kontinuierliche Versionspflege geändert. Damit wurde neue Dynamik des Unternehmens eingeleitet.
Die jährliche Leistungsbewertung bestand früher darin, zuerst schriftliche Feedbacks von Kollegen bis Kunden einzuholen, diese dann durch das Management zu "raten und ranken", d.h. in Leistungsklassen einzuordnen. Die Manager erstellten dann ein Performance Summary, das mit den Mitarbeitern besprochen wurde. Danach erfolgten im Rahmen vorgegebener Budgets Gehaltsanpassungen, die von den Mitarbeitern kommentiert werden konnten und ggfs. zu einem neuen Abstimmungszyklus führten.
Dieser langwierige Prozess gab immer wieder Anlass zu Kritik und zu Modifikationen. Nach einer längeren frustrierenden Phase kam die Unternehmensleitung zur Überzeugung, dass nur ein radikaler Umbau des Performance-Managements weiterhilft. In kurzer Zeit entwarf ein multifunktionales Team den neuen, sogenannten "Check-in"-Prozess. Dieser beginnt mit einer schriftlichen Abfrage der Erwartungen/ Ziele zu Beginn des Jahres; diese sollen in der Regel in vierteljährlichen Gesprächen formlos durchgesprochen werden. Feedbacks werden laufend gegeben, vor allem zum Abschluss von Projekten. Es bestehen keine Vorgaben zu Terminen, Zeitbedarf und der Weise, wie Feedbacks gegeben bzw. Reviews abgehalten werden. Nachdem der Rahmen für das Leistungsentgelt und Aktienzuteilung bekannt ist, regelt der Manager nach bestem Wissen und Gewissen den einzelnen Fall.
Wichtig für das Funktionieren des neuen Prozesses ist die Unterstützung durch das "People Resource-Team". Von ihm werden Manager beraten, wie sie das "Feedbacking " durchführen sollen. Allen Managern stehen Muster und Videos zur Verfügung, es gibt ein Trainingsprogramm.
Großer Wert wird darauf gelegt, dass alle Manager die Führungsaufgabe auch "können", dass sie dazu ausreichend befähigt und ertüchtigt sind. Contributors, das sind meist technische Spezialisten, denen die Mitarbeiterbetreuung nicht liegt, haben die Möglichkeit, sich über die Fachlaufbahn weiter zu entwickeln. Ausnahmslos sind alle "Adobees" aufgefordert, sich um ihr Vorwärtskommen selbst zu kümmern. Beförderungen erfolgen während des ganzen Jahres. Mitarbeiter mit schwacher Leistung erhalten kurzfristige Ziele gesetzt, deren Erfüllung dokumentiert wird. Wie auch bei allen großen Änderungen ist die Unterstützung durch die Unternehmensleitung und das Vormachen durch Senior Managers unverzichtbar; die nicht wenigen, extern rekrutierten Manager werden intensiv zur Einhaltung des Prozesses angeleitet.
Nach vier Jahren Erfahrung mit dem Check-in-Prozess ist nach eigenen Angaben überaus positiv. Die stärkere Differenzierung im obersten und untersten Leistungsbereich war vorteilhaft. Die Unternehmen ist auf natürliche Weise für Feedbacks, das Geben und Nehmen, sensibilisiert. Als wertvoll hat sich die bewusstere und selbstverständliche persönliche Interaktion erwiesen. Hilfreich ist das häufig verwendete Web Conferencing-Tool . Dagegen haben sich die meisten IT-Process-Tools erübrigt. Von einigen lokalen Entsprechungen abgesehen ist der Prozess global installiert. Auf dem Bewerbermarkt hat sich die neue Führungs-/Leistungskultur als Alleinstellungsmerkmal von Adobe erwiesen. Aus Abstand gesehen, besteht die grundlegende Änderung darin, dass Manager befähigt und ermächtigt werden, sich mehr und unmittelbarer mit "ihren Leuten" zu beschäftigen, damit eine gute Gesamtleistung erzielt wird.
Wesentliche Quelle: "Death to the Performance Review: How Adobe Reinvented Performance Management Transformed Its Business". (worldatwork.org 2016)
Google/Alphabet
Bereits zum sechsten Mal stand die als Suchmaschinen-Provider gestartete und in den letzten 10 Jahren zum Big-Data Datenkonzern gewandelte Technologieholding an erster Stelle im Fortune-Ranking der "Best Companies to Work For".
Google/Alphabet verfolgt mit Akribie und Nachdruck das Prinzip des "Hiring the best". Geführt wird stark zielorientiert, nach "Objectives and Key Results" (OKRs), einer Systematik, die von Intel in Grundsatz übernommen wurde. Das Leistungsklima und die Freude am Experimentieren sind zu einer bewunderten Praxis geworden. Monatlich werden Performance Check-ins abgehalten.
Die ganze Organisation ist auf Hochleistung getrimmt. Die Bandbreite bei Vergütungen (Gehalt und Boni) ist außerordentlich breit; das kann bei vergleichbaren Jobs bis zum Vierfachen betragen. Mitarbeiter werden nach fünf Klassen bewertet ("superb" bis zu "needs improvement"). Auf Potentialentfaltung wird sehr großer Wert gelegt. Dazu eingesetzt werden on the job-coaching und 360-Grad Feedbacks. Die Weiterbildung erfolgt in Peer to Peer-Konstellation in und externen Trainings. Gehaltsthemen werden stets von Gesprächen zur Weiterentwicklung getrennt behandelt.
Jährlich wird das "Googlegeist"-Engagement-Survey durchgeführt, um festzustellen, ob und wie die ursprünglichen Werte gelebt werden.
Nach eigenen Angaben ist die grundsätzlich positive Einstellung zu Menschen für Google/Alphabet kennzeichnend. Mitarbeiter sind angehalten, eine positive, leistungsbetonte Stimmung auszustrahlen und zu verbreiten. Die breit kolportierten Sonderleistungen (z.B. Luxusbus nach und von San Francisco, Wäscheservice, kostenlose hochwertige Verköstigung) dienen dazu, dass sich Mitarbeiter wohlfühlen und sich auf die Arbeit konzentrieren können. Die sogenannten "Jerks" sind wohldurchdacht: So beruht die großzügige Hilfe bei persönlichen Schicksalsschlägen auf der Überlegung, dass in solchen Situationen schnelle Hilfe besonders geschätzt wird - und die Ereignisse eher selten sind.
Die neun Führungsprinzipien und –praktiken lassen sich so zusammenfassen: 1. Sinn stiften, 2. Den Mitarbeitern vertrauen, 3. Mitarbeiter einstellen, die besser sind als man selbst, 4. Entwicklung und Leistung ständig fördern, 5. Die besten Mitarbeiter zu Trainern machen, 6. Sparsam und großzügig sein (z.B. in wichtigen persönlichen Situationen), 7. Bewusst ungleich entlohnen (mit Boni, Aktienoptionen und Anerkennung), 8. Impulse geben (bedeutet positive Momente vermitteln, aufeinander zugehen), 9. Wieder von vorne anfangen (dauernde Verbesserung betreiben).
Das 1998 als Spin-off der Stanford-University gegründete Unternehmen gilt seit etwa 10 Jahren als Role Model für die Internet-Branche. Es ist ein Hot Spot für hochtalentierte und ehrgeizige junge Leute aus der ganzen Welt, die sich meist auf Zeit diesem Unternehmen voll verschreiben. Der Job wird zum ständigen Ansporn, sich an herausfordernde Aufgaben zu wagen, sich zu messen und zu wachsen. Sicher ist, dass eine solche Leistungskultur außerhalb des besonderen Mikroklimas des Silicon Valley's schwer zu verwirklichen ist, - auch nicht adäquat wäre. Versucht werden sollte, die Ausrichtung und die Stimmigkeit des Modells zu kapieren. Elemente „out of context“ kopieren, wie es manche Unternehmen nach einer "Valley Tour" machen oder so beraten werden, ist bestimmt nicht zielführend.
Wesentliche Quelle: Bock, Laszlo (2015-04-07). Work Rules!: Insights from Inside Google That Will Transform How You Live and Lead; Grand Central Publishing/Hachette Group, New York; NY; 2015.
ANMERKUNGEN
(1) The Performance Management Revolution (Peter Capelli and Anna Tavisyt; in: Harvard Business Review, Oct. 2016, pp. 58-67).
(2) Namentlich Siemens und Daimler. Zu Umwandlung von GE siehe Denkzettel 42 "General Electric (GE): zurück zum Kern."
(3) Den Anfang machte ein Jahr zuvor Kelly Services, ein amerikanischer Personaldienstleister.
(4) Ausgerechnet dieses 330 Tausend Mitarbeiter (in 120 Ländern) zählende Unternehmen mit dem Slogan: "High Performance - Delivered". Bei dieser Umstellung wurde von einem "blast of common sense" gesprochen. Bemerkenswert ist das offenkundig gewordene Problem der Übergröße von Accenture. In den Worten des CEO Pierre Nanterme heißt es: "So managing size is an issue. I am personally working a lot on building more organizational agility into the giant. That's probably the No. 1 challenge." (The Washington Post, July 21, 2015).
(5) v.a. FAZ 27.12.2016: “Egotrips kommen aus der Mode." und 14/15. Jan. 2017: "Einzelkämpfer gehen leer aus.". Erwähnenswert ist, dass Bosch das neue Entgeltsystem selbst entwickelte, sich aber beim Roll-out (20 Tausend Führungs- und Fachkräfte) und der IT-Integration Unterstützung von einer Beratungsfirma holte.
(6) Das galt insbesondere für das Senior-Management (GPL4) hinsichtlich Bandbreite von Bonuszahlungen und Stock Awards. Typisch für das mit Tower Watson abgestimmte Modell ist die mit durchschnittlich 10 Zielen (davon sechs individuelle),
(7) Die in vielen Branchen üblichen Prämien (bzw. Provisionen) für Vertriebsleute haben eine lange Tradition.
(8) Die theoretische Basis ist das zunehmend umstrittenen umstrittene Principal-Agent-Theorem.
(9) Gemeinhin als Managerismus bezeichnet; siehe dazu insbesondere die Denkschrift Nr. 10
(10) Der wesentliche Unterschied war der noch hierarchieaufwärts steigende variable Leistungsanteil.
(11) Ein Ausdruck, den der Managementlehrer Peter Drucker bereits 1957 prägte. Hellsichtig ging er von einer großen Zunahme der Anzahl der Knowledge Worker aus, wodurch Arbeitswelt und Anforderungen an die Führung sich stark verändern sollten. (siehe Drucker, P. F. The Landmarks of Tomorrow New York: Harper and Row, 1959.)
(12) Im Unterschied zu y ("Why"-Generation-20-35 Jährige), für die Vermischung von Life and Work Balance normal war.
(13) Proponent dieses Verfahrens war der Langzeit-CEO von GE, Jack Welch, der es für zweckdienlich hielt, sich von den 10 % "Minderleistern" des Jahres zu trennen. In diesem Zusammenhang ist an die ehemaligen, sich "tough" gebenden CEOs von Daimler und Infineon, Jürgen Schrempp und Ulrich Schumacher, zu erinnern, die diese Praktik zu kopieren versuchten.
(14) Beispiel Bosch: Die Mehrheit der Manager erreichte zeitweilig eine persönliche Zielerfüllung von 160%, wenige erreichten nur 100 Prozent. Bei Siemens war 2015 eine Rückstufung ("Forced Calibration") notwendig, die vorübergehend für Unmut sorgte. Im Übrigen ist bei den Abiturnoten eine in vielen Bundesländern vergleichbare Verschiebung hin zu besten/guten Noten festzustellen.
(15) Beispiel Deloitte: 2 Mio. Stunden für 65.000 Beschäftigte (USA) entspricht rund 200 Mio USD; Bei Adobe entsprach der Gesamtaufwand zuletzt 40 Vollzeitbeschäftigten.
(16) Siehe Douglas M. McGregor: "The Human Side of Enterprise", New York, McGraw-Hill, 1960, auf Deutsch: Der Mensch im Unternehmen; Econ, Berlin, 1970.
(17) Die Begriffsänderung galt unter Kenner der Beraterszene als smartes Verkaufsargument. Für eine Studie mit "Leadership" in Titel und Text soll beträchtlich mehr verlangt werden können.
(18) Siehe dazu: Leadership Group but Not Leaders (Drucker, Peter, F.: Management, p. 368.
(19) Duff McDonald: McKinsey's Dirty War: Bogus 'War for Talent' (11/´5/2013). Danach waren von 27 Unternehmen nur 7 einigermaßen dauerhaft erfolgreich. Nicht von ungefähr wurde auf die Analogie zu "In Search of Excellence" verwiesen. Auch dort wurde die Methode des selbstbestätigenden Falles angewendet.
(20) Eigentlich eine offensichtliche Erkenntnis, der wieder von J. Welch vehement vertretene Shareholder-Value-Ansatz, der später von ihm infrage gestellt wurde. Auf die zweifelhafte Rolle dieser Management-Ikone wurde unter www.managerismus früh und wiederholt hingewiesen.
(21) Das nach Vilfredo Pareto (1848-1923) benannte Prinzip bedeutet eine deutliche Ungleichverteilung; sie wird populärwissenschaftlich vereinfachend auch als 80-20 -Regel bezeichnet.
(22) Nach dem großen BWL-Lehrer, Hans Ulrich (1919-1997), der Universität (HSG) St. Gallen.
(23) Mit dem vor allem bei Beratern gängigen "Humankapital" wird die Mitarbeiterschaft auf eine Asset-Klasse reduziert. Aus gutem Grunde wurde diese Bezeichnung zum Unwort des Jahres 2004.
(24) Weiters: "Even the best plan will still disorganize as well organize, misdirect as well as direct, and encourage the wrong as well the right behavior." (Management, 1974, p. 434f).
(25) Das bezog sich auf die Unternehmensführung im Verhältnis zur nächsten Ebene.
(26) Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber wie beim "Walking-around" wird daraus eine akademische bzw. Berater-Erkenntnis bzw. Practice gemacht.
(27) Beim neuen Führungsprozess unterstützt Adobe Manager durch "Centers", die jederzeit in Anspruch genommen werden können.
(28) Executive Compensation (Leistungsentgelt) ist ein lukratives, in den letzen Jahren stark expansives Beratungssegment. Globale Player sind die aus zahlreichen Fusionen hervorgegangenen Consulting-Unternehmen Willis Towers Watson, Korn-Ferry-Hay, Peral Meyer, Zehnder. Schwerpunktmäßig nationale Anbieter sind hkp, Kienbaum, Lurse.
(29) Beispiel für Consultant-Speak:"Variable Vergütungssysteme sind dazu in der Lage für eine Dynamisierung dieser Aufwärtsspirale zu sorgen, die zu gewaltigen Verbesserungen von Wettbewerbsfähigkeit, Ertragskraft und Shareholder Value führen." (Gunther Wolf, Performance Management-Experte).
(30) im Unterschied zu GE und IBM. Ein zunehmend kritisch gesehenes Beispiel ist Amazon mit dem "Anytime Feedback". Dieser Logistik-/Technologiekonzern ist für Überwachung und Misstrauenskultur bekannt geworden und hat einen schlechten Ruf als Arbeitgeber.
(31) Beispiel: Willis Towers Watson, das nach eigenen Angaben führende Beratungsunternehmen für Personalentwicklung und Performance ManagementProzesse bietet verschiedene Kompetenzmodelle, Vergütungssysteme, Job Levelling-Modelle (Global Grading System), Career Maps an. Im Portfolio sind ausgefeilte Software-Tools, die in einer Talent/REWARD-Software Suite zusammengefasst sind. Siehe dazu: www.towerswatson.com
(32) Die "Big4" der Wirtschaftsprüfung (heute Professional Service Networks genannt) haben große Consulting-Bereiche, die traditionelle "human capital solutions" verkaufen. Accenture wirbt neuerdings mit: "It's all about instant performance management." (Pierre Nanterme, CEO von Accenture).
(33) Tool von GE ist das PD@GE mit dem das Perfomance-Tracking erleichtert werden soll; Siehe http://fortune.com
(34) Das Plädoyer des CEO J. Kaeser für eine steuerliche Bevorzugung von Mitarbeiteraktien ist konsequent.
(35) Zum Beispiel Chrysler: Als bei harten Tarifverhandlungen 1985 die Großzügigkeit des CEO aus dem Rahmen fiel. Siehe Peter Drucker: Die Chance des Unternehmers; Econ-Verlag, Düsseldorf, Wien, New York, 1987.