Titel des Hauptreferates auf der 35. Jahresversammlung des ifo-Institutes am 28. Juni 1984 in München
Prof. Dr. Karl Heinz Beckurts (1930-1986), Physiker, Vorstand der Siemens AG und Leiter des Zentralbereichs Technik (seit 1980); davor Leiter der Kernforschungsanstalt Jülich, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Großforschungseinrichtungen und Direktor des Instituts für angewandte Kernphysik am Kernforschungszentrum Karlsruhe. Prof. Dr. Karl Heinz Beckurts wurde am 9. Juli 1986 von der RAF ermordet. In Erinnerung an sein Wirken wurde 1987 die Karl Heinz Beckurts Stiftung von der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen (AGF), der heutigen Helmholtz-Gemeinschaft eingerichtet; sie verfolgt ausschließlich gemeinnützige wissenschaftliche Zwecke.
Zusammenfassung und Bewertung aus heutiger Sicht
Auch damals: Ernüchternde Beurteilung
Vor 30 Jahren sind Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ins Gerede gekommen. In dem Buch "The World after Oil" - in der deutschen - Ausgabe mit dem alarmierenden Titel "Das Ende unserer Zukunft" zeichnete Bruce Nussbaum den Niedergang vor. In den USA wurden Deutschland düstere Aussichten vorausgesagt, in Japan machte das Schlagwort von der "deutschen Krankheit" die Runde. Der Economist diagnostizierte "low on high tech". Deutschland wurde "Provinzialismus in Wissenschaft und Forschung, Saturiertheit, Mobilitätsschwund, Risikoscheu, Angst vor Technik und Zukunft" attestiert.
Aber: Kraftvolle Empfehlungen und Umsetzung
Im Zentrum stand der Vorschlag, die traditionellen Stärken in reifer Technik mit neuen Technologien zu kombinieren und so das Problemlösungsgeschäft auf einen herausragenden Stand zu bringen. Zudem soll die Erarbeitung komplexer Software - einer damaligen Stärke - weiter vorangebracht werden. Als notwendig wurden erachtet: höhere Investitionen in Innovation, ein stärkerer Einsatz von Computern in der Industrie, eine intensivere Kooperation über ESPRIT und Verbundforschungsprojekte, die gezielte Schaffung von Standards, die Bündelung von Aktivitäten in der Mikroelektronik. Verlangt wurden mehr visionäre Lösungen, die steuerliche Begünstigung von FuE, die Förderung von Unternehmensgründungen und eine für Innovationen förderliche Beschaffungspolitik der öffentlichen Hand; in Summe ein anspruchsvolles, machbares Neuerungspaket.
Prof. Beckurts setzte sich mit Nachdruck für den Ausbau der Informationstechnik und die Förderung der Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Technik ein. Bei Siemens initiierte er einen Aufbruch mit dem Mega-Projekt, das in einer gelungenen Aufholjagd in der Mikroelektronik mündete und ein wichtiger Anstoß zum „Silicon Saxony" wurde. Später kam es zu keiner vergleichbaren nationalen Innovationsoffensive mehr.
Heute: Fortschritte und Versäumnisse im Rückblick
Die in der Zwischenzeit weit fortgeschrittene Globalisierung, die europäische Integration, das Aufkommen und die rasante Verbreitung des Internets haben ein damals schwer vorstellbares, schwer überschaubares Umfeld mit sich gebracht. Maßstab für die Innovationsstärke ist die Welt und die Digitalisierung (damals war es die Mikroelektronik); es gibt mehr Wettbewerber, die Arbeitsteilung ist weiter vorangeschritten und hat insbesondere mit China eine andere Richtung genommen. Die Position in der Mikroelektronik ist erheblich schwächer geworden, das Internet monopolisieren amerikanische Unternehmen, in der damals noch starken Kommunikationstechnik erfolgte ein Rückzug auf Raten bis zur nahezu totalen Aufgabe. In der Automobilbranche kam es indessen zu einer Blüte, im Maschinenbau gelang die Kombination von High-tech (Laser, Steuerungen) am besten; dort ist die starke Stellung behauptet worden. Die Kernkraft, Luft- und Raumfahrt erhielten trotz des geringen Spill-over-Effektes eine hohe öffentliche Unterstützung. Im Unterschied zur damaligen Mikroelektronik-Offensive wurde auf dem weiten Feld der Digitalisierung keine vergleichbare Anstrengung mehr unternommen, nicht einmal der Ausbau der Internet-Infrastruktur ist im internationalen Maßstab zufriedenstellend.
Die damaligen Empfehlungen sind in weiten Teilen eine Blaupause in Sachen Innovation geblieben.
Die Kurzfassung der Rede von Prof. Beckurts hier