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General Electric (GE) - ein (ent)täuschender Konzern

Mitte August schockte die Studie der Fraud Investigators mit der Überschrift „General Electric, A Bigger Fraud than Enron“ nicht nur Wall Street. Bis dahin schien GE nach einem zweimaligen CEO-Wechsel innert weniger als zwei Jahren und den großen Verkäufen (NBC, Real Estate, Großteil von GE Capital) einer drohenden Überschuldung entkommen zu sein. Und plötzlich stehen Falschbewertungen von 38 Mrd. USD im Raum, was rund 40 Prozent des aktuellen Börsenwertes von 70 Mrd. USD (in der Spitze lag dieser bei 500 Mrd. USD) entspricht und laut Studie bei Zutreffen und/oder einer Rezession das Aus des 127 Jahre alten Konzerns bedeuten könnte.

So unglaublich diese Nachricht erscheinen mag, eines steht seit Langem fest: GE wurde unter dem „Jahrhundert“-CEO, Jack Welch, ein unheimliches Unternehmen. Während seines 20-jährigen Regiments (bis 2000) stieg der Gewinn mit der Präzision eines Uhrwerks von Quartal zu Quartal, obwohl die Wirtschaft bekanntlich zyklisch verläuft. Der Economist mutmaßte, dass es neben den permanenten Portfolio-Umschichtungen eine Cash flow-Osmose zwischen dem ständig gewachsenen Finanzbereich und den Produzierenden Einheiten gegeben habe. Und dann gab es buchhalterische Auffälligkeiten: Nach vier Jahren Untersuchung verhängte die SEC 2008 eine Strafe von 50 Mio. USD. Eine vielsagende Feststellung dazu lautete: GE „bent the accounting rules beyond the breaking point“. Den vielen GE-Watchern hätte eigentlich auffallen müssen, dass der jeweilige Finanzstatus undurchschaubar war und die Rechnungslegung obendrein alle paar Jahre verändert wurde.

Dass GE – milde ausgedrückt – unseriös wurde, zeigte sich schon bei der verheimlichten Kontamination des Hudson River. Welch bestritt, dass die massenhaft in den Fluss entsorgte toxische Chemikalie PCB ein Risiko wäre und kämpfte unerbittlich gegen jedwede Haftung. Überdies wurde die weltweit größte Steuerabteilung unterhalten mit dem Ergebnis, keine Ertragssteuern gezahlt zu haben. Ein solches Verhalten darf unpatriotisch bezeichnet werden. Zur Erinnerung: Welch und vor allem sein Nachfolger J. Immelt hatten wichtige Beratungsfunktionen für US-Präsidenten inne. GE verstand sich indes darauf, die Geschichte von „High Performance with Integrity“ (Buchtitel des damaligen Syndikus Ben W. Heineman Jr.) zu erzählen, sich gegenüber Siemens moralisch überlegen zu geben.

GE hat Täuschung zum Normalfall gemacht. Die Lehren daraus liegen auf der Hand.

Erstens, Unternehmen, die auf externes Wachstum fixiert sind, ist nicht zu trauen. An entsprechenden historischen Beispielen besteht kein Mangel: alle US-Conglomerates, das Äquivalent der 1970er-Jahre IT&T, Enron oder die GE-Kopie Tyco. Forciertes Wachstum lässt nämlich keine Zeit für die Integration der vielen Zukäufe und macht Personal zur Verfügungsmasse. Bei GE kam es zu einer wahren Wachstumsneurose, die zu immer größeren, überteuerten Transaktionen verleitete: Honeywell (2000 von der EU blockiert), Energiesparte von Alstom (2015), Baker Hughes (2017).

Zweitens, sind CEOs nach dem Geschmack von Analysten, Medien und Investoren, gefährlich. Sie leiden gewöhnlich an Selbstüberschätzung – und wenn ihre großen Versprechungen nicht eintreten, greifen sie nach allem, um es noch „hinzukriegen“. Die GE-CEOs kassierten umgehend höchste Vergütungen. Zum Abschied vereinnahmte Welch ein Severence Package über 417 Mio. USD.

Drittens, ist den euphorisierten und interessierten Begleitern von Ausnahmeunternehmen gegenüber große Skepsis angebracht. Im Falle von GE haben sich Analysten die längste Zeit belügen lassen. Die Rechnungsprüfer – KPMG seit mehr als 100 Jahren – waren offensichtlich willfährig, weil es das beste Mandat war. Business Media schwärmten dauernd von der Führungsqualität von GE. Und die deutsche Wirtschaftspresse hielt die scheinbar uneinholbare GE dem Rivalen Siemens ständig vor

GE ist zu einem Beispiel für „verantwortungslose“ Unternehmensführung verkommen. Die Harvard Business School wurde um ein „Bad Case” reicher. Wie so häufig: Niemand übernahm Verantwortung.

September 2019, Manfred Hoefle

 

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