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Internet/ Industrie 4.0/ IT
Denkschrift Nr. 30
25.07.2018

Wandel der Arbeitswelt

von Bodo Eidenmüller

 

 

Technische Innovationen führen zu beachtlichen Veränderungen in den Industriegesellschaften. Der technologische Fortschritt schafft Arbeit ab, das sehen wir in der Wirtschaftsgeschichte seit Beginn der Industrialisierung. Andererseits entstehen durch technische Innovationen neue Arbeitsplätze, die Arbeitswelt verändert sich.

Aus der Industriegeschichte sind drei Innovationsschübe bekannt, die zu einer tiefgreifenden und dauerhaften Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse geführt haben und die als industrielle Revolutionen bezeichnet werden.

Die erste industrielle Revolution wurde ausgelöst durch Erfindungen wie die der Dampfmaschine und des mechanischen Webstuhls. Es war der Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft. Die zweite industrielle Revolution ging aus von der Entwicklung und dem Einsatz der Starkstromtechnik sowie der Einführung des Fließbandes und der Wissenschaftlichen Betriebsführung. Diese Innovationen führten zu grundlegenden Veränderungen der Produktionsarbeit. Die dritte industrielle Revolution basierte auf der Entwicklung der Mikroelektronik. Ihr Einsatz in der Fertigungstechnik und Fertigungswirtschaft brachte einen Innovationsschub in Richtung Smarte Fabrik. Zurzeit erleben wir mit der Digitalisierung aller Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft die vierte industrielle Revolution, auch Industrie 4.0 genannt.

Die ersten drei industriellen Revolutionen veränderten jeweils in Stufen die Arbeitswelt. Arbeitsteilung sowie Mechanisierung und Automatisierung schafften Arbeit ab bzw. veränderten sie. Während durch die technischen und auch organisatorischen Innovationen in der Vergangenheit immer auch neue Arbeitsplätze und Aufgaben in der Industrie und dem Dienstleistungsbereich entstanden, d. h. die Bilanz gemessen an Wohlstand und Arbeitsplätzen letztlich positiv war, ist abzusehen, dass die vierte industrielle Revolution die Arbeitswelt gravierender verändern wird als ihre Vorgänger. Die von Peter Drucker vorausgesagte Ablösung der Industriearbeit durch Wissensarbeit wird Realität.

In der derzeitigen Diskussion um die vierte industrielle Revolution nimmt die Frage nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt eine zentrale Rolle ein. Unternehmen, Wissenschaftler und Politiker suchen nach Antworten auf die drängenden Fragen: Wie wird sich die Arbeit verändern? Welche Qualifikation benötigen die Menschen dafür? Viele Expertisen sprechen dafür, dass sich die Arbeit mit dem fortschreitenden Einsatz digitaler Technologien in nahezu allen Sektoren nachhaltig wandeln wird. Im industriellen Bereich betrifft dies nicht nur die Tätigkeiten in der Werkstatt, sondern auch die in den indirekten Bereichen von der Produktionsplanung und -steuerung bis hin zur Produktentwicklung. Dabei werden sich auch die Anforderungen an das Management deutlich verändern. Eine eindeutige Antwort über die Auswirkungen der vierten industriellen Revolution auf den Arbeitsmarkt lässt sich heute – trotz einiger realisierter Beispiele – noch nicht geben.

Mit der Veränderung der Arbeit änderte sich auch die Position der Kunden. Wurde in der hand-werklichen Fertigung nach den Kundenforderungen produziert, war in der Massenfertigung die Initiative der Herstellung von den Konsumenten auf die Hersteller übergegangen. Dem Kunden wurde ein gewisser Zwang auferlegt und ihm die Konstruktion des Herstellers vorgeschrieben. Die Entwicklung der Mikroelektronik und ihr Einsatz in der Fertigungstechnik ermöglichten die wirtschaftliche Herstellung auch kleinerer Stückzahlen. In der Industrie 4.0 wird die Fertigung der Losgröße 1 wirtschaftlich möglich. Dadurch wendet sich das Blatt in der Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer und die Initiative geht wieder von den Produzenten auf die Konsumenten über.

Es gibt eine Vielzahl von Beiträgen zur Industrie 4.0, vor allem von den einschlägigen Forschungsstellen, die auf Förder- und Forschungsgelder angewiesen sind. Dazu müssen sie einen entsprechenden Output nachweisen und ständig Beiträge zur Notwendigkeit immer neuer Entwicklungen bringen. (Siehe auch Andreas Seidel: Industrie 4.0, Managerismus, Denkzettel Nr. 45).
Mit diesem Beitrag soll darauf hingewiesen werden, dass die Digitalisierung Vor– und auch Nachteile bringt. Diese Revolution entwickelt sich nicht wie ihre Vorgänger in linearem Tempo, sondern exponentiell, und nicht jeder Bürger kann damit Schritt halten. Die Veränderungen, die durch die Industrie 4.0 die Gesellschaft und vor allem die Arbeitswelt betreffen, können zur Spaltung der Gesellschaft führen. Ignorieren die Unternehmen die berechtigten Ängste der Bürger, so werden diese sich gegen die digitale Zukunft wenden – mit allen Folgen für die Arbeitswelt und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die vierte industrielle Revolution

Bei der vierten industriellen Entwicklungsstufe steht die Digitalisierung und Vernetzung aller Bereiche – auch über Unternehmensgrenzen hinweg - im Mittelpunkt der Veränderungen. Ziel ist die Entwicklung zu immer intelligenteren Systemen in immer stärker integrierten Wert-schöpfungsketten. Durch eine intelligente, vernetzte und flexible Fertigung reagiert die Industrie auf die Anforderungen der Kunden, die heute Produkte nach ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zusammenstellen wollen. Dabei spielt die Losgröße 1, die eine individuelle Produk-tion nach Kundenwunsch ermöglicht, eine große Rolle.

Erste Ansätze für die Fabrik der Zukunft gab es bereits vor mehr als 30 Jahren mit CIM (Com-puter Integrated Manufacturing). Dieses Verfahren beinhaltete die Integration der in der Fabrik eingesetzten rechnergestützten Verfahren der Entwicklung (CAD), der Fertigung (CAM) und der Produktionsplanung und -steuerung (PPS). CIM wurde ansatzweise in Deutschland verschiedentlich realisiert. So bei Volkswagen in der Halle 54. Dort wurde die Endmontage des 2er Golfs vollautomatisiert durchgeführt. Bei Siemens in der Kleinschütz-Fertigung des Werks Amberg/Cham wurde als Ziel vorgegeben, dass zwischen Bestellung und Versand maximal 24 Stunden vergehen sollten. Hohe Lieferbereitschaft bei kürzester Lieferzeit und mit niedrigsten Beständen wurde in der voll automatisierten Fertigung erreicht. (Vgl. Hußmannn W. u. Mau M.: Losgröße 1 in der Kleinschützfertigung, in ZWF 83,1988)

Der Ansatz von CIM war richtig. CIM war jedoch seiner Zeit voraus. Viele Aspekte konnten damals aufgrund der mangelnden technischen Voraussetzungen nicht realisiert werden. Dies hat sich geändert. In den letzten zwanzig Jahren haben sich in der IT fundamentale Änderungen ergeben. Das Internet hat sich durchgesetzt, es stehen eine leistungsfähige Netzwerkinfrastruk-tur und große Übertragungsbandbreiten sowie mit Cloud-Computing auch neue technische Möglichkeiten zur Verfügung. CIM kann als Vorläufer der vierten industriellen Revolution gesehen werden. Industrie 4.0 ist nicht die Neuauflage von CIM sondern die konsequente Weiterentwicklung (Eidenmüler B.: Die Produktion als Wettbewerbsfaktor, Köln 1995).

Auch das Konzept des Lean Managements mit der strikten Kundenorientierung, das sich zur Optimierung von Wertschöpfungsprozessen seit den letzten Jahrzehnten branchenübergreifend durchgesetzt hat, ist Bestandteil von Industrie 4.0. Die Lean-Prinzipien dominieren auch heute das Managementdenken. Mit der Digitalisierung werden die Kundenbedürfnisse von außen in die Steuerung der Produktion direkt hineingespielt. „Nachdem das Lean Management darauf zielte, die Mitarbeiter zu befähigen, permanent den Status quo zu hinterfragen, wird es in Zukunft Aufgabe der intelligenten Maschinen sein, Verbesserungen und Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen vorzunehmen – die schlanke Produktion wird so zum selbstlernen-den System“ (R. Klinkner in vdi nachrichten 14.07. 2017).

Stand der Digitalisierung der Industrie in Deutschland

Im Jahr 2013 erklärte die deutsche Bundeskanzlerin freimütig: „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Der schleppende Breibandausbau ist beispielhaft für den Stand der Digitalisierung in Deutschland. Mit der Digitalen Agenda für Deutschland und dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 wollte die deutsche Bundesregierung eine Änderung herbeiführen und setzte Zielmarken für die Technologie- und Wirtschaftspolitik. Es geht darum, den innovativen und leistungsfähigen Produktionsstandort Deutschland an der internationalen Spitze zu halten. Es geht dabei auch um die Sicherung zukunftsfähiger und qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze sowie um die Rolle des Menschen bei autonom ablaufenden Prozessen. Mit „Lernenden Systemen“ hatte das BMBF ein weiteres Zukunftsprojekt ins Leben gerufen.

Deutschland nimmt bei der IKT im weltweiten Vergleich der Industrieländer nur eine mittlere Position ein. Nach dem Ausstieg von Siemens aus der Nachrichtentechnik gibt es nur noch we-nige deutsche Unternehmen, die, wie SAP, als Global Player bezeichnet werden können. Die deutsche Informations- und Kommunikationsbranche jenseits von SAP ist zersplittert. Entsprechend niedrig sind auch die Investitionen in F & E in diesem Bereich; sie liegen bei 3,3 Milliarden Euro. Im Gegensatz dazu investieren die Big Five der US–Internetkonzerne (Apple, Amazon, Alphabet, Microsoft und Facebook) jährlich mehr als 50 Milliarden Euro (T. Sattelberger, HB 11./12./13. Mai 2018). Statt in Sachen Digitalisierung aufzuholen, ist Deutschland zurück-gefallen, und zwar vom Rang 15 auf Platz 17 in der Digitalen Wettbewerbsfähigkeit (Report des World Competitiveness Center). Die erste Hälfte der Digitalisierung hat Deutschland verloren. In der zweiten Hälfte soll es jetzt eine Aufholjagd geben. Politik und Wirtschaft setzen darauf, dass Unternehmen wie Siemens und Bosch, aber auch mittelständische Maschinenbauer ihr Know-how nutzen, um die Produktion digital zu gestalten und damit im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Voraussetzungen sind gut. Der ehemalige SAP-Chef Kagermann ist überzeugt, dass nicht nur klassische IT-Firmen die Entwicklung der Industrie 4.0 vorantreiben, sondern auch Maschinenbauer und Fabrikausrüster.

Siemens zeigt am Beispiel der Simatic-Produktion wie sich die Fertigung verändern wird. Wesentliche Elemente der „intelligenten“ Fabrik von morgen lassen sich im Elektronikwerk Amberg besichtigen. Bereits heute kommunizieren dort Produkte und Maschinen. Sämtliche Prozesse sind IT-optimiert und -gesteuert und dies bei einer minimalen Fehlerquote. Die Fertigung funktioniert weitgehend automatisiert. 75 Prozent der Wertschöpfungskette bewältigen Maschinen und Computer eigenständig, ein Viertel der Arbeit wird von Menschen erledigt. Nur zu Fertigungsbeginn wird das Ausgangsbauteil, eine unbestückte Leiterplatte, von menschlicher Hand berührt – ein Mitarbeiter legt sie in die Produktionsstraße. Von dort an läuft alles maschinengesteuert. Der Clou: Simatic-Steuerungen selbst regeln die Herstellung von Simatic-Steuerungen. Vom Produktionsbeginn bis zur Auslieferung sind rund tausend solcher Steuerun-gen im Einsatz.

Bosch Rexroth, die Industrietochter von Bosch, baut z. Zt. in China eine digitale Fabrik für Steuerungssysteme. Ziel des Unternehmens ist es, viel mehr Varianten als bisher zu den Kosten einer Massenproduktion anzubieten. Und damit dem Kunden das gewünschte individuelle Produkt zu liefern.

Die Herausforderungen für die Unternehmen

Ein Grund für den Einstieg in das Projekt Industrie 4.0 war für die Wirtschaft das Wachstum, welches mit der Digitalisierung und dem Einsatz der künstlichen Intelligenz (KI) zu erwarten ist. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) könnte die Wirtschaft hierzulande in den nächsten zehn Jahren um zusätzlich bis zu 150 Milliarden Euro wachsen. Für Bitkom-Präsident Achim Berg ist Industrie 4.0 das Wachstumsthema schlechthin. Den vielversprechenden Vorteilen stehen technische, rechtliche, wirtschaftliche und organisatorische Herausforderungen für die Unternehmen gegenüber. Die wichtigsten liegen bei der Nutzung der erhobenen Daten in Echtzeit, der Auslastung der Produktionskapazitäten, der Komplexität der Produktionsorganisation und bei den Fragen nach Datenschutz und Datensicherheit. Vor allem in der Cybersicherheit, die ein entscheidender Faktor für die zukünftige internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist (vgl. H. Mühlbauer, Bundesverband IT Sicherheit), sind Politik und Wirtschaft gefordert. Die Umsetzung der IT-Sicherheitsstrategien ist in Deutschland derzeit noch unzureichend. Strenge gesetzliche Regelungen sind zu beachten, wenn in den Prozessen der Industrie 4.0 personenbezogene Daten verarbeitet werden, und zwar sowohl von Mitarbeitern als auch von Kunden.

Die veränderten Marktbedingungen und die zunehmende Komplexität der hergestellten Produkte bei abnehmenden Stückzahlen bedeuten für die Fabrik, dass die Fertigung in der Lage sein muss, flexibel auf eine große Variantenvielfalt mit der Losgröße 1 zu reagieren. Diese Herausforderungen werden noch verstärkt durch die kürzeren Produktlebenszyklen. Die künftigen Veränderungen betreffen nicht nur die Fabrik. Es wird erwartet, dass sich die Welt der vernetzten Dinge zu einem milliardenschweren Wachstumsmarkt entwickelt. Durch das Internet of Things (IoT) werden Alltagsgegenstände, Fahrzeuge, Häuser und Fabriken miteinander vernetzt, wodurch sich neue Geschäftsfelder für die Unternehmen ergeben. Das Marktforschungsunter-nehmen Gartner schätzt, dass die Zahl der vernetzten Geräte im Internet der Dinge von rund 8,4 Milliarden im Jahr 2017 auf bis 20,4 Milliarden 2020 steigen wird. Die überwiegende Mehrzahl, nämlich 63% der vernetzten Geräte ordnet Gartner dem Konsumentensegment zu.

Nach dem Mediziner und Biotechnologie-Experten Marc Tessier-Lavigne (z. Zt. Präsident von Stanford) bietet sich nirgends eine größere Chance neue Geschäftsfelder zu erschließen, als in der Medizin. Medizin ist ein riesiges Geschäftsfeld. Forscher im Silicon-Valley arbeiten mit Unterstützung der großen Internetunternehmen an der datenbasierten Computer-Medizin. Sie sind sich einig, dass kein Bereich besser geeignet ist von den digitalen Instrumenten revolutioniert zu werden als unsere eigene Biologie. In Deutschland arbeitet u. a. die Fraunhofer-Gesellschaft mit mehreren Instituten intensiv an den vier großen Themenfeldern der Gesundheit: Drugs, Diagnostics, Devices und Data (Gesundheitsforschung in 4D).

Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und von autonomen Systemen ist der Schlüssel zu den künftigen Geschäftsmodellen. Künstliche Intelligenz gilt als die Schlüsseltechnologie der digitalen Transformation: Denn Daten allein liefern keinen Mehrwert, nur in Kombination mit intelligenten Analysesystemen lassen sich daraus innovative Anwendungen und neue Geschäftsmodelle schaffen. Dabei spielen Verfahren der KI eine zentrale Rolle. Über viele Jahre wurden immer mehr Daten gesammelt über Nutzerverhalten und Fabrikationsprozesse und Krankheiten. Inzwischen ist die Datenmenge unüberschaubar. Erst künstliche Intelligenz bietet die Möglichkeit, diese so zu ordnen und zu verknüpfen, dass neue Geschäftsmodelle entstehen. Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) setzen allerdings nur fünf Prozent der deutschen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen diese Technologie ein, und nach den Angaben des Bundesverbandes KI nutzen nur 18 Prozent aller deutschen Unternehmen mindestens eine KI-Anwendung. In China und den USA dagegen seien es knapp 40 Prozent. Die großen Technologieunternehmen in den USA investieren bereits Milliardenbeträge in die Entwicklung. Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) wies dabei darauf hin, dass man beim Einsatz der KI keine zu hohen Erwartungen hinsichtlich eines kurzfristigen Erfolges stellen sollte. Technologien, die z. B. das Auto betreffen, befinden sich erst im Verschmelzungsprozess von Analogem mit Digitalem. „Wohin sich die Entwicklung eines hybriden, also analog-digitalen Autos bewegt – computerunterstütztes Fahrzeug oder fahrender Computer – ist offen. Aber natürlich gewinnen Charakteristika des Digitalen, des Internet der Dinge (IoT) und Methoden wie künstliche Intelligenz mit hoher Dynamik an Bedeutung. So sind 1993 sieben Funktionen in Fahrerassistenzsystemen verbaut gewesen, 2015 waren es bereits 61“ (Tagung „Autonome Systeme und Arbeit“ des Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung am 25. 01.18 in Düsseldorf).

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Die Meinungen der Sachkenner über die Auswirkungen der Industrie 4.0 auf die Arbeit gehen weit auseinander. Auf der einen Seite schätzten die Autoren der Oxford-Studie (2013) zur „Zukunft der Beschäftigung“, Frey und Osborne, dass 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA in den nächsten Jahren automatisierbar sind. Dabei wurde betont, dass sich nicht wie bei den Industrialisierungsschüben der Vergangenheit nur die Geringqualifizierten als Verlierer betroffen sind. Diesmal drohen auch Beschäftigte der Mittelschicht unter die Räder der Modernisierung zu geraten. Vom einfachen Anwalt bis zum technischen Assistenten dürfte sich niemand mehr sicher sein, von der technischen Arbeitslosigkeit nicht betroffen zu werden. Auch der Chef des niederländischen Geldhauses ING erwartet, dass durch den digitalen Umbau rund 50 Prozent der Jobs der Filialbanken überflüssig werden. Für Deutschland rechnet die Boston Consulting Group – bei allen zugegebenen Unsicherheiten der Ermittlung - damit, dass bis 2025 rund 7,7 Millionen Beschäftigte durch die Automatisierung ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.

Demgegenüber schätzte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016 den Zuwachs durch die Digitalisierung bis zum Jahre 2030 in Deutschland auf etwa 250.000 Arbeitsplätze. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet Umbrüche in einer Vielzahl von Berufsfeldern und große Veränderungen in der Beschäftigung durch den Verlust bestimmter Arbeitsplätze und das Entstehen neuer Berufe. Im Saldo werden jedoch nur geringe quantitative Auswirkungen von Industrie 4.0 auf dem Arbeitsmarkt prognostiziert. Ulrich Grillo, BDI-Vizepräsident, ermuntert auf dem 25. Münchner Management Kolloquium im März 2018, sich angesichts einiger schlimmer Szenarien zum Arbeitsplatzabbau nicht verängstigen zu lassen. „Niemand wisse genau, wie sich die Dinge entwickeln. Panikmache gilt nicht“.

Die Frage nach den Auswirkungen von Industrie 4.0 auf die Arbeitswelt spielt hierzulande auch in Verbindung mit der Debatte über die Demografie eine Rolle, in der auch auf die Notwendigkeit einer Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland hingewiesen wird. Der Ökonom und Migrationsforscher Thomas Straubhaar (Der Untergang ist abgesagt, Hamburg 2016) und viele andere Sachkenner bestreiten allerdings, dass wegen unserer Demografie künftig ausländische Fachkräfte in der Industrie benötigt werden. Der Einsatz von Robotern und die verstärkte Automatisierung werden den Bedarf an geringqualifizieren Arbeitskräften vor allem in der Schlüsselindustrie, der Automobilbranche, stark reduzieren. In der Automobilindustrie kommt hinzu, dass, nachdem das Elektroauto politisch gewollt ist, für die Elektrifizierung des Antriebsstrangs weniger Mitarbeiter benötigt werden. Bis 2030 könnten hier nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) rund 75000 Stellen in Deutschland entfallen. Bei IT-Fachkräften ist demgegenüber dringender Bedarf gegeben. Hier könnte durch eine zielgerichtete Zuwanderung ausländischer Fachleute die Situation entschärft werden. Auch im Bereich der persönlichen Dienstleistungen besteht bei Geringqualifizierten ein Bedarf, der von den einheimischen Arbeitskräften nicht gedeckt werden kann. Überhaupt wurde hinsichtlich aller Veränderungen, die sich im Rahmen der vierten industriellen Revolution für die Wirtschaft ergeben, der Dienstleistungsbereich kaum in die Betrachtung einbezogen.

Eine eindeutige Antwort über die Arbeitsplatzfolgen der Digitalisierung lässt sich heute – trotz einiger realisierter Beispiele – noch nicht geben. Joe Kaeser, CEO von Siemens, wies darauf hin, dass „einfache manuelle aber auch geistige Tätigkeiten durch Roboter und Algorithmen verdrängt werden. Absehbar bleiben durch die Digitalisierung einige Menschen auf der Strecke, weil sie mit der Geschwindigkeit der Welt nicht mehr mitkommen. Wir müssen diesen Menschen durch eine Art Grundversorgung für das Alter eine Perspektive geben“.

Aus den bisherigen Projektergebnissen ist bereits ersichtlich, dass sich in der Industrie die Berufsbilder nachhaltig verändern werden. Wie müssen Arbeitgeber, wie Arbeitnehmer darauf reagieren? Können Arbeitszeitmodelle, wie sie z. Zt. bei der Deutschen Telekom erprobt werden, die negativen Arbeitsplatzfolgen der Digitalisierung abfedern? Eine Studie im Auftrag der bayerischen Metall- und Elektroarbeitgeber sagt zu den Zukunftsaussichten der Beschäftigten folgendes: Zwanzig bis dreißig Prozent hoch qualifizierte Fachkräfte sind zusätzlich gefragt. Menschen mit gewerblich technischer Berufsausbildung, also Meister oder Techniker, haben dann gute Perspektiven, wenn sie sich in IT weiterbilden. Für Ungelernte sieht es dagegen schlecht aus. Die Zahl entsprechender Arbeitsplätze wird sinken, in voll automatisierten Produktionsbereichen fallen diese ganz weg. Das Forscherteam hat insgesamt folgende Kompetenzfelder ausgemacht, in denen die künftigen Beschäftigten Kenntnisse haben sollten. So bei der Analyse, Überwachung und Optimierung von Produktionsnetzwerken und -systemen, bei der Analyse und Interpretation der Produktionsdaten, bei der Anwendung IT-gestützter Assistenz- und Diagnosesysteme, bei der Beherrschung und Optimierung der Prozesse sowie bei der Wartung der Anlagen und Behebung von Störungen. Die „Wunschkandidaten“ sollten sich in Mechanik, Elektronik, Programmierung und Softwaretechnik gleich gut auskennen. Am besten für diese Aufgaben aufgestellt seien Mechatroniker. Die Mitarbeiter sollten nicht nur die Software -Strukturen kennen und Programme mitgestalten, sondern sie auch verändern können. Weniger gefragt bei der Implementierung von Industrie 4.0 sind nach dieser Studie Produktionstechnologen, Anlagenmechaniker und Werkzeugmacher.

Es werden sich aber nicht nur die Berufsbilder und die Anforderungen an die Arbeitnehmer sowie die Beschäftigtenzahlen verändern, sondern auch die Arbeitsvertragsverhältnisse. So ist abzusehen, dass Arbeitnehmererrungenschaften wie unbefristete Arbeitsverträge, Kündigungsschutz, Urlaubsgeld und stabile Löhne bald der Vergangenheit angehören. Stattdessen müssen wir uns, nach W. Eichhorst, Institute of Labor Economics, auf „individuell zugeschnittene Werks- und Zeitarbeitsverträge, Solo-Selbstständigkeit und multiple Jobs“ einrichten. Die Festanstellung weicht heute bereits immer mehr der selbständigen Projektarbeit mit ständig wechselnden Auftraggebern. Was tun, wenn der Arbeitgeber verschwindet und die Plattform nun Arbeit vermittelt? Wer zahlt bei Urlaub und Krankheit? Wer zahlt in die Rentenkasse? „Der technologische Wandel hat das Potenzial, die Fliehkräfte, die in unserer Gesellschaft angelegt sind, noch zu verstärken“ warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim DGB-Bundeskongress im Mai 2018.

Sozialsysteme vor grosser Anpassung

„Das Sozialsystem müsse auf die Umbrüche in der digitalen Arbeitswelt eingestellt werden – und das sicher nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Dieses Modell käme einer Kapitulation gleich“, so der Bundespräsident. Die Sozialsysteme sind auf eine digitale Arbeitswelt nicht vorbereitet. Sie sind davon abhängig, dass es möglichst viele Arbeitnehmer in Vollzeitjobs gibt, welche die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung „speisen“. Auch hier muss über Lösungen nachgedacht und rechtzeitig gehandelt werden. Die Digitalisierung muss durch Sozialreformen flankiert werden, hatte Bert Rürop bereits 2016 festgestellt. (HB 01.02.16). Sie kann zur Belastungsprobe für den deutschen Sozialstaat werden. Entscheidend wird sein, dass der technische Fortschritt und auch die Globalisierung nicht so weit gehen dürfen, dass dadurch der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört wird. (Torsten Riecke, HB Topic, 23.01.18).

Auch muss darüber nachgedacht werden, welche Konsequenzen für die Wirtschaft und die Politik daraus zu ziehen sind, dass der Weg in die Industrie 4.0 zum Ausschluss Vieler aus der modernen Arbeitswelt führen wird. Auch in der durch die vierte industrielle Revolution sich verändernden Wirtschaft und Gesellschaft muss es hinreichende Beschäftigungsmöglichkeiten für Un- und Angelernte geben. Auf Dauer kann kein 80-Millionen-Land es sich leisten, alle weniger qualifizierten Arbeitnehmer vor die Tür zu setzen und zu alimentieren. Politik, Gesellschaft und die Sozialpartner müssen den Wandel gestalten. Qualifizierung und Weiterbildung sind der Schlüssel dazu. Um Arbeitslosigkeit bei einfachen Tätigkeiten zu verringern, müssen mehr Anstrengungen darauf gerichtet sein, die Bildung und die Qualifikation insbes. der jungen Menschen zu verbessern. Viele Hauptschüler sind nicht berufsbildungsfähig und eine zu große Zahl bricht die Lehre ab. Bundesweit wird für Sozialleistungen siebenmal so viel ausgegeben wie für Bildung. Die Bildungs-Investitionen zu erhöhen, sollte eine dringende Aufgabe für die Politik sein. Aber auch die Industrie muss ihren Beitrag leisten. Gefragt sind Arbeitsmodelle, in denen auch weniger qualifizierte Arbeitskräfte integriert werden können.

Ein hoher Bedarf besteht bei personenbezogenen Diensten, insbesondere bei den Pflege- und Gesundheitsdiensten. Der Gesundheitssektor ist das Stiefkind der Dienstleistungsgesellschaft. Leider finden wir bei Human-Dienstleistungen zu wenig deutsche Mitbürger, die in der Pflege und im Gesundheitswesen arbeiten wollen. Die Beschäftigungsverhältnisse im Pflege- und Gesundheitssektor sind daher dringend verbesserungsbedürftig. Ein Bedarf besteht darüber hinaus auch bei anderen personenbezogenen Dienstleistungen wie Hilfen im Haushalt, Betreuung und Unterstützung älterer Menschen. Einen weiteren Bedarf gibt es auch in den Unternehmen für zahlreiche Hilfsaufgaben wie Botendienste, Besucherbetreuung, Aufräum- und Ablagearbeiten. Diese in den letzten Jahren wegrationalisierten Aufgaben bilden eine nützliche Beschäftigungsmöglichkeit mit dem Effekt, dass die immer knapper werdenden Hochqualifizierten entlastet werden. Schließlich lassen sich auch im kommunalen Bereich viele Aufgaben finden, die den „Bürgerservice“ verbessern helfen. Die Umsetzung in zusätzliche Arbeitsplätze scheitert jedoch auch an den Lohnkosten.

Der Mangel an „Wissensarbeitern“

Die fehlenden Fachkräfte sind ein Problem bei der Realisierung von Industrie 4.0. Deutschland nimmt – wie erwähnt - bei der IKT im weltweiten Vergleich der Industrieländer nur eine mittlere Position ein. Die Erfolge der deutschen Industrie basieren vor allem auf der Verbesserung des Bestehenden und nicht auf der Entwicklung von Hightech-Produkten. Deutschland hat sich mit Erfolg auf Industrien „ausgeruht“, deren Ursprung in der Kaiserzeit liegt. Der Mangel an IT-Fachkräften spitzt sich laut IKT-Branchenverband Bitkom zu. In Deutschland gibt es bisher 55 000 offene Stellen für IT-Spezialisten. Die Wirtschaft braucht mehr Experten wie Software-Entwickler, Spezialisten für IT-Sicherheit und IT-Berater. Dieser Engpass muss auch das Management herausfordern.

Professor August-Wilhelm Scheer, Gründer des Software-Prozesshauses IDS-Scheer, weist darauf hin, dass Siemens in den 1970er Jahren der einzige IT-Anbieter war, der Kompetenz, Hard- und Software in allen drei Bereichen Logistik, Konstruktion (CAD) und Automatisierungstechnik (Steuerungen) besaß. Leider hatte das Unternehmen seine Chancen, sich weltweit als der für Industriebetriebe kompetenteste IT Ausrüster zu positionieren, aufgrund interner Querelen über Zuständigkeitsfragen (Unternehmensbereich Datenverarbeitung: Bürocomputer, Unternehmensbereich Energietechnik: Prozessrechner) nicht wahrgenommen. Nachdem das Unternehmen seine Zukunft in den 1980er Jahren noch auf den drei Gebieten (Network, Office und Factory of the Future) sah, wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends die IT-Aktivitäten weitgehend eingestellt. Nur das Thema Fabrik wurde erfolgreich weitergeführt. Dieser Schritt von Siemens und die Konsequenzen, die sich daraus für die nationale IT ergaben, wurden von der Öffentlichkeit und der Politik leider kaum zur Kenntnis genommen!

Nach dem Ausscheiden von Siemens aus der Nachrichten- und Datentechnik ist zu fragen: Hat Deutschland genügend Fachkräfte, um die vierte industrielle Revolution erfolgreich zu bewältigen? Sind unsere Unternehmen, aber auch die Politik und die Gesellschaft auf die neuen Herausforderungen vorbereitet? Im führenden Südkorea liegt der Anteil der in der Informationstechnologie Beschäftigten mit 4,5 Prozent deutlich höher als in Deutschland. Hier beträgt dieser Anteil nur 3,5 Prozent an allen Beschäftigten. Was können, was müssen die Politik und die Wirtschaft unternehmen, um den Stellenwert der Informationstechnik in Deutschland zu erhöhen?

Auf die fehlenden Fachkräfte in der Informationstechnik, aber auch bei den Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Technikern muss die Politik in Deutschland reagieren. Die Entwicklung muss zu einem Umdenken in der Ausbildung führen. Institutionen der Ausbildung und Erziehung in der Wissensgesellschaft werden immer wichtiger. Die deutschen Bildungseinrichtungen sind bislang nur unzureichend auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft („Lebenslanges Lernen“) vorbereitet. Die Bildungsinvestitionen zu erhöhen, sollte eine dringende Aufgabe für die Politik sein.

Das Problem Datensicherheit

Ein weiteres Problem bei der Realisierung ist die Datensicherheit. Die Zahl der Cyberangriffe auf deutsche Unternehmen steigt durch die digitale Vernetzung dramatisch, warnt der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Die Cyberangriffe haben in den letzten Jahren nicht nur extrem zugenommen, sie sind auch wesentlich komplexer geworden. Hier bedarf es einer verstärkten Aufklärung und Zusammenarbeit der Unternehmen mit den staatlichen Institutionen auf dem Gebiet der Datensicherheit.

Die Datensicherheit ist ein Problem bei der angestrebten Digitalisierung, das dringend gelöst werden muss. Die digitale Transformation steht zwar bereits bei vielen Verbänden bzw. Organisationen wie z. B. dem VDI auf der Tagesordnung. Die Aussagen der Fachverbände werden von vielen Unternehmern sowie der Gesellschaft zu wenig verstanden bzw. wahrgenommen. Wenn in vielen mittleren und kleinen Unternehmen das Thema Industrie 4.0 nur zögerlich angegangen wird, so liegt es nicht nur an der Unkenntnis über die Chancen, die dieser technische Fortschritt den Unternehmen bietet. Nach Ansicht vieler Mittelständler ist der Schutz der eigenen Daten inzwischen die größte Herausforderung bei der Digitalisierung. Cybersecurity überfordert viele Unternehmen, nicht zuletzt deshalb, weil ihnen die Experten und die intelligente Technologie fehlen. Daher scheidet das Selbstmachen als Problemlösung meist aus. Die Unternehmen müssen prüfen, ob sie Prävention und Erkennung von Cyberangriffen an spezialisierte Unternehmen übertragen wollen, welche die entsprechenden Ressourcen haben und die aktuelle Bedrohungslage kennen. Die Risiken effektiv zu managen ist eine Führungsaufgabe.

Aufgaben für Unternehmen, Bildungssektor und Politik

Wenn Deutschland seine Position als innovativer und leistungsfähiger Produktionsstandort an der internationalen Spitze behalten soll, müssen die Herausforderungen der vierten Revolution umfassend angenommen werden. Dies ist eine Aufgabe, an der sich alle beteiligen müssen – Unternehmer, Mitarbeiter, Verbände, Forschungseinrichtungen – und auch der Staat. Thomas Sattelberger, früher Personalvorstand mehrerer DAX-Unternehmen, wies im HB vom 11./12./13, Mai 2018 auch auf die Mittelmäßigkeit Deutschlands in der Digitalökonomie hin und forderte mehr „Disruptoren“, also Störenfriede, die mit ihren Innovationen bisherige Geschäftsmodelle in Frage stellen.

Unternehmen

Inwieweit die deutsche Industrie zu den Gewinnern der vierten industriellen Revolution gehören wird, muss die Zukunft zeigen. Die Voraussetzungen sind, wie der ehemalige SAP-Chef Henning Kagermann bemerkte, günstig. Allerdings werden - wie bereits erwähnt - für die Lösung der anstehenden und zukünftigen Aufgaben mehr „Wissensarbeiter“ benötigt. Die Erhöhung der Produktivität der Wissensarbeiter ist ein wichtiges Ziel für das Management. Dieses Ziel erfordert immer wieder neue Konzepte und neue Denkansätze und kann nur auf dem Weg der Partnerschaft und sozial verträglich erreicht werden.

Ein ganz anderer Punkt: Der Wust an Big Data überfordert z. Zt. namentlich mittelständische Unternehmen. Diese besitzen weder das Know-how noch die Mittel, um all die Daten in ihre Prozesse und Produkte zu integrieren. Durch die Initiativen der letzten Bundesregierung entwickelte sich das Projekt Industrie 4.0 zum boomenden Tätigkeitsfeld für Unternehmensberater und Forschungsinstitute. Viele Projekte wurden angestoßen, die kleinen und mittleren Unternehmen durch Workshops helfen sollen, die richtigen Schwerpunkte bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Konzepten zu finden. So bietet die RWTH Aachen International Academy ebenso wie andere Institute Zertifikatskurse für die digitale Revolution an.

Bisher war der Fokus der Veränderungen fast nur auf die Industrie gerichtet. Handwerk und der Dienstleistungsbereich sind von dem technischen Strukturwandel ebenso betroffen. Beim Handwerk denke man nur an die Veränderungen im Aufgabenbereich eines Kfz-Mechanikers. Im Handwerk ist der Bedarf an Arbeitskräften hoch und kann zurzeit nicht befriedigt werden. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Schluss, dass bis 2030 ein weit größerer Fachkräftemangel droht, als bei den Akademikern. Azubis werden dringend gebraucht, dennoch werden immer weniger ausgebildet. Die Gründe für die Erosion der Ausbildung sind vielfältig. Sicher entzieht die zunehmende Akademisierung dem Ausbildungsmarkt viele junge Leute mit Abitur. Fast alle Abiturienten, auch die mit einem schlechten Abschluss, streben an die Unis und sehen ihren Berufsweg als Akademiker und nicht als Meister oder als Handwerksunternehmer. Es ist Zeit, über finanzielle Anreize für die Ausbildung nachzudenken. So z. B. über eine Art Bafög für die Auszubildenden. Auch darüber wäre zu diskutieren, ob neben der dreijährigen Standardausbildung nicht auch Abschlüsse nach ein oder zwei Jahren ermöglicht werden sollten. Bevor man Mitarbeiter nur anlernt, könnte man sie durch eine einjährige Ausbildung an das System der Berufsausbildung heranführen.

Bildungssektor

Die Hochschulen und Universitäten dienen einerseits als Ausbildungsstätte für kreatives F&E-Personal und sind andererseits Impulsgeber, Forschungseinrichtung und Kooperationspartner. In diesem Sinne sind sie gut eingebunden in die Entwicklung und Einführung der Industrie 4.0. Allerdings muss auf den im internationalen Vergleich relativ niedrigen Anteil an Hochschulabsolventen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften (MINT-Fächer)hingewiesen werden, vor allem fehlen ¬wie erwähnt - Informatiker. Die Sprecher des Nationalen Mint Forums, Nathalie von Siemens und Ekkehard Winter, haben die Politik aufgefordert, die MINT-Bildung nachhaltig zu verstärken. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), weist wiederum darauf hin, dass infolge des Trends zu höheren Bildungsabschlüssen die Verantwortung der Hochschulen wächst, einen nachhaltigen Beitrag zur Fachkräftesicherung der Wirtschaft zu leisten. Das nimmt die Hochschulen in die Pflicht, die Studierenden bestmöglich auf den Übergang ins Arbeitsleben und die Anforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt vorzubereiten.

Hier sind die Politik und Gesellschaft gefordert: Es muss uns gelingen, unser Potenzial für universitäre Bildung besser auszuschöpfen. Dabei spielt das gesellschaftliche Innovationsklima eine wichtige Rolle. Das Innovationsklima hängt wiederum von der Einstellung der Politik, der Menschen, der Wirtschaft, der Verbände und der Öffentlichkeit zur Wissenschaft, Technologie, Forschung und Entwicklung ab. Es sei daran erinnert, dass z. B. die Mikroelektronik als Basistechnologie, ohne deren Beherrschung alles andere, das darauf aufbaut, auch nicht beherrscht wird, in Deutschland lange Zeit als Jobkiller verteufelt wurde. Heute sieht man, welche Auswir-kungen diese Meinungsmache für unsere Volkswirtschaft hatte.

Politik

So muss zur Kenntnis genommen und darauf reagiert werden, dass China die Vorherrschaft über die wichtigsten Technologien anstrebt und auf dem Weg ist, in der Digitalisierung und bei der künstlichen Intelligenz die Europäer abzuhängen. Weltweit erfährt die künstliche Intelligenz gerade große Beachtung, und die Chinesen investieren massiv in diesen Sektor. Kein Land der Welt treibt so akribisch den Aufbau der Technologiekonzerne voran wie China. Mit dem Strategiepapier „Made in China 2025“ hat Peking genau vorgeschrieben, in welchen Schritten die Volksrepublik zu den USA aufschließen will. Dabei gehören die Informationstechnologie, Robotik, Medizintechnik und Elektromobilität zu den wichtigsten Sektoren. Bei der Elektromobilität, dem mobilen Bezahlen oder dem Onlinehandel sind chinesische Firmen bereits globale Spitzenreiter. China geht es nicht nur darum, die geostrategische Vormachtstellung der USA anzugreifen. China sieht auch die Chance, mit einem Vorsprung bei KI deutschen Industrieunternehmen vor allem dem Maschinenbau Konkurrenz zu machen. Der Siegeszug chinesischer Firmen ist dank staatlicher Hilfen möglich. Der Kauf des Roboterherstellers Kuka durch den Hausgerätehersteller Midea und nun der Einstieg des Autoherstellers Geely als Großaktionär bei Daimler sind ein Symbol für das neue Selbstbewusstsein, mit dem China auftritt. Es muss bewusst werden, dass die Zukunft vieler Branchen in China entschieden wird – und welche Folgen dies für die deutsche Wirtschaft haben kann.

Im Rahmen der Globalisierung ist unser Augenmerk auch auf die Entwicklung in den Schwellenländern zu legen. Die neuen Technologien stellen diese Länder vor enorme Herausforderungen, denn sie finden immer schneller den Weg dorthin. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass durch die Automatisierung die günstigen Arbeitskräfte dort bald nicht mehr gebraucht sein könnten. Die Weltbankökonomin Indhira Santos warnt daher vor Schocks auf den Arbeitsmärkten der Schwellenländer. Im schlimmsten Fall könnten sich viele Industrien wieder aus den Schwellenländern in die Industriestaaten zurückziehen. (Vgl.: Automat trifft auf Armut, HB 11. Juli 2016). Auch führen produktionstechnische Entwicklungen, wie die des 3-D-Metalldrucks, zu einer Rücknahme der aus Kostengründen in Billiglohnländer verlagerten Arbeiten.

Eine weitere Aufgabe ist, ist den Bürgern das Unbehagen im Umgang mit den neuen Technologien zu nehmen, denn wie eine Umfrage im Auftrag von acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) und der Körber- Stiftung ergab, stehen die Deutschen der Digitalisierung und den neuen Technologien sehr skeptisch gegenüber. Es wirkt paradox, wenn auf der einen Seite mit Unbehagen auf technische Neuerungen geblickt wird, während auf der anderen Seite Dienste wie Google, Facebook oder Amazon mehrfach täglich genutzt werden. Ein Weg, der das Verständnis und die Bedeutung der Digitalisierung in der Bevölkerung erhöhen und Berührungsängste reduzieren würde, ist die forcierte Einführung der digitalen Verwaltung. Auf wenigen Feldern hängt Deutschland so weit zurück wie auf diesem Gebiet. Die Bürger würden sich gern den Gang zum Amt sparen und die Möglichkeiten des Internet nutzen. Aus einer repräsentativen Umfrage ist zu entnehmen, dass 85 Prozent der Bürger aufgeschlossen dafür sind, ihre Behördenangelegenheiten und den Austausch mit der öffentlichen Verwaltung komplett online zu erledigen (HB vom 5. Februar 2018). Eine Studie der Europäischen Kommission sieht Deutschland bei der digitalen Verwaltung auf Platz 20 von 28 im europäischen Vergleich.

Die vierte industrielle Revolution verlangt von Unternehmensleitern und Politikern eine Vision, wie die Arbeitswelt im digitalen Zeitalter aussehen und nach welchen Regeln unsere Wirtschaft funktionieren soll. Eine erfolgreiche Implementierung verlangt die Mitwirkung aller: Unternehmer, Mitarbeiter, Verbände, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, Staat.

Für Deutschland geht es darum, sich als Exzellenz-Cluster der vierten industriellen Revolution („Internet der Dinge“) zu positionieren.

Dr. Bodo Eidenmüller, 25. Juli 2018